Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P747
DOI: 10.1055/s-2007-988016

Sprunghafter Anstieg von FSME-Infektionen und Zunahme schwerer Varianten in Nordbaden: Mögliche Folge der globalen Erwärmung?

T Lenhard 1, J Diedler 1, O Bock-Hensley 1, S Rohde 1, S Schwab 1, U Meyding-Lamadé 1
  • 1Heidelberg, Erlangen, Frankfurt

Die Frühsommermeningoenzephalitis (Tick-Borne Encephalitis, TBE, Western-Typ) wird durch einen RNA-Virus (TBEV, Flaviviridae-Familie) verursacht und ist in Süddeutschland (Südhessen, Baden-Württemberg, Bayern) endemisch. Die TBE manifestiert sich als Meningitis (ca. 50%), als Meningoenzephalitis (ME, ca. 40%) und als Meningoenzephaloradikulitis (MER, <10%). Die Mortalität liegt bei 1,2–1,8%. Wir beobachten seit Ende der 90er Jahre eine deutliche Zunahme schwerer TBE-Varianten.

Methoden und Ergebnisse: In den Jahren von 1998 bis 2006 wurden auf unserer Intensivstation insgesamt 13 Patienten (Altersmedian 53,5J.) wegen einer TBE behandelt. In 6 von 13 Fällen (46,2%) konnte ein Zeckenbiss zeitnah gesichert werden. In allen Pat. wurden sowohl IgM- als auch IgG-AK gegen TBEV nachgewiesen, in 6 von 10 (60%) zusätzlich intrathekale Antikörper. In 5 von 13 Pat. (38%) wurden auch Antikörper gegen Borrelia burgdorferi vom Typ IgG, jedoch keine vom Typ IgM nachgewiesen. Alle hatten eine Mischpleozytose mit lymphozytärer Transformation (Median=124Zellen/µl, Verteilung 18–373). 6 von13 Pat. zeigten das Bild einer ME (46%) und 5 von 13 hatten zusätzlich eine radikuläre Beteiligung mit schlaffen Extremitätenparesen (MER, 38,5%). MER-Pat. waren bereits bei Aufnahme deutlich schwerer betroffen (medianer mRANKIN 5) im Vergleich zu ME-Pat. (medianer mRANKIN 3). Alle MER-Pat. waren im Verlauf beatmungspflichtig. MR-morphologische Läsionen zeigten bei ME- wie auch bei MER-Pat.. Thalamusläsionen fanden sich bei Pat., bei denen eine Bewusstseinsstörung klinisch führend war. Der Langzeitverlauf zeigt, dass ME-Pat. eine deutlich bessere Prognose haben (mRANKIN 1, mittlere Nachuntersuchungszeit 21,5 Monate), wohingegen MER-Pat. schwere residuale Symptome zurückbehielten (mRANKIN 4, mittlere Nachuntersuchungszeit 32 Monate). Im selben Beobachtungszeitraum kam es zu einem 15-fachen Anstieg der gesamt gemeldeten FSME-/TBE-Infektionen in den 5 umgebenden Landkreisen.

Schlussfolgerung: Unklar sind mögliche Ursachen, die dem sprunghaften Anstieg sowohl der Gesamtinfektionen als auch der Zunahme schwerer TBE-Verläufe zugrunde liegen. Klimatische Faktoren wie eine (globale) Erwärmung aber auch genetische Faktoren wie Mutationen und eine mögliche Zunahme der Neurotransmission und/oder Neurovirulenz des TBEV sind denkbar. Dies herauszufinden ist Gegenstand laufender Untersuchungen zu klimatischen, epidemiologisch-biologischen und genetischen Faktoren.