Klin Monbl Augenheilkd 1999; 215(12): 355-360
DOI: 10.1055/s-2008-1034732
© 1999 Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Langzeitstrahlenschäden an Haut und Auge nach kombinierter ß- und γ-Strahlenexposition während des Reaktorunfalls in Tschernobyl

Long term ocular and dermatologic findings after combined β- and γ-ray exposure during Chernobyl nuclear power plant accidentAnna K. Junk1 , 2 , Peter Egner2 , Petra Gottloeber3 , Ralf U. Peter3 , Fritz H. Stefani1 , Albrecht M. Kellerer2
  • 1Ludwig-Maximilians-Universität München, Dermatologische Klinik und Poliklinik, aktuell: Abteilung Dermatologie der Universität Ulm im Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Dir.: Prof. Dr. Ralf Uwe Peter)
  • 2Augenklinik, Strahlenbiologisches Institut, Dermatologische Klinik und Poliklinik, aktuell: Abteilung Dermatologie der Universität Ulm im Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Dir.: Prof. Dr. Ralf Uwe Peter)
  • 3Strahlenbiologisches Institut, Dermatologische Klinik und Poliklinik, aktuell: Abteilung Dermatologie der Universität Ulm im Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Dir.: Prof. Dr. Ralf Uwe Peter)
Further Information

Publication History

Manuskript erstmalig eingereicht am 22.5.1999

in der vorliegenden Form angenommen am 23.8.1999

Publication Date:
20 March 2008 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund Im April f 986 wurden beim Reaktorunfall in Tschernobyl zahlreiche Arbeiter und Feuerwehrleute mit hohen Dosen ionisierender Strahlung belastet. Neben der Exposition mit γ-Strahlen wurden sie in unmittelbarer Umgebung des Unfallorts auch einer inhomogenen β-Strahlung aus freigesetzten Spaltprodukten ausgesetzt, die zu schwerwiegenden Verbrennungen der Haut führte.

Patienten und Methoden Aus dieser Gruppe der sogenannten Liquidatoren stellten sich 16 Männer zwischen 1991 und 1996 wiederholt vor. Ihre Strahlenbelastung hatte zwischen 0,35 und 9 Gy gelegen. Diese Dosen wurden zum Teil retrospektiv aus Chromosomenanalysen erschlossen. Die ophthalmologische Untersuchung wurde durch eine quantitative Erfassung von Linsentrübungen mit einem elektronischen Scheimpflug-System ergänzt. Die digitale Auswertung der Aufnahmen in Form von Trübungseinheiten erlaubt einen Vergleich zu Normal- und Vorbefunden.

Ergebnisse Bei 4 Liquidatoren wurden hintere subkap-suläre Linsentrübungen unterschiedlicher Ausprägung dokumentiert, ein Arbeiter wurde erstmals nach Kataraktextraktion vorgestellt. Ein Patient besaß dichte kortikonukleäre Linsentrübungen mit pseudoexfoliations-ähnlichen Veränderungen, 3 litten an trockenen Augen. Acht der Männer zeigten keine okulären Strahlenschäden, retinale Strahlenschäden waren nicht nachweisbar. 15 Liquidatoren litten an schweren Formen des chronischen Stadiums eines kutanen Strahlensyndroms, deren Komplikationen bei 3 Männern zu Amputationen führten.

Schlußfolgerung Eine Relation zwischen ophthalmologischen und dermatologischen Befunden konnte weder erwartet noch festgestellt werden. Die Gegenüberstellung hinterer subkapsulärer Trübungseinheiten mit den Ganzkörperäquivalentdosen deutet eine Korrelation an, die jedoch hier nicht näher quantifiziert wird. Bei den Dosen handelt es sich um Organdosen des Knochenmarks, welches vorwiegend durch tiefer eindringende γ-Strahlung belastet wird. Sie können daher nur unsicher mit einer kombinierten β- und -γ-Dosis in Organen wie Haut und Auge korreliert werden, da die oberflächennah schädigende β-Strahlung nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Summary

Background In April 1986, numerous reactor workers and firemen were exposed to high doses of ionizing radiation during the Chernobyl nuclear power plant accident. Apart from high ambient γ-ray exposures they received inhomogeneous contamination with β-rays from fission products, resulting in severe skin exposure.

Patients and Methods Sixteen of these so called Liquidators were repeatedly examined between 1991 and 1996. Their doses ranged from 0.35 to 9 Gy, partly confirmed by determination of chromosomal aberrations. Ophthalmologic examination included non-subjective assessment of lenticular radiation damage with an electronic Scheimpflug camera system. Digital image analysis allowed the comparison of opacification units to previous and normal findings.

Results Four Liquidators had posterior subcapsular opacifications in different degrees, one presented only after cataract extraction. One patient had dense corticonuclear cataracts and pseudoexfoliation-like changes. Three men had severe dry eye syndrome. Eight men had no ocular complications. Retinal radiation damages were absent. 15 Liquidators suffered from severe chronic cutaneous radiation damage, which led to amputations in 3 cases.

Conclusions A relation between ocular and dermatological findings was not expected and could, in fact, not be seen. The comparison of posterior subcapsular opacification and doses revealed no distinct relation, although it indicates a correlation that is here not quantified. The doses represent organ doses for the bone marrow which is primarily exposed to deeper penetrating γ-radiation. Thus they need not be correlated with combined β- and γ-doses in organs such as skin and eye because the superficial exposure due to β-radiation may differ greatly form the whole body exposure as reflected in bone marrow doses.

    >