Aktuelle Dermatologie 2018; 44(12): 565-567
DOI: 10.1055/a-0654-1286
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Riesiger Tumor − (k)eine Frage des Alters! Dermatochirurgie bei einem Hochbetagten

Giant Neglected Squamous Cell Cancer in a Very Senior Patient – Dermatologic Surgery Pushing the Boundaries?
A. Baczako
Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums rechts der Isar der TU München
,
T. Biedermann
Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums rechts der Isar der TU München
,
T. Volz
Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums rechts der Isar der TU München
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Andrea Baczako
Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums rechts der Isar, TU München
Biedersteinerstr. 29
80802 München

Publication History

Publication Date:
04 October 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Der demografische Wandel bringt eine wachsende Gruppe hochbetagter und geriatrischer Patienten mit sich. Da die Inzidenz nicht-melanozytärer Hauttumoren bei Hochbetagten sehr hoch ist und schlechte Versorgung sowie fehlendes Bewusstsein gegenüber dieser Tumorentität zu Verzögerungen bei der ärztlichen Konsultation führen kann, wird man in der Dermatologie immer wieder mit sehr großen Hauttumoren konfrontiert. Obwohl mit zunehmendem Alter die Operationsrisiken steigen, ist die mikrografisch kontrollierte chirurgische Tumorexzision dennoch die Therapie der Wahl. Wir stellen einen 91-jährigen Patienten mit einem riesigen Plattenepithelkarzinom der Haut vor, bei dem durch ein radikales dermatochirurgisches Vorgehen sowohl Tumorfreiheit als auch maximale Funktionalität und eine Wiederherstellung der Lebensqualität erreicht werden konnten. Dieser Fall beschreibt einige der Anforderungen an eine effektive und patientenorientierte Therapie bei großen Hauttumoren in dieser Altersgruppe.


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Abstract

Demographic change results in a large and increasing group of elderly and geriatric patients. In these patients, there is a high incidence of non-melanoma skin cancer. Reduced care and awareness frequently lead to large-sized skin tumors. With increasing age and tumor size, the risk associated with surgery increases too. Nevertheless, surgery with complete analysis of the tumor margins is the method of choice. We present the case of a 91-year-old male patient with a giant squamous cell carcinoma of the skin who underwent a radical surgical therapy resulting in tumor clearance and immense improvement in quality of life. By this case, we describe the challenges of choosing an effective as well as patient-oriented therapy in this age group. 


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Einleitung

Der demografische Wandel bringt eine wachsende Gruppe hochbetagter und geriatrischer Patienten mit sich. Aufgrund oftmals schlechter Versorgung älterer Menschen und fehlenden Bewusstseins für die Therapienotwendigkeit sind Hauttumoren grotesken Ausmaßes auch an sichtbaren Lokalisationen im klinischen Alltag keine Seltenheit. Für die Nichtbeachtung solcher Tumoren werden vielfältige Gründe angeführt. Hochbetagte Patienten leiden häufig an Demenz oder Depression mit der Konsequenz des sozialen Rückzuges. Mit zunehmendem Alter steigt das operative Komplikationsrisiko, sodass die Wahl einer effektiven und dabei patientenorientierten Therapie eine große Herausforderung darstellt.


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Kasuistik

Anamnese

Wir berichten über einen 91-jährigen Patienten, der sich mit einem seit mehreren Jahren bestehenden, langsam größenprogredienten Hauttumor an der rechten Schulter in unserer Poliklinik vorstellte. Die große Angst vor einer Operation hinderte ihn an einer früheren ärztlichen Konsultation. Der Patient ist bis auf eine benigne Prostatahyperplasie gesund und geistig wie körperlich überdurchschnittlich agil. Mit der Darstellung seiner Krankheitsgeschichte ist der Patient einverstanden.


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Aufnahmebefund

Es zeigt sich eine sich über die gesamte rechte Skapula erstreckende, 20 × 30 cm große, livide, knotige Tumormasse mit kraterartig zerklüfteter Oberfläche, teils mit festhaftenden Hyperkeratosen und Fistelgängen, aus denen sich fötider eitriger Detritus entleert ([Abb. 1]). Durch den schmerzhaften Tumor bestand neben der lokalen Druckdolenz auch eine Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk.

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Abb. 1 91-jähriger Patient mit infiltrativ wachsendem Plattenepithelkarzinom der Haut (G2), Tumordicke > 20 mm, rechte Schulter.

