IV Leitlinie
1 Einleitung
Die Begleitung von Paaren mit WSA ist eine diagnostische und therapeutische Herausforderung, da nur wenige Ursachen für das Auftreten von WSA bekannt sind und bei einem Großteil der Betroffenen kein Risikofaktor identifiziert werden kann.
2 Inzidenz und Definition
Etwa 1 bis 3% aller Paare im reproduktionsfähigen Alter erleben den wiederholten Verlust einer Schwangerschaft [4]. Eine Fehlgeburt ist der Verlust einer Schwangerschaft vom Beginn der Konzeption bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) bzw. bei einem Gewicht des Fetus < 500 g [5]. Die World Health Organization-(WHO-)Definition des wiederholten Spontanaborts lautet: „drei und mehr konsekutive Fehlgeburten vor der 20. SSW“ [5]. Die amerikanische Fachgesellschaft (ASRM) definiert bereits das Vorkommen von 2 konsekutiven Aborten als WSA [3], [6]. Diese Definition erhöht die Inzidenz des WSA auf bis zu 5% aller Paare im reproduktionsfähigen Alter [7]. In der vorliegenden Leitlinie dient die WHO-Definition (≥ 3 konsekutive Spontanaborte) als Grundlage für die Empfehlung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen.
Falls noch keine Lebendgeburt stattgefunden hat, spricht man von primären WSA, nach einer stattgehabten Lebendgeburt von sekundären WSA [8]. Eine andere Unterteilung, welche sich auf den Ablauf der Fehlgeburten bezieht, unterteilt nach wiederholten embryonalen Schwangerschaftsverlusten (Abortivei) und fetalen Schwangerschaftsverlusten (sonografisch nachweisbare Herzaktion bzw. histologisch nachweisbarer Embryo) [3].
Das Wiederholungsrisiko von Fehlgeburten schwankt in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren erheblich. Dabei nimmt neben dem Alter der Patientin auch die Anzahl der vorangegangenen Aborte Einfluss. [Tab. 4] zeigt die Daten einer retrospektiven Registerstudie [9].
Tab. 4 Wiederholungsrisiko von Fehlgeburten in Abhängigkeit vom maternalen Alter und der Anzahl vorangegangener Aborte nach Nybo-Andersen et al. [9].
vorausgegangene Aborte
|
Wiederholungsrisiko
|
25 – 29 Jahre
|
30 – 34 Jahre
|
35 – 39 Jahre
|
40 – 44 Jahre
|
1 Abort
|
~ 15%
|
~ 16 – 18%
|
~ 21 – 23%
|
~ 40%
|
2 Aborte
|
~ 22 – 24%
|
~ 23 – 26%
|
~ 25 – 30%
|
~ 40 – 44%
|
≥ 3 Aborte
|
~ 40 – 42%
|
~ 38 – 40%
|
~ 40 – 45%
|
~ 60 – 65%
|
3 Diagnose und Therapie relevanter Risikofaktoren
3.1 Lebensstil und Verhalten
3.1.1 Stress
Einige Studien deuten darauf hin, dass Stress während der Schwangerschaft möglicherweise mit einem erhöhten Risiko eines ungünstigen Schwangerschaftsverlaufs assoziiert ist. Eine Fallkontrollstudie an 45 Patienten mit WSA schlussfolgerte, dass die Stressniveaus im Vergleich zu 40 Kontrollpatientinnen höher sind [10]. Dies konnte ebenfalls in einer Studie mit 301 WSA-Patientinnen (definiert als ≥ 3 Aborte) im Vergleich zu Frauen mit Kinderwunsch nachgewiesen werden [11]. Nach aktueller Datenlage kann aufgrund der geringen Fallzahl der Studien nicht geschlossen werden, dass das Abortrisiko durch Stress erhöht wird.
3.1.2 Koffeinkonsum
Wenige Beobachtungsstudien zeigen eine dosisabhängige Beziehung zwischen Koffeinaufnahme und spätem Schwangerschaftsverlust [12]. Eine größere Fallkontrollstudie konnte ebenfalls einen Effekt der Koffeinaufnahme auf frühe Fehlgeburten nachweisen [13]. Eine weitere retrospektive Fallkontrollstudie demonstrierte eine signifikante Steigerung des Risikos für WSA durch Koffeinkonsum während der perikonzeptionellen Phase und in der frühen Schwangerschaft. Eine lineare Assoziation zwischen der Höhe der Koffeinaufnahme und dem Risiko für WSA konnte gezeigt werden [14].
3.1.3 Nikotin- und Alkoholkonsum
Zwischen Nikotinkonsum und einem ungünstigen geburtshilflichen sowie neonatalem Verlauf wie z. B. Eileiterschwangerschaft, Totgeburt, Placenta praevia, Frühgeburt, geringes Geburtsgewicht und angeborene Fehlbildungen, besteht eine starke Assoziation. Eine Einstellung des Rauchens ist somit allen Schwangeren zu empfehlen [15]. Der Einfluss des Rauchens bzw. einer Beendigung des Rauchens auf das Risiko für WSA ist unklar. In einer retrospektiven Studie wurden 326 WSA-Patientinnen mit 400 Kontrollpatientinnen mit wenigstens einer Lebendgeburt verglichen. Es zeigte sich, dass bereits Passivrauchen das Risiko für WSA signifikant erhöhte [16]. Eine weitere Arbeit kommt zum Ergebnis, dass mütterlicher Nikotin-, Alkohol- oder auch Kaffeekonsum nicht mit einer erhöhten Eintrittswahrscheinlichkeit für WSA assoziiert ist [17].
Eine prospektive Studie, die den Einfluss des paternalen Rauchens auf das Abortrisiko bewertete, untersuchte 526 Paare und konnte nachweisen, dass bei starkem Tabakkonsum (> 20 Zigaretten täglich) ein größeres Risiko für einen frühen Abort besteht. Starkes Rauchen (mehr als 20 Zigaretten täglich) zeigte einen signifikant größeren Effekt als moderates Rauchen (< 20 Zigaretten täglich) [18]. Studien zum Effekt einer Beendigung des Rauchens auf die Chance einer Lebendgeburt bei WSA-Paaren liegen nicht vor.
