Schlüsselwörter Gedächtnissprechstunde - Subjektive Gedächtnisbeeinträchtigungen - Demenzdiagnostik
- Lumbalpunktion
Key words memory clinic - subjective memory impairment - dementia diagnostics - lumbar puncture
Einleitung
In Gedächtnissprechstunden wird in der Regel ein sehr heterogenes Klientel vorstellig,
das Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen, anderen Hirnfunktionsstörungen,
psychischen Störungen sowie „gesunde Besorgte“ umfasst [1 ]. Zur Früh- und Differentialdiagnose der Alzheimer-Demenz gewinnen biomarkergestützte
Methoden wie die liquorbasierte Demenzdiagnostik mittels Lumbalpunktion (LP) eine
zunehmend größere Bedeutung [2 ]. Der fortschreitenden Entwicklung dieser biomarkergestützten Diagnostik steht allerdings
gegenüber, dass deren Anwendung – im Vergleich zur Durchführung nicht-invasiver und
vertrauterer Methoden – in Patientenbefragungen weniger akzeptiert ist [3 ], was sich auch in Durchführungs- bzw. Ablehnungshäufigkeiten [4 ] ausdrückt. Dies kann mit untersuchungsimmanenten Nebenwirkungen und Risiken der
LP zusammenhängen, aber auch die Bedeutung der individuellen Abwägung der Folgen einer
Frühdiagnostik [5 ] wird in diesem Zusammenhang diskutiert.
Bislang wurde nicht untersucht, ob Patientenmerkmale mit der Akzeptanz (i. S. einer
konkreten Einwilligung und Durchführung) einer invasiven biomarkergestützten Diagnostik
assoziiert sind. Hinweise auf mögliche Zusammenhänge finden sich in einer früheren
Arbeit von Boustani et al [6 ], aus der eine höhere Ablehnungsquote gegenüber einer erweiterten Demenzdiagnostik
bei Patienten mit besseren kognitiven Leistungen im Screening hervorging. Ebenso scheint
bei Patienten einer Gedächtnissprechstunde das subjektive Erleben kognitiver Insuffizienz – stärker
als objektivierbare kognitive Leistungsminderungen – in den Entscheidungsprozess zugunsten
einer diagnostischen Abklärung involviert zu sein [7 ]. Einen theoretischen Rahmen dieser Befunde bietet u. a. das Common Sense Model of
Illness Representation [8 ], das die individuelle Auseinandersetzung und Bewertung von Symptomen in Bezug zur
Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe sieht.
Das subjektive Erleben kognitiver Störungen ist Gegenstand eines zunehmenden Forschungsinteresses
an ersten symptomatischen Anzeichen des präklinischen Stadiums der Alzheimer-Erkrankung.
Die subjektive kognitive Verschlechterung (subjective cognitive decline, SCD), die
entsprechend den Forschungskriterien als vom Patienten erlebte Einbuße in mnestischen
und / oder nicht-mnestischen Funktionen bei normgerechter Leistung in neuropsychologischen
Tests definiert ist (weitere Voraussetzungen sind u. a., dass diese nicht durch eine
andere psychische Störung erklärbar ist), erwies sich in longitudinalen Studien als
Risikofaktor für einen fortschreitenden kognitiven Abbau entlang des Kontinuums zur
leichten kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) bis hin zur
Alzheimer-Demenz [9 ]. Andere Konzepte fokussierten hingegen spezifische Einbußen im Bereich des Gedächtnisses
(subjektive Gedächtnisbeeinträchtigungen, SGB) und differenzierten diese weiter nach
hierauf bezogener Besorgnis („memory concerns“) [10 ]. Die Definition von SGB setzte in einigen Studien jedoch – im Unterschied zu den
SCD-Forschungskriterien [9 ] – keinen normgerechten neuropsychologischen Status voraus, so dass auch Patienten
mit MCI und Demenzsyndrom anhand ihrer SGB charakterisiert wurden [11 ]. Wie aus der Studie von Jessen et al. [12 ] hervorgeht, waren SGB mit Besorgnis – gegenüber SGB ohne Besorgnis – mit einem signifikant
höheren Risiko für eine Konversion zu einer Demenz assoziiert, womit zumindest der
prädiktive Wert einer differenzierten Erfassung von SGB für den weiteren Verlauf unterstrichen
wurde.
