Suchttherapie 2018; 19(02): 65
DOI: 10.1055/a-0565-5757
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trauma und Sucht

Michael Klein
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Publication Date:
03 May 2018 (online)

Das vorliegende Heft behandelt zum ersten Mal fokussiert die vielfältigen Zusammenhänge zwischen „Trauma und Sucht“. Dabei ist dieser prägnante Titel bei weitem zu kurz gefasst. Es müsste mindestens „Trauma-Traumatisierung – traumabezogene Störungen – Substanzkonsum – Sucht“ lauten, um der Komplexität der Zusammenhänge auch nur annähernd gerecht zu werden. Bei der Recherche nach Beiträgen wurde deutlich, wie wenig das Thema in der fokussierten Form in der deutschen Suchtforschung und Suchthilfepraxis bislang präsent ist. Der thematische Schwerpunkt wird mit einem Überblicksbeitrag von Nuri Wieland und Michael Klein (Köln) mit dem Titel „Substanzbezogene Störungen und traumatische Erfahrungen in der Kindheit“ eröffnet. Der Titel des Beitrags ist ein eindeutiger und starker Hinweis auf die lebensgeschichtlichen und oft auch transgenerationalen Risiken bei früher Traumatisierung. Insbesondere Gewalterfahrungen in der frühen Kindheit – seien sie physischer, sexueller, psychischer Art oder in Kombinationen – bergen ein hohes Risiko für späteren problematischen Substanzkonsum und konsekutive Suchtstörungen. Dieser Überblicksbeitrag macht außerdem deutlich, dass die Praxis der Suchthilfe, -prävention und -therapie noch transgenerationale, traumasensible Antworten auf die gegebenen Herausforderungen finden muss.

Beim zweiten Artikel mit dem Titel „Schwierigkeiten der Emotionsregulation bei alkoholabhängigen Patienten mit komorbiden posttraumatischen Belastungsstörungen“ von Annett Lotzin, Nina Lejeune, Laycen Chuy-Ferrer und Ingo Schäfer (Hamburg/Dormagen) handelt es sich um eine empirische Forschungsarbeit. Das Ziel der Studie war es, Schwierigkeiten der Emotionsregulation bei alkoholabhängigen Patienten mit komorbider komplexer posttraumatischer Belastungsstörung (KPTBS) im Vergleich zu alkoholabhängigen Patienten mit komorbider posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zu untersuchen. Patienten mit KPTBS wie auch Patienten mit PTBS wiesen Schwierigkeiten der Emotionsregulation auf, die mit der Schwere der PTBS zunehmen. Patienten mit KPTBS zeigen im Vergleich zu Patienten mit PTBS größere Schwierigkeiten im Bereich der Aufmerksamkeit für die eigenen Emotionen. Auch hier sind erhebliche Implikationen für die Suchttherapie zu berücksichtigen. Diese sollte noch traumasensibler werden als dies bisher der Fall ist und einfache Routinen zum Screening und zur Behandlung traumabezogener Störungen bei Suchtkranken entwickeln.

Der Schwerpunkt „Trauma und Sucht“ wird abgerundet von einem Interview mit Prof. Ingo Schäfer (Hamburg), der sich wie kein Zweiter in Deutschland dem Thema verschrieben hat. Schon seit mehr als 15 Jahren forscht er in diesem Bereich und arbeitet auch praktisch mit traumatisierten Suchtkranken. Das von der amerikanischen Expertin Lisa Najavits (Boston) entwickelte Programm „Seeking safety“ für traumatisierte Suchtkranke hat er ins Deutsche adaptiert („Sicherheit finden“) und evaluiert (www.trauma-und-sucht.de). Als Leiter des multizentrischen Forschungsprojekts CANSAS („Child Abuse and Substance Abuse“=Substanzmissbrauch als Folge und Ursache früher Gewalt; www.cansas-studie.de) hat er zusammen mit anderen Forscherinnen und Forschern die transgenerationalen Verläufe von Trauma und Sucht untersucht. Im Interview werden Hintergründe und Konsequenzen aus dem multizentrischen Projekt sowie klinische wie auch theoretische Hintergründe zum engen Zusammenhang zwischen Traumatisierung und Sucht vertieft.

Auch in diesem Heft präsentieren wir Ihnen aktuelle Forschungsergebnisse aus anderen Themenbereichen. Florian Schäffler, Monika Thym, Davor Stubican, Manuela Bolz, Sylvia Braasch, Ulrich Körner, Gudrun Kolb, Klaus Fuhrmann ermitteln in ihrer Studie „Netzwerk 40 +: Vernetzung von Sucht- und Altenhilfe zur Versorgung älterer Drogengebraucher“ den Anteil von durch Alter und Abhängigkeit doppelt belastete Klientel sowie den daraus möglicherweise resultierenden Bedarfen beider Hilfesysteme.

Schließlich liefert die Untersuchung „Langzeitverordnungen von Benzodiazeptinen und Z-Substanzen“ von Uwe Verthein, Rüdiger Holzbach, Marcus-S. Martens und Sven Buth auf Basis personenbezogener Analysen ein genaues und regional annähernd vollständiges epidemiologisches Bild zur Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen unter GKV-Patienten über einen 3-jährigen Zeitraum.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß, interessante Erkenntnisse beim Lesen und sind auf Ihre Reaktionen gespannt.

Michael Klein, Köln