3.2 Genetische Faktoren
3.2.1 Chromosomenstörungen
Die häufigste Ursache für Spontanaborte stellen embryonale/fetale Chromosomenaberrationen dar [19], [20]. Je früher ein Abort eintritt, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer embryonalen/fetalen Chromosomenstörung [21]. Mit zunehmendem mütterlichen Alter steigt das Risiko für embryonale/fetale Trisomien aufgrund von Chromosomenaberrationen. Am häufigsten zeigt sich bei Aborten die Trisomie 16, gefolgt von der Trisomie 22. Triploidien finden sich bei etwa 15% der zytogenetisch auffälligen Aborte. Eine Monosomie X ist für etwa 20% der Aborte im 1. Trimenon verantwortlich. Für die Monosomie X, Polyploidien und strukturelle Chromosomenaberrationen ist kein Zusammenhang mit dem mütterlichen Alter erkennbar [22]. Bei Paaren mit 2 oder mehr Aborten lässt sich in etwa 4% bis 5% der Fälle bei einem Partner eine balancierte Chromosomenaberration nachweisen [23]. Bei knapp einem Prozent der Schwangerschaften ist mit einem unbalancierten Chromosomensatz in der Pränataldiagnostik oder nach Geburt zu rechnen [24], [25].
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E1
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine zytogenetische Analyse erfolgen. Diese kann mittels einer Chromosomenanalyse beider Partner präkonzeptionell oder aus dem Abortmaterial erfolgen.
|
Der Anteil der Aborte, bei denen keine entsprechende Analyse mehr möglich ist, liegt bei ca. 18% für die klassische Chromosomenanalyse und bei ca. 5% für eine Array-Analyse [26]. Insgesamt können durch molekularzytogenetische Analysen nur in etwa 5% der Fälle zusätzliche Chromosomenaberrationen detektiert werden, sodass ein routinemäßiger Einsatz der Array-Analyse zur Klärung von Abortursachen derzeit nicht sinnvoll ist [26].
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E2
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Nachweis einer strukturellen Chromosomenstörung im Abortmaterial soll eine zytogenetische Untersuchung beider Partner erfolgen. Das Ergebnis soll im Rahmen einer genetischen Beratung entsprechend der nationalen gesetzlichen Regelungen durch Beratung durch einen Facharzt/ärztin für Humangenetik oder einen Arzt/Ärztin mit entsprechender Qualifikation mitgeteilt werden.
|
Konsensbasiertes Statement 3-2.S1
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Wird bei einem der Partner eine balancierte Chromosomenveränderung nachgewiesen, erhöht sich in Abhängigkeit von den beteiligten Chromosomen das Risiko für Aborte oder für die Geburt eines Kindes mit einer Chromosomenstörung. Hieraus ergeben sich Konsequenzen für das Angebot einer pränatalen Diagnostik in weiteren Schwangerschaften.
|
3.2.2 Monogene Krankheiten
Insbesondere bei X-chromosomal-dominanten Krankheitsbildern mit Letalität im männlichen Geschlecht besteht ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten. Aber auch bei autosomal-dominanten und -rezessiven Krankheitsbildern, die schwere Fehlbildungen aufweisen, kann es zu einer erhöhten intrauterinen Mortalität kommen. In diesen Fällen, insbesondere wenn das Krankheitsbild pränatal nicht identifiziert wurde, sollte eine klinisch-genetische und pathologische Untersuchung des Feten erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E3
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Hinweisen auf eine monogene Krankheit als Abortursache soll eine genetische Abklärung im Rahmen einer humangenetischen Beratung erfolgen.
|
3.2.3 Ergebnisse von Assoziationsstudien
Zahlreiche Studien deuten auf mögliche maternale, paternale oder fetale genetische Effekte hin, die aber bisher nur einen geringen Einfluss auf das Abortrisiko haben [27].
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E4
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine molekulargenetische Analyse von Genvarianten, die bislang im Rahmen von Assoziationsstudien ermittelt wurden, soll bei Paaren mit WSA nicht durchgeführt werden.
|
3.2.5 Therapeutische Optionen
Eine ursächliche Therapie von Chromosomenaberrationen ist nicht möglich. Die bisherigen Studien geben keinen Hinweis darauf, dass durch PGS nach IVF im Vergleich zu Spontanschwangerschaften bei Frauen mit WSA erhöhte LGR erzielt werden, auch nicht bei Paaren, die durch eine balancierte Chromosomenaberration bei einem Partner genetisch vorbelastet sind. Weder in der ESHRE- und RCOG-Leitlinie noch in der ASRM-Stellungnahme wird eine Präimplantationsdiagnostik bei Paaren mit WSA empfohlen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-2.E5
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Paaren mit WSA ohne Nachweis einer familiären Chromosomenstörung oder monogenen Krankheit soll eine Präimplantationsdiagnostik zum Zwecke der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
|
3.3 Anatomische Faktoren
3.3.1 Diagnostik anatomische Faktoren
3.3.1.1 Angeborene Fehlbildungen
Die Prävalenz einer angeborenen (Uterusfehlbildung) oder erworbenen (Adhäsion, Polyp, submuköses Myom) intrauterinen Pathologie unterscheidet sich bei der Hysteroskopie von Patientinnen nach 2, 3 und ≥ 4 konsekutiven Aborten nicht [28]. Anerkannt ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Aborten beim Uterus subseptus. Die Ursache für diesen Zusammenhang ist unbekannt [29]. Inwieweit ein Zusammenhang von WSA mit anderen Uterusfehlbildungen wie einem Uterus arcuatus oder Uterus bicornis besteht, ist unklar. Ludwin et al. [30] beschrieben für die Sonohysterografie (SHG) – verglichen mit der Hysterosalpingografie (HSG) bzw. Hysteroskopie – signifikant bessere Ergebnisse in der Diagnostik angeborener Uterusfehlbildungen. Allerdings sind Aussagen zum Vergleich der diagnostischen Methoden schwierig zu bewerten, weil selbst dann, wenn Hysteroskopievideos erfahrenen internationalen Untersuchern vorgelegt wurden, eine erhebliche Abweichung in der Befundung nachweisbar ist [31]. Zur Diagnostik einer Uterusfehlbildung muss individuell entschieden werden, ob eine Hysteroskopie – ggf. in Kombination mit einer Laparoskopie bzw. 3-D-Sonografie – erforderlich ist [32]. Die 3-D-Sonografie wird für die Diagnostik von Uterusfehlbildungen in Risikokollektiven und ein MRT sowie endoskopische Untersuchungen bei diagnostischen Problemen oder vermuteten komplexen Fehlbildungen empfohlen [33].