Das Ziel der Studie ist es, Patienten einer Gedächtnissprechstunde im Hinblick auf
SGB und hiermit assoziierte Variablen zu beschreiben und zu explorieren, ob SGB sowie
weitere soziodemographische und klinische Merkmale mit der Adhärenz zu einer invasiven
und biomarkergestützten diagnostischen Maßnahme (LP) zusammenhängen. Aufgrund der
berichteten Befunde und theoretischer Erwägungen zur Bedeutung von subjektiven Faktoren
(v. a. Wahrnehmung und Bewertung von Symptomen) für die Inanspruchnahme medizinischer
Leistungen wird erwartet, dass SGB in Verbindung mit hierauf bezogener Besorgnis die
Entscheidungsbildung zugunsten einer Zustimmung zur LP begünstigt.
Methodik
Untersuchungsablauf und Patienten
An einer Gedächtnissprechstunde eines Fachklinikums für Psychiatrie und Psychotherapie
wurden zwischen November 2015 und August 2017 Patienten für eine Längsschnittstudie
(„Früherkennung und Differenzialdiagnose kognitiver Störungen in einer Gedächtnisambulanz“)
rekrutiert. Die Patienten durchliefen ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen im
ambulanten und teilstationären Rahmen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen entsprechend
der S3-Leitlinie Demenzen [13 ], ebenso wurden weitere Untersuchungen berücksichtigt [Abb. 1 ]
[
1
]. Die Studienteilnahme setzte eine fachärztliche Indikation für eine erweiterte Demenzabklärung,
Einwilligungsfähigkeit und ein Mindestalter von 51 Jahren voraus. Als Ausschlusskriterium
galt eine mehr als zwei Jahre bestehende Demenzdiagnose. Alle Patienten gaben vor
Studienbeginn ihre schriftliche Einwilligung. Die Studie wurde mit Zustimmung der
Ethikkommission der Landesärztekammer Hessen durchgeführt und ist im Deutschen Register
Klinischer Studien unter DRKS00010215 registriert.
Abb. 1 Untersuchungsablauf im ambulanten und tagesklinischen Rahmen
Variablen und deren Erfassung
Variablen und deren Erfassung
Subjektive Gedächtnisbeeinträchtigungen (SGB): Die Patienten wurden – in Anlehnung an Geerlings et al [10 ] – zu zwei Fragen interviewt: „Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Gedächtnis schlechter
geworden ist?“ (ja / nein), sowie „Falls ja, macht es Ihnen Sorgen?“ (ja / nein).
Auf dieser Grundlage wurden die Patienten „– unabhängig ihres neuropsychologischen
und diagnostischen (ICD-10) Status –“ drei Gruppen zugeordnet: keine SGB, SGB ohne
Besorgnis und SGB mit Besorgnis.
Kognitiver Leistungsstatus und Syndromschwere: Aus der neuropsychologischen Testbatterie CERAD-plus [14 ] wurden zwei globale Leistungsscores generiert: der Rohwert des Mini-Mental-Status-Test
(MMST) und ein aus der CERAD-Plus extrahierter Memory Total Score (CMTS) [15 ]. Die Clinical Dementia Rating Scale (CDR) [16 ] diente der Einschätzung des Demenzschweregrades.
Angst und Depressivität: Hierzu wurde die deutsche Version der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)
[17 ] eingesetzt, ergänzend wurde die Kurzform (15 Items) der Geriatrischen Depressionsskala
(GDS) [18 ] als Interview durchgeführt.
Weitere Untersuchungen und Variablen: Die Studienärzte waren instruiert, jedem Patienten eine LP anzubieten und diese – unter
Beachtung der Patientensouveränität – mit dem Empfehlungsgrad der S3-Leitlinie (Expertenkonsens,
„Kann“-Empfehlung) zu begründen. Die diesbezügliche standardisierte Aufklärung erfolgte
an Tag 1, die Einholung der Einwilligung und Durchführung an Tag 2. Ebenso wurde eine
Elektroenzephalographie und Magnetresonanz- oder kraniale Computertomographie angeboten,
die im Hinblick auf Durchführung vs. Ablehnung registriert wurden. Die Patienten wurden
syndromal klassifiziert in a) Subjektive kognitive Verschlechterung (subjective cognitive
decline. ohne neuropsychologisch nachweisbaren kognitiven Defizite entsprechend den
Forschungskriterien [9 ], b) MCI entweder ohne oder in Verbindung mit einer anderen psychischen Störung oder
c) Demenz nach den allgemeinen ICD-10 Syndromkriterien. Die Spezifizierung der Diagnose
erfolgte nach ICD-10.
