Einleitung
Die fokale dermale Hypoplasie (FDH, syn. Goltz-Gorlin-Syndrom, OMIM 305600) ist ein seltenes, X-chromosomal gekoppeltes, neuroektodermales Syndrom durch krankheitsursächliche Mutation im PORCN -Gen (OMIM 300651), welches eine wichtige Komponente des Wnt-Signalwegs darstellt. Der Wnt-Signalweg ist relevant für viele Vorgänge der Embryogenese, wie z. B. der Ausbildung der Körperachse (Primitivstreifen) und der Bildung von Organanlagen einschließlich Extremitäten, Haut und Zahnanlagen. Dabei ist die klinische Variabilität durch X-Inaktivierung und Mosaizismus sehr vielfältig und die Diagnose eine Herausforderung im klinischen Alltag, so auch im vorliegenden Fall.
Erstmals konnten Mutationen im PORCN- Gen auf dem X-Chromosom (Xp11.23) im Jahr 2007 als Ursache der FDH identifiziert werden, darunter immer wieder Deletionen [1 ]. Bislang sind über 100 verschiedene Mutationen beschrieben worden, ohne den Nachweis einer Phänotyp-Genotyp-Korrelation [2 ]. Die Erkrankung wird X-chromosomal dominant vererbt. Dabei tritt die krankheitsverursachende Mutation in ca. 95 % der Fälle de novo auf. Die Betroffenen sind in 90 % weiblichen Geschlechts [3 ]. Mosaikträger kommen jedoch bei beiden Geschlechtern vor und können unterschiedliche phänotypische Ausprägungen zeigen. Ca. 10 % der vom Mosaik Betroffenen sind Männer, die einen postzygotischen Mosaizismus (somatisches Mosaik) des PORCN -Gens aufweisen. Bei Frauen liegt durch die Inaktivierung jeweils eines X-Chromosoms in jeder Zelle generell ein funktioneller Mosaizismus vor [4 ]. Bei ihnen kann unabhängig davon auch ein somatisches Mosaik vorliegen. Männliche Mutationsträger sind meist nur dann lebensfähig, wenn sie mindestens ein zusätzliches X-Chromosom aufweisen (Klinefelter-Syndrom und dessen Varianten). Männliche Feten mit „Non-mosaic“-Mutation im PORCN- Gen sind meist bereits intrauterin nicht lebensfähig, sodass bei betroffenen Frauen gehäuft Fehlgeburten auftreten. Jedoch sind zwischenzeitlich bereits männliche Erkrankte beschrieben, welche eine de novo „Non-mosaic“-Mutation im PORCN -Gen aufwiesen, eine augenscheinlich funktionell milde Mutation mit X-chromosomal rezessivem Erbgang [5 ]. Das PORCN -Gen kodiert das 461 Aminosäuren umfassende 52 kDa große Enzym Protein-cysteine-N-palmitoyltransferase, welches die Palmitoylierung von WNT-Proteinen vermittelt [6 ]. Der WNT-Signalweg spielt eine wichtige Rolle bei der Embryonalentwicklung des Ektoderms und Mesoderms. Dies verdeutlicht, warum Mutationen im PORCN -Gen zu unterschiedlichen meso-ektodermalen Entwicklungsstörungen führen können [7 ].