3.3.1.2 Erworbene Fehlbildungen
Eine Metaanalyse von 19 Beobachtungsstudien zeigte – allerdings in IVF-Zyklen – für intramurale Myome ohne submukösen Anteil eine statistisch nicht signifikant höhere Abortrate (relatives Risiko [RR] 1,24; 95%-KI: 0,99 – 1,57) [34]. In einer Auswertung retro- und prospektiver Daten von Patientinnen mit WSA lag die Inzidenz submuköser Myome bei 2,6% (25/966) [35]. Die Studiendaten lassen einen Zusammenhang zwischen submukösen Myomen und dem Auftreten von Aborten vermuten, sind aber von niedriger Qualität. Eine Cochrane-Analyse mit nur wenigen Studien zeigte keine signifikante Reduktion des Abortrisikos nach Myomresektion (intramural: OR 0,89; 95%-KI 0,14 – 5,48), submukös: OR 0,63; 95%-KI 0,09 – 4,40) [36].
Inwieweit auch Polypen als intrakavitäre Pathologie in Analogie zu den submukösen Myomen das Abortrisiko beeinflussen, ist unklar.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E6
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Zum Ausschluss einer Uterusfehlbildung, submuköser Myome und Polypen soll bei Frauen mit WSA eine qualifizierte Vaginalsonografie und/oder eine Hysteroskopie durchgeführt werden. Zum Ausschluss von intrauterinen Adhäsionen soll eine Hysteroskopie durchgeführt werden.
|
3.3.2 Therapie anatomischer Faktoren
Bei Frauen mit WSA und Uterusseptum soll eine hysteroskopische Septumdissektion durchgeführt werden [37]. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 zeigte, dass bislang jedoch keine randomisierten Studien zum Therapieeffekt einer Septumdissektion durchgeführt wurden [38]. Retrospektive unkontrollierte Studien legen allerdings einen Vorteil der operativen Intervention nahe. Die postoperative Heilungsphase liegt bei etwa 2 Monaten [39], sodass danach nichts gegen eine erneute Schwangerschaft spricht. Bei anderen Uterusfehlbildungen wie dem Uterus bicornis, Uterus didelphys und Uterus arcuatus ist eine operative Intervention nicht indiziert [40] – [42].
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E7
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und Uterusseptum soll eine hysteroskopische Septumdissektion durchgeführt werden.
|
Therapie der Wahl intrauteriner Adhäsionen ist die hysteroskopische Adhäsiolyse [43]. Ob intrauterine Adhäsionen generell oder ab welchem Grad sie das Abortrisiko beeinflussen bzw. eine Adhäsiolyse dieses senkt, ist allerdings unklar.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E8
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und intrauterinen Adhäsionen soll eine hysteroskopische Adhäsiolyse durchgeführt werden.
|
Randomisierte Studien zum therapeutischen Nutzen einer Myomresektion bei Frauen mit WSA existieren nicht.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E9
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und submukösen Myomen sollte eine operative Resektion durchgeführt werden.
|
Eine Metaanalyse zeigte, dass die hysteroskopische Resektion im Ultraschall darstellbarer intrauteriner Polypen vor einer intrauterinen Insemination die klinische Schwangerschaftsrate steigern kann [44]. Gibt es keine andere Erklärung für die WSA, kann die Resektion persistierender Polypen erwogen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3-3.E10
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und persistierenden Polypen sollte eine hysteroskopische Resektion zum Zweck der Abortprophylaxe durchgeführt werden.
|
3.4 Mikrobiologische Faktoren
3.4.1 Diagnostik mikrobiologischer Faktoren
Wegen des unklaren Zusammenhanges zwischen Infektionen und WSA wird ein generelles Screening auf vaginale Infektionen außerhalb der im Rahmen der Schwangerenvorsorge üblichen Abklärungen nicht empfohlen. Allerdings findet sich bei 7 bis 67% ansonsten symptomloser Frauen mit WSA sowie bei 30 bis 66% der Frauen mit wiederholtem Implantationsversagen eine chronische Endometritis, nachgewiesen durch Plasmazellen im Endometriumbiopsat [45], [46], [47], [48], [49]. Bei Frauen mit WSA kann eine Endometriumbiopsie zum Ausschluss einer chronischen Endometritis (mithilfe einer immunhistochemischen Untersuchung des Plasmazell-spezifischen Antigens CD138) durchgeführt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E11
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Ein infektiologisches Screening durch Vaginalabstriche soll bei asymptomatischen Frauen mit WSA nicht durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E12
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA kann eine Endometriumbiopsie zum Ausschluss einer chronischen Endometritis (mithilfe einer immunhistochemischen Untersuchung des Plasmazell-spezifischen Antigens CD138) durchgeführt werden.
|
3.4.2 Therapie mikrobiologischer Faktoren
Im Rahmen einer Schwangerschaft sollte bei Verdacht auf eine vaginale Infektion eine adäquate Abklärung und Therapie erfolgen [50], [51]. Bei einer chronischen Endometritis kann eine antibiotische Therapie mit Doxycyclin (z. B. 200 mg 1 – 0 – 0 über 14 Tage) und im Falle einer Persistenz bei weiterhin nachweisbaren Plasmazellen z. B. mit Ciprofloxacin mit/ohne Metronidazol angewandt werden [45].
