Endoskopie heute 2007; 20(3): 155-157
DOI: 10.1055/s-2007-990453
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

40 Jahre Deutsche Gesellschaft für Endoskopie und Bildgebende Verfahren e. V. (DGE-BV)[*]

M. Jung1
  • 1St. Hildegardis-Krankenhaus KKM, Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie, Mainz
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Publication Date:
29 October 2007 (online)

Vor 40 Jahren wurde die Deutsche Gesellschaft für Endoskopie von Ludwig Demling als interdisziplinäre Fachgesellschaft gegründet. Dieser Idee, alle endoskopierenden Fachdisziplinen zusammenzuführen, lag die Erkenntnis zugrunde, „dass die Endoskopie ein unentbehrliches Hilfsmittel und ein fester Bestandteil der meisten Teildisziplinen geworden ist, und dass Probleme von Fach zu Fach oft nur wenig oder nur scheinbar verschieden sind.” Von einem initialen Enthusiasmus getragen, hat die Gesellschaft in den ersten Jahren vor allem dank der technologischen Fortschritte flexibler Instrumente prosperiert. Das Sistieren der Fiberglastechnik und der langsame Rückzug der anderen Spezialgebiete in ihre eigenen Muttergesellschaften hat der Deutschen Gesellschaft für Endoskopie danach Identifikationsprobleme beschert. Die Neuorientierung 1988 unter Rudolf Ottenjann und die Umbenennung in „Deutsche Gesellschaft für Endoskopie und Bildgebende Verfahren” erfolgte mit Blick auf die zunehmende Verbesserung der Schnittbildtechnik und die Integration der Bildgebung in ein Gesamtkonzept. Mit Kongressverlegung von Erlangen nach München und Austragung in jährlichem Rhythmus hat die Gesellschaft einen örtlichen und zeitlichen Fixpunkt erhalten.

Seither platziert die DGE-BV ihren Jahreskongress im Frühjahr, sieht sich aber zunehmend eingerahmt von hochkarätigen Veranstaltungen ähnlicher Thematik. Mit der Konzentration auf den Verdauungstrakt ist das Profil durchaus dem der großen Fachgesellschaften DGVS und DGVC ähnlich geworden, sodass sich zwangsläufig Kritik regt an redundanten Themen bis hin zu leisen Zweifeln an sinnvoller Existenz einer wissenschaftlichen Gesellschaft, die inhaltlich auf der Stelle tritt. Von derartigen Diskussionen sind auch andere traditionelle Gesellschaften mit interdisziplinärem Verständnis nicht verschont geblieben.

Es liegt daher nahe, immer wieder über Kern und Substanz unserer Fachgesellschaft nachzudenken und ihre Perspektiven neu zu beschreiben.

Dabei erscheinen mir 3 Charakteristika eindeutig zu sein, die für das Profil der Deutschen Gesellschaft für Endoskopie und Bildgebende Verfahren kennzeichnend sind und sie von anderen Gesellschaften unterscheidbar machen:

Die Herausstellung der endoskopischen Technologie und die Perfektionierung der Bildgebung Trotz allem die Interdisziplinarität in Endoskopie und Bildgebung, mit Radiologie und - ebenso unersetzlich - der Pathologie Die Plattform für jüngere endoskopierende Kollegen und deren Förderung, dies nicht nur im Rahmen eines Kongresses

1. Die DGE-BV war von jeher ein technologisches Forum. Immer hat der Kongress die aktuelle Entwicklung der luminalen und transabdominellen Endoskopie in den Vordergrund gestellt, deren experimentelle und klinische Anwendung, und weniger die konservative medikamentöse Therapie. Der Jahreskongress war immer ein Schaufenster endoskopischer Technik und hat den Spezialisten wie den Partnern aus der Industrie die Möglichkeit geboten, Entwicklungen detailliert zu erörtern. Aber wie in allen medizinischen Sparten, so ergaben sich auch für die Endoskopie stärkere Phasen der Innovation und solche von eher mäßigem Wissenszuwachs und Stagnation. In den ersten Jahren seit der Gründung hat die luminale Technologie mit der vollständigen Eroberung des Gastrointestinaltraktes das Bild bestimmt. Nach Umwandlung der Fiberglastechnik in ein elektronisches Bildsystem haben Computerisierung und Miniaturisierung neue Dimensionen erschlossen. Wir diskutieren heute über kleine und kleinste Veränderungen in Schleimhäuten, über Endomikroskopie in vivo und über zelluläre Marker, über Schnittverfahren, die mehr anatomischen Atlanten gleichen als Schwarz-Weiß-Reproduktionen, und über therapeutische Zugangswege und Eingriffe, die nach und nach die klassischen operativen Verfahren ablösen. Mit der immer früheren Erfassung von Neoplasien und deren lokaler Therapie hat die endoskopische Onkologie längst die Spitzenposition in der klinischen Endoskopie eingenommen.

