Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(10): 451
DOI: 10.1055/s-2007-993295
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Und weiter auf dem Marsch in den Gesundheitssozialismus

Peter Knuth
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Publication Date:
05 November 2007 (online)

Zwei umstrittene Gesetzeswerke der Großen Koalition in Berlin sind nun einige Zeit in Kraft und harren einer ersten Beurteilung ihrer Wirksamkeit. Dies sind das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22.12. 2006 und das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007.

Beide Gesetze haben einen gemeinsamen gesetzgeberischen Willen, nämlich den Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern zu verstärken und hierfür die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Nun ist das so eine Sache mit dem Wettbewerb, kennt doch die ökonomische Wissenschaft zwei Arten von Wettbewerb: 1) den Wettbewerb um Leistungsmaximierung bei der von ihm selbst geförderten Kohle im Sinne des DDR-Bergmanns Adolf Hennecke, der nach der nach ihm benannten Bewegung „das allgemeine Niveau der Produktivität zu heben (versuchte) und damit die Menge der erzeugten Waren und Güter in unserer Zone zu vermehren” [1]. 2) den Wettbewerb, der gekennzeichnet ist von Begriffen wie Bereitstellung bedarfsgerechter Angebote, Verbreitung des technischen Fortschrittes, Leistungsgerechtigkeit. Ein wesentliches Element dieser Art von Wettbewerb ist es, in einem sich selbst regulierenden freiheitlichen System den - real - ständig wachsenden politischen, rein ideologisch begründeten, Machtansprüchen entgegenzutreten.

Sieht man sich nun die gesetzlichen Regelungen im Gesundheitswesen an, wird sehr schnell klar, dass das Hennecke-Prinzip Regie führte. Dies verwundert auch nicht, lässt man die Diskussion um sozialistische Einheitskrankenversicherung versus freiheitliche eigenverantwortliche Krankenversicherungssysteme im Vorfeld des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz noch einmal Revue passieren. Dies verwundert auch angesichts der handelnden Personen nicht, ohne die Politik nicht verständlich ist. Die Kanzlerin erfuhr ihre Sozialisation in einem sozialistischen Gesundheitssystem und die Gesundheitsministerin war in jüngeren Jahren Mitglied einer kommunistischen Splitterpartei.

Einzig tröstlich ist, dass beide Gesetze wenig Wirkung entfalten. Der ärztliche Nachwuchs wandert weiter aus oder sucht patientenferne Tätigkeitsfelder. Ganze Bereiche in den Flächenländern haben keine notärztliche Versorgung mehr, die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung ist gefährdet, die ärztliche Frustration wächst weiterhin, der Marburger Bund hat den gewerkschaftlichen Kampfweg gesucht und wird dies auch sicherlich weiter tun. Eine ausreichende Vergütung der niedergelassenen Ärzteschaft ist nicht zu erwarten, die Machtkonzentration im Krankenhaus bei privaten Krankenhausketten wächst ungebremst und diese werden vielleicht einmal, da sie gewinnorientiert und nicht karitativ handeln, der einzige ernst zu nehmende Gegenspieler der Politik sein. Dies dann, wenn die Rahmenbedingungen für diese Konzerne durch politische Eingriffe und sich verweigernde Ärzte, die keine verantwortbare Medizin mehr leisten können, keine Gewinne mehr ermöglichen. Was nicht profitabel ist, wird stillgelegt.

Aber auch die Ärzteschaft muss sich unangenehmen Fragen stellen, deren Ursprung teilweise Jahrzehnte zurückreicht. Was hat beispielsweise einen KBV-Funktionär veranlasst, einem floatenden Punktwert in der Vergütungsordnung zuzustimmen, nur um ein politisch nie eingelöstes Versprechen der Förderung der Allgemeinmedizin erreichen zu wollen.

Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr ausreichend, viele protestierende Stellungnahmen gegen Gesetzentwürfe zu schreiben, die dann in den Ministeriumsstuben im Papierkorb landen. Schon eine Stellungnahme, wenn diese nicht, wo geboten, die unmissverständliche Ablehnung und die damit verbundene Ankündigung des zivilen Ungehorsams enthält, wird politisch als prinzipielle Zustimmung verstanden. Es geht eben nur noch um verhandelbare Details, die man - wo bedeutungslos - annehmen oder unter Verweis auf höhere Ziele verwerfen kann.

Um die Ärzteschaft in den Status zu versetzen, so handeln zu können, bedarf es endlich einer unverrückbaren Wertedefinition des Arztberufes und einer hieraus abgeleiteten Zielvorstellung was „Arztsein” leisten kann und was nicht. Dieser Bereich ist freiberufliche Verantwortung und für den Staat tabu.

Bei diesem Prozess ist unvermeidlich, die Legitimation des derzeitigen parlamentarischen Systems - nicht den Parlamentarismus - zu hinterfragen. Zweifelsohne haben wir eine informelle Parteiendiktatur mit mehrheitlich hauptberuflichen, und somit von diesem Broterwerb abhängigen, Parlamentariern. In der staatstheoretischen Begründung für dieses Treiben wird alles auf die Gedanken der Aufklärer und die damals entstandenen Staatstheorien zurückgeführt und somit jeder öffentlichen Diskussion entzogen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass dieses Gedankengut der Zeit nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges entstammt und bis heute keiner Reflexion über die Verhältnisse der Neuzeit unterlag. Wenn die Ärzteschaft diesen Transformationsprozess nicht schafft, wird sie gewerbesteuerpflichtiger Beruf unter dirigistischer Staatsknute werden.

Literatur

  • 1 Hennecke A.. Aktivisten zeigen den Weg. Berlin W8: Verlag Die Wirtschaft GmbH 1948

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Flörsheim

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