Erfahrungsheilkunde 2018; 67(06): 321
DOI: 10.1055/a-0602-0741
Editorial
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„Es scheint mir, daß allein der Zustand der Schwangerschaft uns immer wieder an’s Leben anbindet.“

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller
Volker Schmiedel
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Publication Date:
02 January 2019 (online)

Die berühmte Venus von Willendorf ist eines der ersten Kunstwerke der Menschheit überhaupt und stellte mit ihren überzeichneten Geschlechtsmerkmalen wohl eine Schwangere im Rahmen eines urzeitlichen Fruchtbarkeitskultes dar. Es zeigt die überragende Bedeutung der Schwangerschaft für das Leben und Überleben von menschlichen Gemeinschaften. Wir haben uns dem Thema in diesem Heft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln genähert.

Die Basis für eine gelingende Schwangerschaft ist eine gute Versorgung von Mutter und Kind mit den wichtigen Nährstoffen in adäquater Zusammensetzung. Während sich die Gabe von Folsäure nach meiner Erfahrung flächendeckend durchgesetzt hat, wird vielen anderen für die Schwangerschaft absolut essenziellen Nährstoffen immer noch nicht die notwendige Zuwendung zuteil. Das wird sich mit diesem Beitrag hoffentlich ein Stück weit bessern.

Neben dem „Grobstofflichen“ (Nährstoffe) wollen wir uns auch dem „Feinstofflichen“ (Homöopathie) zuwenden. Hier haben die Jünger Hahnemanns eine Vielzahl von Mitteln bei unterschiedlichsten Schwangerschafts- und Geburtsproblemen zu bieten. Schwangere und Hebammen lieben diese sanfte Medizin und wegen Nebenwirkungen von Medikamenten brauchen wir uns hier in aller Regel auch keine Sorgen machen.

Während weltweit die Überbevölkerung immer noch ein großes Problem darstellt, plagen sich hier viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. Man hat mittlerweile den Eindruck, dass eine richtige „Fertilitätsindustrie“ mit hohen Kosten, teilweise starken Nebenwirkungen und für den enormen Aufwand relativ niedrigen „baby-take-home“-Raten entstanden ist. Dabei kann man mit naturheilkundlichen Maßnahmen – komplementär oder alternativ – oft im wahrsten Sinne des Wortes fruchtbare Erfolge verzeichnen.

Dass Naturheilkunde nicht immer völlig nebenwirkungsfrei und unbedenklich sein muss, zeigt uns ein Beitrag über die Sicherheit von Phytotherapie in der Schwangerschaft. Zwar sind Risiken und Nebenwirkungen von Phytopharmaka sehr selten und gering, aber der Therapeut sollte diese in jedem Fall kennen und beachten, um im Sinne des hippokratischen „primum nihil nocere“ der Schwangeren und dem Kind auf keinen Fall Schaden zuzufügen.

Die Geburt stellt die erste, schwere Verletzung eines Menschen dar. Und auch für die werdende Mutter kann der Prozess, z. B. durch protrahierten Geburtsverlauf oder besondere Schwere der Wehen als sehr traumatisch wahrgenommen werden. Prä-, peri- und postpartale Traumata sollen daher in diesem Artikel thematisiert werden.

Ein für mich das Thema abschließender und besonders wichtiger Artikel ist ein ethisch-philosophischer Beitrag. Ist alles, was diagnostisch und therapeutisch machbar ist, auch tatsächlich geboten? Kann man eine Diagnostik auch einmal ablehnen? Im ärztlichen Gespräch ist oft nicht die Zeit, sich (vorher!) über die Konsequenzen eines positiven Befundes einer Pränataldiagnostik klar zu werden. Besonders hat mich gefreut, dass dieser kritische Artikel ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Keine der Maßnahmen wird abgelehnt, aber Ärzte, Eltern und alle anderen sollten sich vielleicht mehr mit den individuellen und auch den gesellschaftlichen Folgen der über Leben und Tod bestimmenden Techniken auseinandersetzen.

Zum Abschluss erhoffe ich mir, dass das vorliegende Heft keine „schwere Geburt“ wird, sondern bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik wir doch über eine der schönsten Sachen der Welt reden – entstehendes Leben und die Freude, die damit für alle Beteiligten verbunden ist.

Herzlichst Ihr
Dr. Volker Schmiedel