Konsensbasierte Empfehlung 3-4.E13
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und chronischer Endometritis kann zum Zweck der Abortprophylaxe eine antibiotische Therapie durchgeführt werden.
|
3.5 Endokrine Faktoren
3.5.1 Diagnostik endokriner Faktoren
Eine manifeste Hyperthyreose ist gemäß einer retrospektiven Analyse mit erhöhten Abortraten assoziiert [52]. Gleiches gilt für manifeste Hypothyreosen. Unklar ist jedoch, ob auch latente Hypothyreosen, d. h. Erhöhungen der TSH-Konzentrationen bei normwertigen Schilddrüsenhormon-Konzentrationen das Abortrisiko erhöhen. Bei Frauen mit WSA wurde gemäß einer Metaanalyse von 2 Studien keine geringere LGR bei einer TSH-Konzentration > 2,5 mU/L beschrieben [53]. Erhöhte Schilddrüsenautoantikörper scheinen mit erhöhten Spontanabortraten assoziiert zu sein [54]. Ein PCOS und die damit oft einhergehende Hyperandrogenämie [55], Insulinresistenz [56], [57] und Diabetes [58] sind mit einer erhöhten Abortneigung assoziiert. Das PCOS per se ist kein prädiktiver Faktor für einen Abort oder WSA [59], wogegen eine Adipositas als solche die Abortrate zu erhöhen scheint.
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E14
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA sollen zur endokrinologischen Abklärung TSH und bei auffälligen TSH-Werten zusätzlich fT3, fT4 sowie die Schilddrüsenautoantikörperkonzentrationen bestimmt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E15
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA sollte der BMI bestimmt werden. Bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 kann ein metabolisches Syndrom abgeklärt werden.
|
3.5.2 Therapie endokriner Faktoren
Eine manifeste Schilddrüsenüber- oder unterfunktion soll grundsätzlich diagnostiziert und therapiert werden. Eine Metaanalyse von Studien an IVF-Patientinnen mit erhöhten Schilddrüsenautoantikörpern (WSA kein Einschlusskriterium) bzw. Schwangeren mit erhöhten TPO-Antikörpern zeigte, dass eine Schilddrüsenhormonsubstitution die Abortrate senkt [54]. Eine Aussage zur LGR wurde nicht getroffen. Andere Studien konnten einen solchen Effekt allerdings nicht nachweisen, z. B. Negro et al., 2016 [60]. Möglicherweise profitieren daher Patientinnen mit WSA und TPO-Autoantikörpern von einer Schilddrüsenhormonsubstitution hinsichtlich der Abortrate, allerdings existieren bislang keine spezifischen Daten für Patientinnen mit WSA.
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E16
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Eine manifeste Hypo- oder Hyperthyreose soll präkonzeptionell therapiert werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E17
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und einer latenten Hypothyreose, d. h. pathologisch erhöhten TSH-Konzentrationen bei noch normwertigen fT3 und fT4-Konzentrationen oder bei Vorliegen von TPO-Autoantikörpern, kann eine Schilddrüsensubstitutionstherapie allein zum Zweck der Abortprophylaxe durchgeführt werden.
|
Da eine Metaanalyse keinen Effekt einer Metformingabe auf das Abortrisiko bei sporadischen Aborten gezeigt hat [61], kann keine Empfehlung zur Gabe von Metformin gegeben werden.
Bei erhöhtem BMI ist eine Gewichtsreduktion aus vielen Gründen medizinisch sinnvoll (siehe S3-Leitlinie Gestationsdiabetes, AWMF-Leitlinie 057/008). Eine dänische Kohortenstudie [62] zeigte, dass das Abortrisiko ab einem BMI ≥ 30 kg/m2 ansteigt (OR 1,23; 95%-KI 0,98 – 1,54).
Konsensbasierte Empfehlung 3-5.E18
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und erhöhtem Body-Mass-Index sollte eine Gewichtsreduktion angestrebt werden.
|
3.6 Psychologische Faktoren
Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin ist eine direkte Verursachung von WSA allein aufgrund psychologischer Faktoren wie z. B. Stress nicht gegeben [10], [63], [64].
Konsensbasierte Empfehlung 3-6.E19
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Vorliegen von psychischen Vorerkrankungen, ungewollter Kinderlosigkeit, fehlenden oder eingeschränkten sozialen Ressourcen sowie mit Schuldgefühlen assoziierter Verarbeitung der WSA soll auf psychosoziale Hilfs- und Unterstützungsangebote (auch Selbsthilfegruppen und Internetforen) hingewiesen werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-6.E20
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei der Verdachtsdiagnose einer reaktiven Depression nach WSA soll ein/e Psychotherapeut/in zur Abklärung der weiteren Behandlungsbedürftigkeit der betroffenen Patientin/des Paares hinzugezogen werden.
|
Konsensbasiertes Statement 3-6.S2
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Die Effektivität von „Tender Loving Care“ als therapeutische Intervention zur Abortprophylaxe bei Frauen mit WSA ist nicht belegt. „Tender Loving Care“ kann aber der psychologischen Unterstützung dienen.
|
3.7 Immunologische Faktoren
3.7.1 Diagnostik immunologischer Faktoren
3.7.1.1 Alloimmunologische Faktoren
Eine Aktivierung des Immunsystems (insbesondere der TH1-Antwort) führt zu einer ungünstigen Implantationssituation und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für WSA [51], [65], [66], [67], [68], [69]. Nicht eindeutig belegt ist, dass eine Erhöhung des TH1/TH2-Quotienten bzw. des T4/T8-Indexes zu einem erhöhten Risiko für Aborte führt [51], [66], [70], [71], [72], [73]. Mehrere Studien weisen auf eine Erhöhung der pNK-Zellen bei Patientinnen mit WSA im Vergleich zu gesunden Kontrollen hin [74] – [77]. Aktuelle Studien weisen zudem auf eine signifikante Erhöhung der uNK-Zellen bei Patientinnen mit idiopathischen WSA hin [78], [79].