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Befunde diagnostischer Untersuchungen

Histologisch zeigte sich ein spinozelluläres Karzinom (SCC) mit einer Tumordicke > 20 mm, G2, pT4 Nx M0. Die Staging-Untersuchung zeigte keinen Hinweis auf lokoregionäre Lymphknoten- oder Fernmetastasen.


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Therapie und Verlauf

Eine Sentinel-Lymphknotenexstirpation bei „high-risk“ SCC lehnte der Patient ab, jedoch bestand ein ausgeprägter Therapiewunsch bez. der Sanierung des Primärtumors. Aufgrund des hervorragenden Allgemeinzustandes des Patienten erfolgte eine radikale chirurgische Resektion des Tumors in Allgemeinanästhesie unter Mitnahme von Anteilen der Rotatorenmanschette und der Spina scapulae. In der lückenlosen Schnittrandkontrolle (3D-Histologie) konnte bis auf ein einzelnes fokales Knocheninfiltrat Tumorfreiheit nachgewiesen werden. Unter Berücksichtigung des Patientenwunsches, keine weitere Nachresektion durchzuführen, entschieden wir uns für eine Deckung mittels Mesh-Graft-Transplantation nach vorheriger Wundgrundkonditionierung durch Vakuum-Therapie ([Abb. 2]). Durch suffiziente Analgesie und physiotherapeutische funktionelle Übungen konnte eine schmerzfreie und uneingeschränkte Beweglichkeit im rechten Schultergelenk ohne jeglichen Kraftverlust erreicht werden. Die empfohlene adjuvante Radiatio wurde auf Wunsch des Patienten bislang nicht durchgeführt. Auch zwei Jahre postoperativ ist der Patient in sehr gutem Allgemeinzustand und klinisch rezidivfrei ohne Einbußen an Kraft oder Beweglichkeit im Schultergelenk ([Abb. 3]).

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Abb. 2 Wundheilung am 5. postoperativen Tag nach Wundgrundkonditionierung mittels Vakuumtherapie.
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Abb. 3 Abgeschlossene Wundheilung 3 Monate postoperativ bei Z. n. Defektdeckung mittels Mesh-Graft.

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Diskussion

Die Inzidenz nicht-melanozytärer Hauttumoren (NMSC) ist bei sehr alten Menschen hoch [1]. Sozialer Rückzug, Angst vor chirurgischen Eingriffen, psychiatrische Grunderkrankungen [2] und eine mitunter mangelhafte medizinische Versorgung in Altersheimen können eine ärztliche Konsultation bei Auftreten von NMSC stark verzögern. Die Therapie großer Hauttumoren bei Hochbetagten stellt eine Herausforderung für den Dermatologen dar. Hauttumoren mit langsamem Wachstumsverhalten sind histologisch meist als hochdifferenzierte Plattenepithelkarzinome oder Basalzellkarzinome einzuordnen. Das Metastasierungsrisiko dieser Tumoren ist i. d. R. niedrig [3], jedoch können Ulzeration und infiltratives Wachstum zur Zerstörung umliegender Strukturen führen. Damit verbunden sind Schmerzen und Funktionsverlust der betroffenen Region. Zudem besteht bei chronisch ulzerierenden Hautläsionen die Gefahr der bakteriellen Superinfektion, die schlimmstenfalls zu Sepsis und zum Tode führen kann. Selbst bei weniger dramatischem Verlauf verursachen Tumoren dieser Größe einen drastischen Verlust der Lebensqualität. Auch wenn die Gründe für das lange Zuwarten manchmal nicht nachvollziehbar sind, liegt es in der Verantwortung des behandelnden Arztes, eine Vertrauensbasis zu schaffen und unter Berücksichtigung des Allgemeinzustandes, der Komorbiditäten und des Patientenwunsches eine adäquate Therapie zu finden. Die chirurgische Therapie mit lückenloser mikrografischer Schnittrandkontrolle (3D-Histologie) ist bei ausgedehnten Hauttumoren aufgrund der geringen Rezidivrate die Methode der Wahl [3] [4]. Zudem ist eine adjuvante Radiatio großer NMSC eine geeignete Methode, das Rezidivrisiko zu minimieren [5]. Ist ein operativer Eingriff nicht möglich, so müssen andere therapeutische Möglichkeiten evaluiert werden. Hierbei kommt eine primäre Radiatio [5] oder die systemische Therapie mit Vismodegib im Falle eines Basalzellkarzinoms infrage [6]. In diesem Fall entschieden wir uns für eine chirurgische Therapie mit kurativem Ansatz. Die 3D-Histologie erlaubte hierbei eine nahezu vollständige Tumorresektion bei gleichzeitig maximalem Erhalt der Funktionalität. Grundsätzlich kann bei „high-risk“ SCC mit einer Tumordicke > 6 mm oder einem Tumordurchmesser > 2 cm nach Ausschluss lokoregionärer oder Fernmetastasen eine Exstirpation des Wächterlymphknotens (sentinel lymph node, SLN) in Betracht gezogen werden [7] [8]. Unser Patient entschied sich gegen eine Sentinel-Lymphknotenexstirpation, es werden jedoch regelmäßige klinische und sonografische Kontrollen der regionalen Lymphknotenstationen durchgeführt, die auch 2 Jahre postoperativ keinen Nachweis einer lokoregionären Lymphknotenmetastasierung erbrachten.