Gerade in den letzten Jahren erfährt die Dynamik der endoskopischen Technologie eine besondere Akzeleranz. Sie ist quasi ein Selbstläufer und unser Markenzeichen.

2. Interdisziplinarität war ein Gründer-Leitgedanke. Wir lernen bei gleicher Technologie die unterschiedlichen Zugänge und Ansprüche der einzelnen Fachdisziplinen und können mit zunehmendem Verständnis die Endoskopie anderer Organsysteme integrieren. Allerdings hat die Neugier für das Fachgebiet der anderen Disziplinen - und umgekehrt genauso - an Attraktivität verloren. Mehr und mehr hat sich die DGE-BV zu einem Forum entwickelt, das die gastroenterologisch-viszeralchirurgische Komponente in den Vordergrund stellt, dies aber auch keineswegs optimal. Es besteht kein Zweifel, dass der Verdauungstrakt mit seiner Länge und seinen unterschiedlichen technischen Erfordernissen die zentrale Rolle spielt.

Doch hat die luminale Endoskopie auch in anderen Systemen besondere Qualitäten hervorgebracht. Der bronchopulmonale Bereich setzt zur Detektion von Frühneoplasien nahezu gleiche Instrumente und Zusatzmethoden ein wie Fluoreszenz und Endosonografie. Urologen wenden ähnliche Techniken bei Blase und ableitenden Harnwegen an.

Ein besonderer Höhepunkt vergangener Kongresse waren die Beiträge der neurochirurgischen Endoskopiker, die das Navigieren im Hirnventrikelsystem mit dünnkalibrigen Instrumenten demonstrierten und damit völlig neue Einsichten in den menschlichen Körper vermittelten. Man fühlte sich in der Tat an den Science-Fiction-Film „Die phantastische Reise” erinnert, die der bayerische Ministerpräsident in seinem Vorwort für unseren Kongress zitiert. Die Erfahrungen vergangener Kongresse zeigen aber auch, dass die Anwesenheit kleinerer Fachdisziplinen untrennbar mit dem Engagement von Spitzenrepräsentanten verbunden ist, deren Autorität und Motivationskraft jüngere Kollegen nachzieht. So bin ich besonders dankbar für das herausragende Engagement des nächsten Präsidenten, Karl Hörmann, der seit Jahren Kollegen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde auf unserem Kongress zusammenführt und damit einen besonders intensiven Austausch ermöglicht. Es wäre fatal, wenn der Einsatz des nächsten Präsidenten auf Dauer Ausnahmecharakter hätte.

Die breiteste Basis der Kommunikation besteht für gastroenterologische Endoskopiker mit ihren chirurgischen Partnern. Gemeinsam wurden in den vergangenen Jahren Methoden entwickelt, konservative und klassisch operative Verfahren zugunsten der interventionellen Technik abgebaut. Die gastroenterologisch-viszeralchirurgische Kooperation ist der Kernpunkt dieser Gesellschaft, daher ist uns auch die Präsenz der CAES ein besonderes Anliegen. Auch die DGBMT, Deutsche Gesellschaft für biomedizinische Technik, ist uns ein wichtiger Partner. Sie ist traditionell an unseren Kongress angegliedert und gibt jedes Jahr Ausblicke für die Technologie von morgen und übermorgen.

Heute setzt der Zwang zur Wirtschaftlichkeit und zur Konzentration aber zusätzliche Maßstäbe. Endoskopie wird sich stärker konzentrieren müssen, und dies räumlich und fachlich. Es erscheint dabei möglich, auseinander dividierte Teilgebiete in einer Institution zu vereinigen, zumindest dort, wo es Raum gibt für die technologische Anwendung und deren Assistenz. Ein endoskopisches Zentrum wird demnach nicht nur Spezialisten des Verdauungstraktes und ihren chirurgischen Kollegen offen stehen, sondern könnte auch neben Hals-Nasen-Ohren-Ärzten Pneumologen und eventuell Urologen integrieren. Eine solche Institution macht vor allem ökonomisch Sinn.