Statistische Auswertung: Die Datenanalyse erfolgte mit dem Statistikprogramm R. Neben deskriptiven Statistiken
(Häufigkeiten, Mittelwerte ± Standardabweichung) und Gruppenvergleichen (Fishers exakter
Test, Mann-Whitney U-Test) wurde eine binäre logistische Regression zur Vorhersage
der Durchführung einer LP durch klinische und soziodemographische Merkmale vorgenommen.
Das Signifikanzniveau wurde auf P < 0,05 festgelegt.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Der [Tab. 1 ] sind die soziodemographischen und klinischen Charakteristika der Stichprobe zu entnehmen.
Tab. 1
Demographische und klinische Charakteristika der Patienten
Variable
M ± SD bzw. n
Alter [Jahre]
73,8 ± 8,3
Geschlecht [w / m]
27 / 17
Bildung [Jahre]
11,4 ± 3,0
Diagnose nach ICD-10
Alzheimer Demenz [F00.0 / F00.1 / F00.2]
Vaskuläre Demenz [F01.2 / F01.3]
Nicht näher bezeichnete Demenz [F03]
Sonstige Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund einer Krankheit, Schädigung
oder Funktionsstörung des Gehirns [F07.8]
Depressive Episode [F32.x / F33.x]
Keine ICD-10 F-Diagnose [Z03.x]
4 / 9 / 8
4 / 1
2
10 [
2
]
4 / 1
1
Kognitive Syndromdiagnose [SCD[
3
]
/MCI / Demenz]
1 / 15 / 28
Psychopathometrie:
3 / 13 / 28
24,0 ± 3,4
25,0 ± 5,5
6,2 ± 3,2
5,5 ± 4,5
6,0 ± 4,9
Gruppenvergleiche zwischen Patienten anhand ihrer subjektiven Gedächtnisbeeinträchtigungen
(SGB)
Aus [Abb. 2 ] geht die Klassifikation der Stichprobe anhand ihrer SGB hervor. Die Majorität der
Patienten war durch SGB mit Besorgnis (n = 29) charakterisiert, während n = 7 keine
SGB und n = 8 SGB ohne Besorgnis zeigten. Die nach Kategorien zusammengefassten ICD-10
Diagnosen verteilten sich über diese Gruppen wie folgt: SGB mit Besorgnis: F00.x (n = 13),
F01.x (n = 3), F03 (n = 2), F07.x (n = 7), F3 (n = 3) und Z03.x (n = 1); SGB ohne
Besorgnis: F00.x (n = 2), F01.x (n = 1), F07.x (n = 3) und F3 (n = 2); keine SGB:
F00.x (n = 6) und F01.x (n = 1). Hieraus geht auch hervor, dass der Anteil von Patienten
mit Demenzsyndrom (CDR ≥ 1) gegenüber solchen mit CDR < 1 (SCD und MCI) über die drei Gruppen ungleich verteilt war [Abb. 2 ]: ein Demenzsyndrom lag bei Patienten ohne SGB (n = 7, 100 %) im Vergleich zur Gruppe
SGB ohne Besorgnis (n = 3, 37,5 %) und SGB mit Besorgnis (n = 18, 62 %) überproportional
häufig vor (P = 0,033). Darüber hinaus zeigte sich, dass Patienten mit SGB und Besorgnis
(71,6 ± 9,2 Jahre) tendenziell jünger waren als Patienten ohne SGB (78,6 ± 4,5 Jahre)
und Patienten mit SGB ohne Besorgnis (77,8 ± 3,2 Jahre) (P jeweils < 0,1). Die Gruppe
SGB mit Besorgnis hatte gegenüber Patienten mit SGB ohne Besorgnis mehr Bildungsjahre
(12,2 ± 2,8 Bildungsjahre vs. 9,4 ± 3,1; P = 0,03), während der Unterschied zu Patienten
ohne SGB (10,0 ± 2,1) nur tendenziell (P = 0,059) ausfiel. Aus den neuropsychologischen
Maßen der Gruppen SGB mit Besorgnis (MMST: 24,1 ± 3,6; CMTS: 24,8 ± 5,6), SGB ohne
Besorgnis (24,0 ± 3,5; CMTS: 26,4 ± 5,1) und keine SGB (MMST: 23,3 ± 2,2; CMTS: 24,7 ± 6,4)
gingen keine bedeutsamen Differenzen hervor, ebenso bestanden keine signifikanten
Gruppenunterschiede in anderen klinischen Variablen (Angst, Depressivität).