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E21
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Alloimmunologische Untersuchungen wie z. B. Bestimmung des TH1/TH2-Quotienten, des T4/T8-Index, Analyse der pNK- und/oder uNK-Zellen, NK-Toxizitätstests, Lymphozytenfunktionstests, molekulargenetische Untersuchungen auf „nichtklassische“ HLA-Gruppen (Ib) oder Rezeptorfamilien wie KIR sowie HLA-Bestimmungen sollten bei Frauen mit WSA ohne Hinweis auf eine präexistente Autoimmunerkrankung nicht außerhalb von Studien durchgeführt werden.
|
3.7.1.2 Autoimmunologische Faktoren
Auch wenn die Datenlage nicht einheitlich ist, weist die Mehrzahl der Studien auf erhöhte ANA-Titer bei Frauen mit WSA hin [80], [81], [82], [83], [84], [85], [86]. Die Zöliakie ist durch eine Glutensensitivität charakterisiert, deren Assoziation mit WSA kontrovers diskutiert wird. Der Nachweis von Immunglobulin-(Ig-)A-Antikörper gegen Gewebstransglutaminase kann bei Frauen mit auffälliger Anamnese (Nahrungsunverträglichkeit, Stuhlunregelmäßigkeiten) und WSA durchgeführt und sollte bei positivem Befund durch eine Dünndarmbiopsie ergänzt werden [87].
Bei Frauen mit WSA soll ein Antiphospholipid-Syndrom anhand klinischer und laborchemischer Parameter ([Abb. 1]) abgeklärt werden. Der unspezifische Nachweis von Antikörpern gegen anionische Phospholipide wie Cardiolipine und β2-Glykoproteine, sog. Antiphospholipid-Antikörper (APL-AK) gelingt bei einigen Frauen mit WSA. Ein sogenanntes Antiphospholipid-Syndrom (APL-Syndrom) liegt allerdings nur dann vor, wenn gemäß der Definition ([Abb. 1]) sowohl die klinischen als auch die Laborkriterien erfüllt sind. Etwa 2 bis 15% der Frauen mit WSA weisen ein APL-Syndrom auf [88]. Bei der Diagnosestellung sollte darauf geachtet werden, ob die APL-Antikörper-Titer auch bei der Kontrolle 12 Wochen nach Erstbestimmung immer noch im mittleren bis hohen Bereich liegen, das bedeutet > 99. Perzentile gemessen an unauffälligen Probanden [89].
Abb. 1 Diagnosekriterien für das Antiphospholipid-Syndrom [89]. Für die einzelnen klinischen und laborchemischen Kriterien gilt, dass sie jeweils gemeinsam, aber auch einzeln auftreten können. Es muss per Definition aber mindestens ein klinisches und ein laborchemisches Kriterium erfüllt sein, um die Diagnose eines Antiphospholipid-Syndroms zu stellen. [rerif]
Ebenso weisen einzelne Studien auf das Vorkommen eines sog. „non-criteria APL-Syndrom“ hin, insbesondere wenn Manifestationen (Livedo reticularis, Ulzerationen, renale Mikroangiopathie, neurologische Störungen und kardiale Manifestationen) zu beobachten sind und die Diagnosekriterien des klassischen APL-Syndroms nicht oder nur teilweise erfüllt sind (z. B. APL-AK-Titer im niedrigen Bereich oder Z. n. 2 Aborten) [89].
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E22
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll ein Antiphospholipid-Syndrom anhand klinischer und laborchemischer Parameter ([Abb. 1]) abgeklärt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E23
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und einer Autoimmunerkrankung soll bereits präkonzeptionell eine interdisziplinäre Betreuung eingeleitet werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E24
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA sollte ein „non-criteria“ Antiphospholipid-Syndrom anhand klinischer und laborchemischer Parameter abgeklärt werden, insbesondere bei Vorliegen von klinischen Manifestationen (Livedo reticularis, Ulzerationen, renale Mikroangiopathien, neurologische Störungen und kardiale Manifestationen).
|
3.7.2 Therapie immunologischer Faktoren
3.7.2.1 Glukokortikoide
Die Ergebnisse der vorliegenden klinischen Studien, welche Glukokortikoide bei WSA einsetzten, sind uneinheitlich [90] – [93]. Eine Therapie mit Glukokortikoiden – vor allem, wenn diese höher dosiert erfolgt – kann Nebenwirkungen wie die Entwicklung eines Gestationsdiabetes, eine arterielle Hypertonie, Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht (SGA) sowie Störungen der kindlichen neurologischen Entwicklung auslösen [94], [95], [96]. Daher sollte diese Form der Behandlung Patientinnen mit präexistenten Autoimmunerkrankungen, die eine Therapie mit Glukokortikoiden auch in der Schwangerschaft erfordern, vorbehalten sein.
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E25
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA ohne Hinweis auf eine präexistente Autoimmunerkrankung soll eine Glukokortikoidgabe zum Zweck der Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.2 Intravenöse Immunglobuline
Einzelne Studien weisen darauf hin, dass die intravenöse Applikation von Immunglobulinen (ivIgG) die Konzentration und die Aktivität natürlicher Killerzellen im peripheren Blut herabsetzt und die TH1-vermittelte Immuninteraktionen beeinflusst [97]. Die Studien weisen eine deutliche Heterogenität auf und fanden vorwiegend bei Patientinnen mit idiopathischen WSA statt, ohne dass eine spezifische immunologische Diagnostik der Therapie vorausging. Die Datenlage ist uneinheitlich [97], [98], [99], [100].
Eine aktuelle Metaanalyse, welche 11 randomisierte Studien auf der oben beschriebenen Grundlage einschließt, zeigte im Vergleich zu Placebo bzw. Standardversorgung keine signifikant höhere LGR in der Gruppe jener Patientinnen, die ivIgG erhielten (RR 0,92; 95%-KI 0,75 – 1,12) [101]. Eine Subgruppenanalyse erbrachte im Kollektiv der Patientinnen mit sekundären WSA einen Trend zu einem Vorteil von ivIgG gegenüber Placebo (RR für keine Lebendgeburt 0,77, 95%-KI 0,58 – 1,02; p = 0,06). Klare Indikationen für den Einsatz von Immunglobulinen sind derzeit nicht definiert, weshalb eine Gabe außerhalb von klinischen Studien nicht erfolgen sollte. Nebenwirkungen bis hin zum anaphylaktischen Schock bzw. Übertragung von Infektionserregern sind selten und treten in der Verumgruppe mit einer signifikant höheren Inzidenz auf als in der Kontrollgruppe.