Kasuistik
Wir berichten über eine 48-jährige Patientin, welche sich primär wegen eines seit ca. 2 Jahren bestehenden diffusen Haarausfalls ambulant dermatologisch vorstellte. Während der körperlichen Untersuchung fiel eine seit 6 Jahren bestehende, solitäre, makulöse Läsion von Porzellan-gelblicher Farbe mit zentraler Atrophie am linken äußeren Quadranten der linken Brust auf ([Abb. 1 ]). Unter dem klinischen Verdacht auf ein Xanthogranulom führten wir eine diagnostisch-therapeutische Exzisionsbiopsie durch. Histologisch konnten weder Entzündungsinfiltrate noch Schaumzellen nachgewiesen werden. Es zeigten sich eine atrophe Epidermis mit regulärer Schichtung sowie eine deutliche Hypoplasie des Koriums mit Rarefizierung der elastischen Fasern und Kollagenfasern ([Abb. 2 ] und [Abb. 3 ]). Histologisch wurde der Verdacht auf eine fokale dermale Hypoplasie (FDH) geäußert, da deren morphologische Kriterien erfüllt waren [8 ]. Differenzialdiagnostisch kamen histologischerseits insbesondere Anetodermien, Fettgewebshernien und sekundäre atrophisierende Veränderungen durch entzündliche Dermatosen in Betracht. Klinisch fanden sich bei der Patientin zunächst weitere mögliche Hinweise auf eine fokale dermale Hypoplasie, z. B. longitudinale Fissuren an Fingernägeln und schütteres Haar mit diffusem Effluvium. Diese klinischen Zeichen werden in der Literatur durchaus im Rahmen der fokalen dermalen Hypoplasie beschrieben. Anamnestisch gab die Patientin weiterhin „Wirbelblockaden“, Arthrose und HWS-Schmerzen an, die jedoch als degenerative Veränderungen und nicht als Hinweise auf eine Skelettbeteiligung i. R. e. FDH interpretiert wurden. Angeborene Wirbelanomalien und Kyphose bzw. Kyphoskoliose werden bei ca. 10 % der betroffenen Patienten berichtet, die oft erst im Erwachsenenalter Beschwerden verursachen [9 ]. Nicht nachweisbar waren bei der Patientin angeborene Malformationen der Extremitäten wie z. B. Syn- und Polydaktylien, Hypo- und Aplasien von Fingern und Zehen oder andere Entwicklungsanomalien. Anamnestisch bestanden zudem keine dentalen oder ophthalmologischen Auffälligkeiten.
Abb. 1 Klinische Präsentation der Patientin bei Erstvorstellung. Links: scharf begrenzter, zirkulärer, makulöser Herd, zentral eingesunken von Porzellan-gelblicher Farbe. Rechts: Detailaufnahme.
Abb. 2 Befund der histologischen Untersuchung läsionaler Haut (rechts) und im Vergleich nicht läsionaler, klinisch unauffälliger Haut im linken Bildausschnitt (HE-Färbung). Beachte die deutliche Ausdünnung der Dermis.
Abb. 3 Elastica-van-Gieson-Färbung. Im Vergleich gesunde (links) und läsionale Haut (rechts). Man beachte die Rarefizierung der elastischen Fasern.
Unter der klinischen und histologischen Verdachtsdiagnose einer FDH haben wir weiterführende Untersuchungen veranlasst. Eine molekulargenetische Untersuchung des PORCN- Gens in einer Blutprobe ergab keine relevante Mutation. Da jedoch ein somatisches Mosaik denkbar war, veranlassten wir zusätzliche molekulargenetische Untersuchungen an Paraffinmaterial aus läsionaler Haut. Diese zeigte keine pathogene Mutation des PORCN- Gens. Allerdings war die bereits im Blut detektierte heterozygote Normvariante c.329 + 94G > A nicht bzw. nicht voll heterozygot in allen untersuchten Gewebeanteilen nachweisbar, was auf den partiellen Verlust des Abschnitts hinweist, in dem die Normvariante lokalisiert ist. Der Befund sprach somit indirekt für eine somatische Deletion bzw. ein Mosaik in den untersuchten Gewebeproben. Das Ausmaß der vermuteten Deletion konnte mit dem angewandten Verfahren nicht näher bestimmt werden.
Diskussion
Klinische diagnostische Kriterien der FDH wurden 2016 von Bostwick und Kollegen vorgestellt und sind in [Tab. 1 ] aufgezählt. Zur Diagnose einer FDH sollen mindestens 3 charakteristische kutane Befunde sowie mindestens eine Malformation der Extremitäten vorliegen [3 ]. In Anlehnung an diese Diagnosekriterien erfüllt die hier vorgestellte Patientin ausschließlich die Hautkriterien, wobei auch diese, mit Ausnahme der Nageldystrophie, nicht kongenital beobachtet wurden.
Tab. 1
Klinische Diagnose-Kriterien der fokalen dermalen Hypoplasie [3 ]. Die Diagnose kann gestellt werden bei Vorliegen von mindestens 3 charakteristischen Hautbefunden sowie mindestens einer charakteristischen Extremitäten-Malformation.