Abb. 2 Häufigkeitsverteilung der Patienten im Hinblick auf subjektive Gedächtnisbeeinträchtigungen
unter Berücksichtigung der kognitiven Syndromdiagnose (Demenzsyndrom, MCI und SCD)
Assoziationen zwischen soziodemographischen und klinischen Charakteristika zur Adhärenz
diagnostischer Maßnahmen
Die Adhärenzquote zu allen in [Abb. 1 ] genannten diagnostischen Maßnahmen lag – mit Ausnahme der LP – bei jeweils 100 %.
Bei 4 Patienten mit oraler Antikoagulation konnte keine LP im Kontext der zweitägigen
teilstationären Abklärung durchgeführt werden. Von 40 verbliebenen Patienten lehnten
17 Patienten (42,5 %) die LP explizit ab, während diese bei 23 Patienten (57,5 %)
nach Einwilligung durchgeführt wurde.
Aus [Tab. 2 ] geht hervor, dass zur LP einwilligende Patienten tendenziell häufiger männlichen
Geschlechts waren und einen signifikant niedrigeren Gedächtnisscore (CMTS) als Patienten
der LP-ablehnenden Gruppe aufwiesen (P < 0,05). SGB erwiesen sich deskriptiv v. a.
dann mit der Einwilligung und Durchführung einer LP assoziiert, wenn sie mit Besorgnis
einhergingen. Dennoch erwies sich diese unterschiedliche Häufigkeitsverteilung als
statistisch nicht signifikant. Bei Zusammenfassung der beiden ersten Gruppen zu n = 14
(jeweils Patienten ohne Besorgnis) ergab sich im Vergleich zur Gruppe SGB mit Besorgnis
(n = 26) bei hypothesengeleiteter einseitiger Prüfung ein signifikanter Unterschied
(P = 0,044), der die höhere Rate von SGB mit Besorgnis bei LP-einwilligenden Patienten
ausdrückte. Ebenso wurde eine binär logistische Regressionsanalyse mit der Kriteriumsvariable
„LP durchgeführt“ (nein vs. ja) vorgenommen. Geschlecht, CERAD Memory Total Score
(CMTS) sowie SGB als dichotome Variable (mit Besorgnis: nein vs. ja) wurden als Prädiktoren
berücksichtigt. Das Regressionsmodell erwies sich als signifikant (Nagelkerke R2 = 0,405; Modell χ2
(3) = 14,354; P = 0,002), wobei Geschlecht (Wald χ2
(1) = 5,525; P = 0,019), der CMTS (Wald χ2
(1) = 4,373; P = 0,037) und SGB mit Besorgnis (Wald χ2
(1) = 4,008; P = 0,045) einen statistisch bedeutsamen Beitrag zu einer korrekten Zuordnung
von 75 % der Fälle leisteten.
Tab. 2.