Hohes Alter ist per se keine Kontraindikation für ausgedehnte dermatochirurgische Eingriffe, sofern es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt. Die komplette chirurgische Entfernung nicht-melanozytärer Hauttumoren mit lückenloser histologischer Schnittrandkontrolle ist hierbei die Therapie der Wahl. Entscheidend ist es, zusammen mit dem Patienten ein therapeutisches Vorgehen zu wählen, das sowohl langfristige Tumorfreiheit, minimale Funktionseinschränkung als auch die höchstmögliche Lebensqualität gestattet.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Prävention von Hautkrebs. Langversion 1.1, 2014, AWMF Registernummer: 032/052OL. http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html (Zugriff am 04. 07. 2018)
  • 2 Pavan C, Bassetto F, Vindigni V. Psychological Aspects of a Patient with Neglected Skin Tumor of the Scalp. Plast Reconstr Surg Glob Open 2017; 5: e1395
  • 3 Breuninger H, Eigentler T, Bootz F. et al. S2k Kurzleitlinie – Plattenepithelkarzinom der Haut. J Dtsch Dermatol Ges 2013; 11 (Suppl. 03) 37-45 39 – 47
  • 4 Wollina U, Bayyoud Y, Kronert C. et al. Giant epithelial malignancies (Basal cell carcinoma, squamous cell carcinoma): a series of 20 tumors from a single center. J Cutan Aesthet Surg 2012; 5: 12-19
  • 5 Fort M, Guet S, Colson-Durand L. et al. Role of radiation therapy in non-melanoma cancers, lymphomas and sarcomas of the skin: Systematic review and best practice in 2016. Crit Rev Oncol Hematol 2016; 99: 200-213
  • 6 Sekulic A, Migden MR, Oro AE. et al. Efficacy and safety of vismodegib in advanced basal-cell carcinoma. N Engl J Med 2012; 366: 2171-2179
  • 7 Brantsch KD, Meisner C, Schonfisch B. et al. Analysis of risk factors determining prognosis of cutaneous squamous-cell carcinoma: a prospective study. Lancet Oncol 2008; 9: 713-720
  • 8 Lhote R, Lambert J, Lejeune J. et al. Sentinel Lymph Node Biopsy in Cutaneous Squamous Cell Carcinoma Series of 37 Cases and Systematic Review of the Literature. Acta Derm Venereol 2018; DOI: 10.2340/00015555-2942.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Andrea Baczako
Klinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums rechts der Isar, TU München
Biedersteinerstr. 29
80802 München

  • Literatur

  • 1 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Prävention von Hautkrebs. Langversion 1.1, 2014, AWMF Registernummer: 032/052OL. http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html (Zugriff am 04. 07. 2018)
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  • 8 Lhote R, Lambert J, Lejeune J. et al. Sentinel Lymph Node Biopsy in Cutaneous Squamous Cell Carcinoma Series of 37 Cases and Systematic Review of the Literature. Acta Derm Venereol 2018; DOI: 10.2340/00015555-2942.

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Abb. 1 91-jähriger Patient mit infiltrativ wachsendem Plattenepithelkarzinom der Haut (G2), Tumordicke > 20 mm, rechte Schulter.
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Abb. 2 Wundheilung am 5. postoperativen Tag nach Wundgrundkonditionierung mittels Vakuumtherapie.
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Abb. 3 Abgeschlossene Wundheilung 3 Monate postoperativ bei Z. n. Defektdeckung mittels Mesh-Graft.