Charakteristische Hautbefunde
Charakteristische Extremitätenmalformationen
kongenitale fleckförmige Hautatrophie
Ektrodaktylie
kongenitale knotige Fettherniation
transverse Extremitätendefekte
kongenitale blaschkolineare Hyper- oder Hypopigmentierungen
Syndaktylie
Teleangiektasien
Oligodaktylie
kongenitale dysplastische Nägel
auffällige Verkürzung der Röhrenknochen
Der FDH liegen Mutationen im PORCN -Gen zugrunde, welche zu diversen meso-ektodermalen Entwicklungsstörungen führen können. Die charakteristischen ektodermalen Ausprägungen zeigen sich an der Haut als umschriebene Atrophien oder hypoplastische Patches, die oft den Blaschko-Linien folgen, sowie als weiche, gelbliche Noduli durch hernienartige Vorwölbung des Fettgewebes. Ferner werden Hypo- und Hyperpigmentierungen, Nägel mit Dystrophien oder Fissurenbildung, Teleangiektasien im Gesicht oder am Integument, schüttere Kopfbehaarung oder Alopezie-Herde sowie verruköse Papillome der Haut und Schleimhäute beschrieben. Neben der Haut kann die Hypoplasie auch den Zahnapparat betreffen. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen weisen Zahnanomalien wie Zahnschmelzdefekte, Hakenzähne oder Hypodontie auf. Bei ca. 50 % der Fälle kommt es zur Augenbeteiligung (Iriskolobome, Mikrophthalmie, Anophthalmie, Strabismus, Nystagmus, Katarakte). Bei bis zu 90 % wird als Zeichen der mesodermalen Ausprägung eine Skelettbeteiligung beschrieben: Syn- und Oligodaktylien, Ektrodaktylie, Reduktionsfehlbildungen der Röhrenknochen, Hypo- und Aplasien von Fingern und Zehen, Kyphose, Skoliose, Spina bifida, Wirbelanomalien, Fehlbildungen der Claviculae und Rippen, Längsstreifung der Metaphysen langer Röhrenknochen (Osteopathia striata) und kraniofaziale Anomalien wie Lippen- und Gaumenspalte [3 ]. Die klinischen Manifestationen können bei Geburt vorhanden sein oder auch erst in späteren Lebensjahren manifest bzw. auffällig werden. Eine durchschnittlich mildere Ausprägung wird bei den betroffenen Männern durch den Mosaizismus beobachtet, wenngleich auch schwere phänotypische Ausprägungen bei Männern mit einem Mosaizismus der PORCN -Gen-Mutation beschrieben sind [10 ]. Der Grad der phänotypischen Ausprägung kann durch Mosaizismus oder ungleiche X-Inaktivierung auch bei den betroffenen Frauen stark variieren [9 ].
In unserem Fall fanden sich Hinweise für das Vorliegen eines somatischen Mosaiks als Ursache einer histologisch und klinisch FDH-typischen Hautläsion. Die Hautläsion war der Patientin erstmals vor 6 Jahren aufgefallen – dies schließt eine fokale dermale Hypoplasie nicht vollständig aus, da die klinische Manifestation eines somatischen Mosaiks durchaus auch in späteren Lebensjahren auftreten bzw. auffällig werden kann, sollte aber auch an andere erworbene Erkrankungen als Differenzialdiagnosen denken lassen. Insbesondere kommen hier die
Anetodermien
in Betracht. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe seltener, erworbener Bindegewebsveränderungen, die durch umschriebenen Verlust der dermalen elastischen Fasern als lokalisierte atrophe, weißliche, rundliche Läsionen mit gefältelter Haut und hernienartiger Ausstülpung des subkutanen Fettgewebes gekennzeichnet sind. In der Literatur wird die primär idiopathische Anetodermie von der sekundären Form unterschieden, die im Rahmen entzündlicher Dermatosen oder Infektionen im Bereich der betroffenen Hautregionen postinflammatorisch auftreten kann [11 ]. Die Anetodermie ist als valide klinische und histologische Differenzialdiagnose in unserem Fallbeispiel zu erwägen, und es muss generell diskutiert werden, ob publizierte Fälle einer Anetodermie in der Vergangenheit nicht evtl. doch auch Fälle einer FDH umfassten, welche durch Analyse des PORCN -Gens hätten detektiert werden können. Histologisch unterscheidet sich die primäre Anetodermie nicht wesentlich von den morphologischen Kriterien der FDH und bei beiden Erkrankungen ist eine enge klinisch-pathologische Korrelation der Befunde erforderlich. Der hier dargestellte Fall soll die Schwierigkeit der Diagnosestellung der FDH illustrieren und einen Fall diskutieren, der die Diagnosekriterien der Erkrankungen nur unvollständig erfüllt, jedoch genetische Hinweise auf einen Mosaizismus in der läsionalen Haut aufweist.