Gruppenvergleich zwischen Patienten, die eine Lumbalpunktion (LP) ablehnten vs. lumbalpunktierten
Patienten[
4
]
Variable
LP
Inferenzstatistik
Abgelehnt (n = 17)
M ± SD bzw. n
Durchgeführt (n = 23)
M ± SD bzw. n
P-Werte (zweiseitig)
Alter [Jahre]
79,9 ± 8,4
72,3 ± 8,8
0,212
Geschlecht [w / m]
14 / 3
12 / 11
0,092
Bildung [Jahre]
10,9 ± 3,3
11,4 ± 2,6
0,813
Clinical Dementia Rating (CDR) [< 1 / ≥ 1]
8 / 9
6 / 17
0,198
Mini-Mental Status Examination (MMSE)
24,9 ± 3,5
23,1 ± 3,3
0,127
CERAD Memory Total Score (CMTS)
26,6 ± 6,2
23,7 ± 4,0
0,040
Geriatric Depression Scale (GDS)
6,3 ± 4,0
5,8 ± 2,8
0,762
4,8 ± 5,6
5,8 ± 3,8
0,169
5,3 ± 6,0
6,5 ± 4,6
0,206
Subjektive Gedächtnisbeeinträchtigungen (SGB)
(1) Keine SGB
(2) SGB ohne Besorgnis
(3) SGB mit Besorgnis
4
2
0,161
5
3
8
18
Diskussion
Die vorliegende Arbeit untersuchte, ob bei konsekutiv aufgenommenen Patienten einer
Gedächtnissprechstunde die Durchführung einer Lumbalpunktion (LP) im Rahmen einer
erweiterten Demenzdiagnostik mit soziodemographischen oder klinischen Merkmalen assoziiert
ist. Im Fokus der Betrachtung lag die Bedeutung von subjektiven Gedächtnisbeeinträchtigungen
(SGB).
Im Vergleich zu anderen vorgenommenen diagnostischen Maßnahmen (Neuropsychologie,
EEG, MRT) ging eine geringere Adhärenz für die LP hervor, womit vorliegende Befunde
unterstützt wurden [3 ]. Die beobachtete LP-Anwendungsquote (57,5 %) lag auch unterhalb derer aus anderen
Arbeiten, an größtenteils universitären Gedächtnissprechstunden [z. B. 19], so dass
diese Diskrepanz auch mit settingbezogenen Unterschieden (mit vergleichsweise hoher
Bereitschaft zur LP bei Patienten einer universitären Gedächtnissprechstunde [20 ]) erklärt werden könnte. Bei aufsuchenden Patienten einer Gedächtnisambulanz eines
psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsklinikums könnte diese Bereitschaft
geringer ausgeprägt sein, wenngleich die Repräsentativität bei unserer Stichprobe
gegenüber Studien mit Patienten aus rein universitären Einrichtungen eher gegeben
sein dürfte (ökologische Validität).
Die Analyse patientenbezogener Faktoren bestätigte unsere Hypothese, dass SGB mit
Besorgnis mit einer größeren Akzeptanz zur Durchführung einer LP einherging. LP-einwilligende
zeigten gegenüber LP-ablehnenden Patienten jedoch auch stärkere objektive Gedächtnisdefizite,
während andere Symptomdimensionen (Angst, Depression) als auch soziodemographische
Merkmale nicht differierten. Letzterer (negativer) Befund ist unter Vorbehalt zu interpretieren,
da die geringe statistische Power der Studie einen Typ-II-Fehler begünstigt. Andererseits
war diese zur Abbildung von Gruppenunterschieden zumindest in objektiven kognitiven
Dysfunktionen ausreichend, so dass der kognitiven Symptomatik möglicherweise eine
spezifischere Bedeutung für die Adhärenz zugunsten einer LP zukommt.
Eine Einordnung dieser Befunde im Zusammenhang anderer Studienergebnisse ist dadurch
limitiert, dass die Beziehung von SGB zur LP-Adhärenz bislang nicht untersucht wurde.
Eine aktuelle Arbeit [21 ] berichtet, dass Besorgnis vor einer Alzheimer-Demenz mit einer erhöhten Akzeptanz
zur Diagnostik einherging, auch für somatische Erkrankungen konnten entsprechende
Zusammenhänge gezeigt werden [22 ]. Die Befunde könnten dafür sprechen, dass eigens wahrgenommene und als gesundheitsbedrohlich
bewertete kognitive Symptome die Entscheidungsbildung zugunsten der Inanspruchnahme
weniger akzeptierter medizinischer Maßnahmen begünstigen [8 ]. Kritisch ist anzumerken, dass SGB in Studien sehr heterogen definiert und erfasst
werden [23 ]. Auch die Operationalisierung von Geerlings et al [10 ] ist unscharf, da nicht weiter differenziert wird, worauf sich die Sorgen angesichts
wahrgenommener SGB richten. Diese könnten subjektiv erlebte Auswirkungen im Alltag
(d. h. funktionelle Aspekte) betreffen oder sich auf eine zugrundliegende (Alzheimer-)
Pathologie im Sinne von „dementia worries“ [24 ] beziehen, wobei für letzteres Überlappungen zur Krankheitsangst („neurocognitive
hypochondriasis“ [25 ]) bestehen.