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E26
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA sollte eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen zur Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.3 Lipidinfusionen
Aktuelle Studien zeigen, dass sojaölenthaltende Lipidinfusionen die NK-Zellaktivität sowie die Bildung proinflammatorischer Zytokine senken [102], [103], [104], [105], [106]. In kleineren Beobachtungsstudien konnte gezeigt werden, dass bei Frauen mit WSA bzw. Implantationsversagen und erhöhter NK-Zellaktivität mit Lipidinfusionen die gleiche LGR erzielt werden kann wie mit einer Therapie mit ivIgG [107], [108], [109]. Eine ägyptische randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie untersuchte in einem Kollektiv von 296 Frauen (Alter unter 40 Jahren, keine Tubenpathologie) mit ≥ 3 idiopathischen WSA (klinische, konsekutive Aborte nach spontaner Konzeption oder IVF/ICSI) und einem Anteil der peripheren NK-Zellen > 12%, welche sich einer IVF-Therapie unterzogen, den Einfluss einer einmaligen Lipidinfusion [110]. Hinsichtlich der Rate biochemischer Schwangerschaften zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen, jedoch war die Rate an intakten Schwangerschaften > 12. SSW und der Lebendgeburten (jeweils 37,5 vs. 22,4%; p = 0,005) signifikant höher in der Gruppe, die eine Lipidinfusion erhalten hatte.
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E27
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA sollte eine Therapie mit Lipidinfusionen zur Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.4 Allogene Lymphozytenübertragung (LIT)
Durch Übertragung von allogenen Lymphozyten (zumeist paternalen, selten Spenderlymphozyten; auch als Lymphozyten-Immunisierung bezeichnet) soll u. a. das mütterliche Immunsystem für die Fremdantigenität (HLA) des Embryos sensibilisiert werden. Die Datenlage bez. Frauen mit WSA ist uneinheitlich. Zwei aktuelle Metaanalysen weisen auf eine höhere LGR bei Patientinnen mit idiopathischen WSA hin, die mit LIT behandelt wurden. Durch die Gewichtung einer asiatischen Studie aus dem Jahr 2013, welche einen positiven Effekt zeigte, werden die Metaanalysen jedoch sehr stark beeinflusst [111], [112], [113]. Ältere Studien konnten keinen Benefit nachweisen [114], [115], [116], sodass auch hier weitere Studien abgewartet werden müssen. Es ist zu berücksichtigen, dass bei der Übertragung von Blutprodukten Komplikationen auftreten können (z. B. Infektionsübertragung, Bildung irregulärer Autoantikörper, Induktion von Autoimmunerkrankungen).
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E28
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +
|
Bei Frauen mit WSA sollte eine allogene Lymphozyten-übertragung zum Zweck der Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.5 TNF-α-Rezeptorblocker
Subgruppen von WSA-Patientinnen weisen erhöhte TNF-α-Konzentrationen, ein verändertes Verhältnis von TNF-α/IL-10 sowie TNF-α-produzierende CD3+CD4+ Lymphozyten auf und profitieren möglicherweise von der Gabe von TNF-α-Rezeptorblockern (wie z. B. Adalimumab oder Infliximab) [100], [117]. Allerdings liegt derzeit nur eine retrospektive Studie vor, in welcher neben TNF-α-Rezeptorblockern auch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS), niedermolekulare Heparine (NMH) sowie Immunglobuline zum Einsatz kamen [100]. Die bekannten Nebenwirkungen reichen von Hautreaktionen über Infektionen bis hin zu seltenen Ereignissen wie z. B. einem arzneimittelbedingten Lupus [118]. Zudem bestehen Bedenken in Hinblick auf eine mögliche Induktion maligner Erkrankungen durch TNF-α-Blocker [119]. Daher sollte der Einsatz von TNF-α-Rezeptor-Blockern derzeit kontrollierten klinischen Studien sowie spezifischen Fragestellungen (wie z. B. Autoimmunerkrankungen: Morbus Crohn, chronische Polyarthritis) vorbehalten bleiben.
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E29
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Therapie mit TNF-α-Rezeptorblockern außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
3.7.2.6 Therapie autoimmunologischer Faktoren
Aufgrund der uneinheitlichen Datenlage zum Vorkommen von antinukleären Antikörpern bei Frauen mit WSA sind die derzeitigen Therapiestrategien (ASS, Glukokortikoide, niedermolekulares Heparin) inkongruent und es kann keine Empfehlung abgegeben werden. Aktuell liegt lediglich eine retrospektive Studie zur Behandlung von Frauen mit einer Zöliakie und WSA vor (n = 13) [120]. Die Frauen profitierten hier von einer glutenfreien Diät.
Bei Frauen mit WSA und Antiphospholipid-Syndrom soll eine Therapie mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure und niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Ab Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests soll neben Acetylsalicylsäure, die bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt werden soll, die Heparin-Gabe bis mindestens 6 Wochen post partum durchgeführt werden. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass WSA-Patientinnen beim Vorliegen eines APS von der Gabe von Aspirin (50 – 100 mg/d) und niedermolekularem Heparin in prophylaktischer Dosierung profitieren [121] – [125]. Andere Therapieansätze wie Kortikoide, Immunglobuline oder Aspirin alleine haben im Gegensatz zu NMH und Aspirin keine signifikante Verbesserung der LGR von WSA-Patientinnen mit APS gezeigt [121].
Die Behandlung des „non-criteria“ APLS sollte gemäß der aktuellen Studienlage identisch erfolgen, da die wenigen zur Verfügung stehenden Studien einen möglichen Benefit bei Gabe von LMWH und ASS aufzeigen [126] – [130].