Der Vorstand der DGE-BV ist sich darüber einig, dass Interdisziplinarität ein kennzeichnendes Merkmal unserer Fachgesellschaft ist, und dass dieser Bereich eine Renaissance erfahren sollte. Wir sind bestrebt, in den nicht mehr oder nur noch marginal integrierten Disziplinen Kollegen zu finden, die dem endoskopischen Sektor ihrer Fachgebiete vorstehen und die für eine zukünftige Zusammenarbeit offen sind.

3. Schon immer war die DGE-BV ein Anlaufpunkt für jüngere Kollegen. Auf unserem Kongress lag die Messlatte für eine erste klinische Präsentation oder Posterdarstellung nicht ganz so hoch wie auf den Veranstaltungen größerer Gesellschaften.

Andererseits müssen wir aber auch den manuellen Ansprüchen und Fähigkeiten unserer jüngeren Kollegen gerecht werden. Es wird leider immer noch verkannt, dass endoskopische Technik hoch anspruchsvoll ist und neben profunden theoretischen Kenntnissen ein jahrelanges Training voraussetzt. Daher sind Trainingskurse seit Jahren fester Bestandteil unseres Kongresses. Sie sind immer früh ausgebucht und bieten an geeigneten Tiermodellen die Möglichkeit, Endoskopie vor Anwendung am Patienten zu erlernen. Die von Professor Schmitt neu initiierten Expertenvideos ergänzen vorzüglich den praktischen Teil. Ich bin aber überzeugt, dass die endoskopische Ausbildung noch früher beginnen muss. Sie sollte dann einsetzen, wenn der mentale und physische Leistungsstand am höchsten ist und Lernbereitschaft und Enthusiasmus am stärksten geweckt werden können. Die Förderung kann in der frühen Assistentenzeit beginnen und sollte nicht erst nach langjährigem Stationsdienst „verdient” werden. Unsere chirurgischen Kollegen wissen am besten, dass aktives Erlernen anspruchsvoller manueller Eingriffe jenseits der Vierzig kaum zur operativen Perfektion führen wird.

Zudem sind die Chancen, Endoskopie in Deutschland zu lernen, nicht schlecht. Dank der traditionellen Ausrichtung und des Interesses für endoskopische Technologie finden sich gut strukturierte Endoskopieabteilungen in vielen größeren und mittleren Kliniken. Der Standort Deutschland besitzt eine herausragende Position durch die traditionelle Präsenz der feinmechanischen Industrie und der europäischen Zentralen großer Endoskopiefirmen. Die endoskopische Dichte hat hier eine andere Qualität als im Ausland. Wir werden in diesen Tagen zeigen, dass bei allen Problemen, die junge Assistenzärzte in Deutschland erwarten, auch mit Blick über den Kanal und in die Staaten - der Zugangsweg zur Ausbildung noch deutlich günstiger ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle eine eigene Erfahrung mit einbringen. Es war vor über 30 Jahren, als ich genau in diesem Ballsaal im ArabellaSheraton Hotel an einem von Ludwig Demling und Rudolf Ottenjann organisierten Endoskopiesymposium teilgenommen habe und der endoskopischen Faszination erlegen bin. Im Dezember 1975 wurden hier gemeinsam mit Chirurgen - und das war das absolut Neue - endoskopische Methoden auf den Prüfstand gestellt und im Kontext zu klassischen operativen Verfahren erörtert. Es war eine große Veranstaltung, auf der eine Prognose gewagt wurde, wie Endoskopie die medizinische Welt verändern wird und operative Verfahren ersetzen kann. Ich erinnere mich sehr gut an Peter Frühmorgen, der die Vorzüge des Argonlasers bei der endoskopischen Blutstillung verteidigt hat, an Rudolf Ottenjann selbst, der neben endoskopischer Diagnostik keine andere - und schon gar keine radiologische - gelten ließ, und an ein Ungetüm von Ultraschallgerät (Vidoson), das aber bereits die Diagnose von Gallensteinen und Pankreaszysten ermöglichte. Besonders eindrucksvoll war die Vorstellung, wie ein optisches Instrument um alle Ecken des proximalen Verdauungstraktes an eine winzige Öffnung, nämlich die Papille, geführt werden konnte, und dass eine geniale Schnittführung ein System eröffnete, mit dem Gallensteine durch den Mund behandelt wurden.