Es fiel auf, dass bei allen Patienten ohne SGB (16 %) eine Demenz vorlag. Diese Subgruppe
könnte Patienten mit einer Anosognosie für kognitive Defizite repräsentieren, wenngleich
andere Studien – bei jedoch sensitiverer Erfassung (z. B. mittels Diskrepanzscores
zwischen Selbsteinschätzung und neuropsychologischen Maßen) – höhere Prävalenzraten
(z. B. 42 % bei leichter Alzheimer-Demenz) berichten [26 ]. Bei den MCI-Patienten zeigte sich eine relative Häufigkeit von SGB mit Besorgnis
von 67 %. Dieser Anteil fiel deutlich größer aus als bei Jessen et al [27 ] (33 % der MCI-Patienten), die jedoch ausschließlich Patienten aus der hausärztlichen
Versorgung inkludierten.
Als Nebenbefund ging hervor, dass in unserer Stichprobe männliches Geschlecht mit
einer erhöhten Bereitschaft zur Durchführung einer LP einherging. Geschlechtseffekte
gingen bislang ausschließlich aus Studien hervor, die allgemeine Einstellungen zur
Frühdiagnostik untersuchten. Die Datenlage hierzu ist sehr heterogen mit vergleichbaren
[28 ] wie auch diametralen [21 ] Befunden. Ebenso ist kritisch anzumerken, dass eine statistische Kontrolle von Kovariaten
oder eine Analyse von Subgruppen (z. B. männlich und SGB mit Besorgnis) aufgrund der
Stichprobengröße nicht vorgenommen werden konnte.
Abschließend ist der diagnostische Wert der LP im Rahmen einer Gedächtnissprechstunde
hervorzuheben, da – wie auch die Diagnoseverteilung unserer Studienpatienten zeigte – Patienten
mit kognitiven Störungen vor dem Hintergrund gut behandelbarer (z. B. depressiver)
Erkrankungen hiermit zuverlässiger identifiziert werden können [2 ]. Hingegeben bedürfen SCD- und MCI-Patienten mit positivem Liquorbefund einer sensiblen
Aufklärung und Beratung, die nicht nur auf den erhöhten Risikostatus für einen (weiteren)
kognitiven Abbau ausgerichtet ist, sondern auch die Relevanz prospektiver Verlaufsdiagnostik
hervorhebt und über verlaufs- bzw. stadienabhängige psychosoziale wie psychopharmakologische
Therapieoptionen informiert.
Aus der Studie geht hervor, dass Patientencharakteristika einer subjektiven – mit
Besorgnis einhergehenden – und objektiven Gedächtnisbeeinträchtigung sowie auch das
Geschlecht die Einwilligung zu einer invasiven und im Allgemeinen weniger akzeptierten
biomarkergestützten Diagnostik wie der Lumbalpunktion mitbedingen. Darüber hinaus
wurde gezeigt, dass im Rahmen von Gedächtnissprechstunden Patienten mit kognitiven
Störungen vor dem Hintergrund gut behandelbarer (z.B. depressiver) Erkrankungen vorstellig
werden, die mittels der Lumbalpunktion zuverlässiger identifiziert werden können.
Danksagung
Wir danken Frau Stanislava Fockenberg (Fachärztin für Neurologie) und Herrn Diaa Rashid
(Facharzt für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) für die Erstuntersuchung
der Patienten, deren Zuweisung für die erweiterte Diagnostik im teilstationären Rahmen
sowie für die Aufklärung und das Einholen der Einwilligung zur Studienteilnahme und
Lumbalpunktion. Ebenso danken wir Frau Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Corinna Leonhardt
und Frau M.Sc.-Psych. Meike Engel für die Durchführung der neuropsychologischen Untersuchungen
und klinischen Ratings.