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E30
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und Antiphospholipid-Syndrom soll eine Therapie mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure und niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Ab Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests soll neben Acetylsalicylsäure, welche bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt werden soll, die Heparin-Gabe bis mindestens 6 Wochen post partum durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-7.E31
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und „non-criteria“ Antiphospholipid-Syndrom sollte eine Therapie mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure und niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Ab Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests sollte neben Acetylsalicylsäure (welches bis zur SSW 34 + 0 fortgesetzt werden sollte) die Heparin-Gabe bis mindestens 6 Wochen post partum durchgeführt werden.
|
3.8 Gerinnung
3.8.1 Diagnostik angeborener thrombophiler Faktoren
Bis zu 15% der kaukasischen Bevölkerung weisen einen hereditären Thrombophilie-Parameter auf [131]. Die Einschätzung der Bedeutung maternaler Thrombophilien als Risikofaktoren für WSA unterlag in den letzten Jahren einem deutlichen Wandel. Eine Thrombophiliediagnostik zum Zweck der Abortprophylaxe sollte nicht durchgeführt werden. International wird eine generelle Untersuchung auf hereditäre Thrombophilien bei Frauen mit WSA (ASRM, ACCP, RCOG) nicht empfohlen [1], [3], [132], [133], [134]. Die RCOG-Leitlinie sieht eine Abklärung auf maternale hereditäre Thrombophilien nur unter wissenschaftlichen Aspekten als indiziert an [133]. Die ASRM-Empfehlungen schlagen eine Thrombophilie-Abklärung bei Frauen mit WSA ausschließlich bei positiver Eigen- oder Familienanamnese für thromboembolische Ereignisse vor [1], [3], [132], [133], [134].
Aus auffälligen Befunden der Thrombophilie-Parameter kann ggf. die Indikation zur Behandlung in der Schwangerschaft aus maternalen Gründen (Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse) abgeleitet werden. Hierbei ist das erhöhte Thromboembolierisiko (VTE) der Schwangeren zu sehen, das in speziellen Konstellationen (z. B. Antithrombinmangel; homozygote FVL-Mutation, kombiniert heterozygote FVL- und PT-Mutation, etc.) eine Antikoagulation zur mütterlichen VTE-Prophylaxe ebenso rechtfertigen kann wie bei zusätzlich auftretenden Risikofaktoren für eine VTE in der Schwangerschaft (Immobilisierung, OP, übermäßige Gewichtszunahme, etc.) (ACOG 2013, AWMF 2015).
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E32
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Eine Thrombophiliediagnostik zum Zweck der Abortprophylaxe sollte nicht durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E33
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA und thromboembolischen Risiken soll eine Thrombophiliediagnostik durchgeführt werden. Diese umfasst eine Bestimmung der Aktivität von Antithrombin, Protein C/S im Blutplasma und eine molekulargenetische Analyse der Faktor V Leiden-Mutation und der Prothrombin-G20 210A-Mutation.
|
3.8.2 Therapie bei thrombophilen Risiken
3.8.2.1 Heparin
Unfraktioniertes und niedermolekulares Heparin unterscheiden sich in ihrem Molekulargewicht, der Plasmaproteinbindung, der biologischen Halbwertszeit und der Nebenwirkungsrate. Sie weisen neben ihrer antikoagulatorischen Wirkung eine Vielzahl von Effekten auf molekularer Ebene der embryo-maternalen Grenzfläche auf, die bis dato nur unvollständig verstanden sind [135]. Sämtliche Heparine sind nicht plazentagängig. Niedermolekulare Heparine gelten in der Schwangerschaft als vergleichsweise sicher [136]. Ihre Anwendung in der Gravidität stellt einen Off-Label-Use dar. Wenn eine Indikation zur Heparinisierung in der Schwangerschaft besteht, sollten niedermolekulare Heparine aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils sowie der höheren Anwenderfreundlichkeit Verwendung finden [132]. Der Enthusiasmus zu Beginn des Jahrtausends hinsichtlich abortpräventiver Effekte einer prophylaktischen Heparinisierung bei Frauen mit WSA (und Ausschluss eines APS) konnte weder in großen prospektiven randomisierten Studien [137], [138], [139] noch in aktuellen Metaanalysen [140] fundiert werden.
Eine generelle Heparinisierung von Frauen mit WSA ohne nachgewiesene Thrombophilie ist in Folgegraviditäten aufgrund des fehlendem Wirkungsnachweises daher nicht indiziert [141] – [143] Für vorteilhafte Effekte einer prä- oder perikonzeptionellen Heparinisierung zur Prävention weiterer Aborte liegt ebenfalls keine Evidenz vor.
Inwieweit Subgruppen von Patientinnen – z. B. solche mit nachgewiesener hereditärer Thrombophilie – tatsächlich von einer Heparinisierung in einer Folgegravidität profitieren, bedarf weiterer Untersuchungen, wie der aktuell rekrutierenden, multinationalen ALIFE2-Studie [144]. Zum jetzigen Zeitpunkt ist somit eine generelle Heparinisierung auch bei thrombophilen Frauen mit WSA (bei fehlendem Nachweis eines APS) alleine aus der Indikation „Abortprävention“ außerhalb klinischer Studien nicht indiziert [132], [145].
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E34
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Therapie mit Heparinen zum alleinigen Zweck der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden. Dies gilt auch bei Vorliegen einer hereditären Thrombophilie.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E35
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit WSA und einem erhöhten Thromboserisiko sollte in der Schwangerschaft aus maternaler Indikation eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden.
|
3.8.2.2 Acetylsalicylsäure (ASS)
Die Anwendung von ASS in der Gravidität zur Abortprävention stellt einen Off-Label-Use dar. Eine ASS-Gabe in niedriger Dosierung ab dem 1. Trimenon reduziert das Risiko für plazentaassoziierte Komplikationen in der Spätschwangerschaft [146], während ein protektiver Effekt auf die Fehlgeburtsrate nicht nachgewiesen werden konnte. In der prospektiv-randomisierten ALIFE-Studie bei Frauen mit idiopathischen WSA konnte durch eine bereits präkonzeptionelle Aspiringabe (80 mg/d) keine Reduktion der Abortrate im Vergleich zu Placebo erreicht werden [138]. In einer systematischen Cochrane-Metaanalyse konnte kein Nutzen einer ASS-Prophylaxe bei Frauen mit idiopathischen WSA nachgewiesen werden (RR 0,94; 95%-KI 0,80 – 1,11) [147]. Dies gilt auch für eine präkonzeptionelle ASS-Gabe [148].