Die endoskopische Papillotomie ist damals - weil direkt, logisch, aber doch systemkonträr - bestaunt und angefeindet worden. Sie hat Komplikationen ausgelöst und wurde doch dauerhaft erfolgreich. Die Indikationen wurden mit der Zeit präzisiert, die Risiken definiert, heute ist sie der Standardeingriff zur Endoskopie an den Gallenwegen. Die Papillotomie war zweifellos der spektakulärste Höhepunkt einer Serie von endoskopischen Innovationen.

Vor einem Jahr hat Robert Hawes, der damalige Präsident der Amerikanischen Gesellschaft für gastroenterologische Endoskopie (ASGE), sogenannte „disruptive techniques” beschrieben, die sich zunächst unscheinbar entwickeln und dann etablierte Verfahren ablösen. Techniken, die innovativ, oft verblüffend einfach sind, mit konventionellen Systemen brechen und dadurch Kontroversen auslösen, da sie bedrohlich werden für etablierte Verfahren, für deren Produzenten und deren Anwender. Da diese disruptive techniques aber schneller und direkter und personalsparender sind, gewinnen sie sowohl medizinisch als auch ökonomisch an Interesse. Eine solche Technik war zweifellos die endoskopische Sphinkterotomie in den 70er-Jahren.

Eine ähnliche Methode könnte auch transluminale Endoskopie werden, die sich vorsichtig in Tierversuchen entwickelt hat und spektakuläre Aussichten eröffnet. NOTES - Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery - also durch die intestinalen Wände im Abdomen unkomplizierter, zeitsparender und vielleicht auch ähnlich effizient wie klassisch-chirurgisch zu explorieren und zu operieren, könnte eine ähnliche Entwicklung nehmen. Bereits jetzt setzt ungläubiges Kopfschütteln und Ablehnung ein, weil die Grundfragen zur Zielsetzung, auch zur Hygiene noch nicht präzisiert sind und weil NOTES mit sämtlichen etablierten Anschauungen bricht. Aber NOTES hat das Potenzial, eingefahrene Techniken zu ersetzen und vielleicht zu verbessern. Und hier - bei NOTES - finden sich wieder alle endoskopierenden Disziplinen zusammen. Die Gastroenterologen, weil es um deren Normrouten und deren Organe geht, die Chirurgen, weil sie die laparoskopischen Eingriffe beherrschen und werten können, die Urologen, weil plötzlich die Niere auch durch den Darm erreichbar wird, und die Gynäkologen, weil durch den Magen die Tube und das Ovar entfernt werden können.

NOTES könnte ein Signal sein, die DGE-BV wieder mehr interdisziplinär zu orientieren und mit gemeinsamen Diskussionspunkten zu beleben. Wir werden gerade diese Techniken und ihr Potenzial auf diesem Kongress - und besonders durch den Festvortrag von Dr. Kalloo - ausführlich diskutieren.

Endoskopische Technologie und Bildgebung befindet sich gegenwärtig in einer neuen und ähnlich atemberaubenden Innovationsphase wie vor 30 Jahren. Die DGE-BV hat die große Chance, ihr eigenes Profil darin zu verdeutlichen.

Es ist eine große Ehre und Freude, diese Technologie mit zu begleiten und dieser Fachgesellschaft vorzustehen. Diese Tagung in München wird Ihnen einen Ausblick geben auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte, und das, was wir an verblüffenden Einsichten und Eingriffen noch erwarten können.

Und damit eröffne ich den 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endoskopie und Bildgebende Verfahren.

M. Jung, Mainz
Gehalten am 22. März 2007, München, ArabellaSheraton Grand Hotel

1 Ansprache des Vorsitzenden der DGE-BV 2007 Prof. Dr. M. Jung zum 37. Kongress der DGE-BV vom 22.-24. März 2007 in München

1 Ansprache des Vorsitzenden der DGE-BV 2007 Prof. Dr. M. Jung zum 37. Kongress der DGE-BV vom 22.-24. März 2007 in München

Prof. Dr. med. M. Jung

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