Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P715
DOI: 10.1055/s-2007-987985

Natalizumab (Tysabri) bei Multipler Sklerose – Erste Erfahrungen aus der neurologischen Schwerpunktpraxis

J Kohler 1, N Koch 1, H Heilmeyer-Kohler 1
  • 1Emmendingen

Fragestellung: Seit Mitte 2006 ist mit Tysabri der erste monoklonale Antikörper zur Behandlung der Multiplen Sklerose verfügbar. Die vorliegenden Studien belegen dabei eine überzeugende Wirksamkeit. In der aktuellen Zulassungsindikation sind jedoch klinisch robuste Daten spärlich. Risiken und Praktikabilität einer Therapie mit Tysabri in der klinischen Routine einer Schwerpunktpraxis sind derzeit schwer abzuschätzen.

Patienten und Methoden: Zwischen August 2006 und März 2007 haben wir 19 Patienten (Pat.), davon 15 Frauen, (24–58 Jahre), mit Tysabri behandelt. Insgesamt wurden 92 Infusionen appliziert (durchschnittlich 4,8/Pat.). 18 Pat. hatten einen schubförmig sekundär progredienten, 1 Pat. einen schubförmig remittierenden Krankheitsverlauf. Der EDSS zu Beginn der Behandlung lag zwischen 2,0 und 7,0. Die Krankheitsdauer betrug bei 7 Pat. weniger als 5, bei 5 Pat. 5–10 und bei 7 Pat. mehr als 10 Jahre. Bei 5/19 Pat ohne kausalorientierte immunologische Vorbehandlung wurde Tysabri nach einem Krankheitsschub und einer intravenösen Methylprednisolon-Stosstherapie begonnen. 14/19 Pat. waren mit Immunmodulatoren (6/14) bzw. Immunsuppressiva (8/14 vorbehandelt.

Ergebnisse: Im Behandlungszeitraum haben 3/19 Pat. die Therapie mit Tysabri nach 1,2 bzw 5 Infusionen auf eigenen Wunsch abgebrochen, obwohl keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufgetreten waren. Bei einer Pat. kam es im Rahmen der 2. Infusion akut zu einem schweren generalisierten Arzneimittelexanthem. Dieses konnte noch in der Praxis durch geeignete Notfalltherapie problemlos beherrscht werden. Bei 15/19 Pat. wurde Tysabri nebenwirkungsfrei vertragen, wobei 10/15 6–8 Infusionen erhalten haben. Unter Tysabri kommt es zu einem signifikanten Anstieg der Lymphozytenzahl im Blut. Der Betreuungsaufwand für die Pat. ist überdurchschnittlich und überschreitet das Praxisbudget um ca 100 bis 300%.

Schlussfolgerungen: Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Behandlung von MS-Pat. mit Tysabri in der neurologischen Schwerpunktpraxis sicher, effizient und kostengünstig möglich ist. Voraussetzung ist, neben umfassenden Erfahrungen in der immunologischen MS-Behandlung selbst, die Möglichkeit zur sachgerechten Notfalltherapie von Komplikationen in der Praxis. Die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen einer Behandlung mit Tysabri in der Schwerpunktpraxis sind allerdings unzureichend. Der Aufwand übersteigt das erzielbare Honorar in der kassenärztlichen Versorgung bei weitem.