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E36
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll eine Acetylsalicylsäure-Therapie zur Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
|
3.8.3 Monitoring in der Schwangerschaft – D-Dimere
Konsensbasierte Empfehlung 3-8.E37
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit WSA soll ein Monitoring plasmatischer Gerinnungsmarker (D-Dimere, Prothrombin-Fragmente, etc.) in der Schwangerschaft nicht erfolgen. Ebenso wenig soll aus der Bestimmung solcher Parameter eine Therapieindikation zur Abortprophylaxe abgeleitet werden.
|
3.9 Idiopathische WSA
3.9.1 Diagnostik idiopathischer WSA
Idiopathische WSA liegen dann vor, wenn die Kriterien für die Diagnose von WSA erfüllt sind und genetische, anatomische, endokrine, etablierte immunologische sowie hämostaseologische Faktoren ausgeschlossen wurden. Der Anteil idiopathischer WSA am Gesamtkollektiv von Frauen mit WSA ist hoch und beträgt 50 bis 75% [2]. Die LGR von Frauen mit idiopathischen WSA beträgt ohne Therapie 35 bis 85% [138], [149].
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E38
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Von idiopathischen WSA soll erst dann gesprochen werden, wenn die leitlinienkonforme diagnostische Abklärung keinen Hinweis auf eine Ursache der WSA erbracht hat.
|
3.9.2 Therapie von idiopathischen WSA
In einer Cochrane-Metaanalyse von 9 randomisierten Studien an 1228 Frauen mit idiopathischen WSA mit zumindest 2 Spontanaborten wurde kein statistisch signifikanter Effekt von ASS mit/ohne Heparin versus Placebo auf die LGR nachgewiesen [147]. In einer randomisierten Studie an 364 Frauen mit idiopathischen WSA wurde durch ASS im Vergleich zu ASS und Nadroparin oder Placebo kein Effekt auf die LGR erzielt [138]. In einer weiteren Metaanalyse von 6 randomisierten Studien mit 907 Frauen mit idiopathischen WSA konnte ebenfalls keine verbesserte LGR durch die Gabe von ASS und Heparin nachgewiesen werden [147].
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E39
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA soll eine Therapie mit Acetylsalicylsäure mit oder ohne Heparin zum Zweck der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
|
Eine 2017 publizierte Metaanalyse von 10 randomisierten Studien an 1586 Frauen mit idiopathischen WSA ergab für eine Progesterontherapie im 1. Trimenon einen positiven Effekt sowohl hinsichtlich der Abortrate (RR 0,72, 95%-KI 0,53 – 0,97) als auch der LGR (RR 1,07, 95%-KI 1,02 – 1,15), allerdings nur für synthetische Gestagene, nicht jedoch für natürliches Progesteron [150]. Bei Frauen mit idiopathischen WSA kann daher eine Therapie mit synthetischen Gestagenen im 1. Trimenon zur Abortprophylaxe durchgeführt werden. Der optimale Zeitpunkt und die optimale Dosierung einer Gestagengabe sind allerdings unklar.
In der PROMISE-Studie wurden 836 Frauen mit idiopathischen WSA mit Placebo oder 400 mg vaginal appliziertem mikronisierten Progesteron behandelt [151]. Die Behandlung erfolgte ab dem Vorliegen eines positiven Schwangerschaftstests bis inkl. der 12. SSW. Die LGR war in beiden Studienarmen gleich hoch (63 bzw. 66%). Eine randomisierte Studie an 700 Frauen mit WSA aus Ägypten berichtet hingegen von einer signifikant erhöhten LGR (91 vs. 77%) nach Gabe von 2 × 400 mg Progesteron intravaginal beginnend in der Lutealphase gegenüber Placebo [152].
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E40
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA sollte eine Therapie mit natürlichem mikronisierten Progesteron im 1. Trimenon zum Zweck der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E40
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA kann eine Therapie mit synthetischen Gestagenen im 1. Trimenon zur Abortprophylaxe durchgeführt werden.
|
Humanes Choriongonadotropin (hCG) in der Dosierung 5000 bis 10 000 IE im 1. und 2. Trimenon wurde in 5 randomisierten Studien an insgesamt 596 Frauen mit WSA untersucht, darunter auch Frauen mit idiopathischen WSA. In einer Cochrane-Metaanalyse dieser 5 Studien führte hCG zu einer signifikanten Reduktion der Aborthäufigkeit. Dieser positive Effekt war allerdings in einer Analyse ohne die beiden qualitativ am schlechtesten bewerteten Studien nicht mehr statistisch signifikant (OR 0,74; 95%-KI 0,44 – 1,23) [153]. Daten zur LGR liegen nicht vor. Eine eigene Subgruppenanalyse für Frauen mit idiopathischen WSA liegt nicht vor. Eine Empfehlung zur Anwendung von hCG bei Frauen mit WSA kann daher derzeit nicht ausgesprochen werden.
In einer randomisierten Studie behandelten Scarpellini et al. 68 Frauen mit WSA mit zumindest 4 konsekutiven Spontanaborten mit Placebo oder rh-G-CSF (1 µg/kg/d) ab dem 6. Tag post ovulationem [154]. Die LGR betrug im aktiven Studienarm 83% (29/35) gegenüber 48% in der Kontrollgruppe (16/33). In einer retrospektiven Kohortenstudie berichten Santjohanser et al. von 127 Frauen mit WSA (in dieser Studie definiert als mindestens 2 spontane Frühaborte), die sich einer IVF/ICSI unterzogen [155]. 49 dieser Frauen erhielten entweder rh-G-CSF in der Dosierung 34 Millionen Einheiten/Woche oder 2 × 13 Millionen Einheiten/Woche bis zur 12. SSW. Die LGR war unter G-CSF mit 32% höher als in anderen Patientinnengruppen mit 13 bzw. 14%. Da eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit einer G-CSF-Therapie ungeklärt sind, wie z. B. die optimale Dosierung, sollte die Gabe von G-CSF nur unter Studienbedingungen erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E41
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke ++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA soll eine Therapie mit G-CSF zur Abortprophylaxe außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
|
Konsensbasierte Empfehlung 3-9.E42
|
Expertenkonsens
|
Konsensusstärke +++
|
Bei Frauen mit idiopathischen WSA soll eine Therapie mit Acetylsalicylsäure mit oder ohne Heparin zum Zweck der Abortprophylaxe nicht durchgeführt werden.
|