Der Klinikarzt 2018; 47(08): 337-338
DOI: 10.1055/a-0654-2652
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schmerz und Palliation

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
14 August 2018 (online)

Liebe Leserinnern und Leser!

Erlauben Sie vorweg in dieser fachlichen Hefteinführung eine kleine Reminiszenz an meine Vergangenheit auf einem altsprachlichen Gymnasium: „Pathämata – mathämatha – Durch Leiden lernen wir“, sagten uns die alten Griechen. Oder lateinisch ähnlich: „Qui doluit, meminit – wer litt, vergisst nicht.“ Vom Schmerzgedächtnis nach heutiger Vorstellung wusste man natürlich nichts. Und zu allen Zeiten waren Schmerzen immer auch in einer Palliativsituation, die man nur so nicht nannte und kannte, das am meisten belastende Symptom. Doch noch Goethe konstatierte dazu: „Die Schmerzen sind es, die ich rufe, denn es sind Freunde, Gutes raten Sie.“ Wie die Menschen zu dieser Zeit noch ohne adäquate Schmerzmedikation, hatte auch Goethe keine andere Wahl, als seine Schmerzen zu akzeptieren. Generationen von Ärzten und Schriftgelehrten haben sich bemüht, Leid und Leiden in die Ordnung der Dinge einzufügen. Damit versuchten sie, dem Leiden wenigstens einen befriedigenden Sinn abzugewinnen, wenn sie es schon nicht beherrschen konnten.

Entscheidend weitergebracht hat uns die Schmerz- in der Palliativmedizin heutiger Tage einschließlich ihrer ganzheitlichen Symptomenkontrolle für Körper und Seele. Die dazu notwendigen Strukturen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, nicht zuletzt durch das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) von 2015.

Darauf verweisen auch unsere heutigen Heftautoren Friedemann Nauck und Maximiliane Jansky, die an dieser Stelle – wie die übrigen Heftautoren – schon einmal zu Wort kommen sollen. In ihrem vorangestellten Übersichtsartikel zur Klinik, Lehre und Forschung der Palliativmedizin im stationären und ambulanten Bereich sagen die Göttinger Kollegen u. a., dass die Erfolgsvoraussetzung für eine gute Palliation ein Zusammengehen medizinischer, pflegerischer, psychosozialer, ethischer und rechtlicher Fragestellungen einschließlich einer spezifischen Haltung ist. Um durch eine umfassende Symptomlinderung die Lebensqualität und Autonomie der Patienten zu bewahren, bedarf es „umfassender Kompetenzen in der Schmerztherapie und Symptomkontrolle, im Wundmanagement und bei ethischen Fragestellungen“, so die Autoren weiter.

Christoph Gerd Gerhard aus Oberhausen schreibt in seinem folgenden speziellen Beitrag zur Palliativversorgung im Krankenhaus, welche Neuerungen und welche Chancen nach dem HPG für eine bessere Versorgung im Krankenhaus bestehen, wobei „eine der größten Herausforderungen in der Palliativversorgung im Krankenhaus […] die Unterschiede der Versorgungsphilosophien“ seien. Im Besonderen geht Gerhard auf die Rolle der – historisch gesehen – wiederentdeckten Palliativdienste ein.

Der Beitrag von Bernd Himstedt aus Berlin ist dem Grunde nach eine Übersicht über die moderne medikamentöse Schmerztherapie, allerdings hier sehr praktisch aufgezäumt anhand von Fallstricken, jeweils am Ende mit Hinweisen wie „Frühzeitig eine patientenindividuell abgestimmte medikamentöse Kombinationstherapie einsetzen!“

Ganz konkret ans Krankenbett geht Rainer Prönneke aus Braunschweig mit der behutsamen Darstellung eines würdigen palliativmedizinischen Konzeptes zur palliativen Sedierung. Mittel der Wahl ist Midazolam. „Eine palliative Sedierung steht ausschließlich Patienten mit einer fortgeschrittenen und fortschreitenden Erkrankung ohne Aussicht auf Reversibilität und mit einer eingeschränkten Lebenserwartung zur Verfügung.“

Und in einer palliativmedizinischen Themenreihe auf Augenhöhe darf es nicht am Votum der Pflegenden fehlen. Dieses geben Nadja Nestler, Simon Kutter, Thomas Wittling und Jürgen Osterbrink aus Salzburg ab und beschreiben die Aufgaben ihres Berufsstandes in der palliativen Schmerzversorgung von Tumorpatienten. Auch hier ist, wie überall, die stabile Schmerzsituation Ziel der pflegerischen Versorgung, wobei „für die professionelle Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen […] die Berücksichtigung des subjektiven Schmerzerlebens von besonderer Bedeutung“ ist.

Mir ist wichtig, dass die Beiträge dieses klinikarzt-Heftes mit dazu beitragen können, gute Möglichkeiten aufzuzeigen, die Betroffenen würdevoll, dabei symptomarm bis symptomfrei, an der Seite ihrer Angehörigen bis zuletzt zu begleiten und damit etwaige Fragen nach aktiver Sterbehilfe im Keim zu ersticken.

Und auch für die „Sterbehilfe“ gab es Vorläufer im Altertum, z. B. Sokrates Schierlingsbecher. Kennen Sie in diesem Zusammenhang das sardonische Kraut? In Sardo, der alten phönizischen Stadt auf Sardinien, soll eben diese Giftpflanze durch ihren Duft zum Genuss verleitet und dabei den Tod herbeigeführt haben. Durch die Stimulation der Gesichtsmuskulatur trotzte das Sardonische Kraut dem Vergifteten im Todeskampf ein letztes Lächeln ab – und heute noch bezeichnen wir den Gesichtsausdruck beim Wundstarrkrampf als „Risus sardonicus“. Angeblich war es Brauch, dass die Kinder von Sardo Sterbehilfe übten, indem sie ihre Alten auf diese Weise in den Tod schickten und ihnen dabei einen würdigen Anschein verleihen wollten, gerade so als wenn Schmerzen und Tod ein Leichtes seien …

Winfried Hardinghaus