Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P641
DOI: 10.1055/s-2007-987912

Progressive multifokale Leukenzephalopathie mit spontaner Besserung

A Goldbecker 1, A Tountopoulou 1, C Bonnemann 1, U Wurster 1, A Brandis 1, K Weissenborn 1
  • 1Hannover

Hintergrund: Die Seroprävalenz für das JC-Virus in der Normalbevölkerung, einem Virus aus der Gruppe der DNA-haltigen Polyomaviren, liegt bei 80–90%. Bei der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) wird angenommen, dass es zu einer Reaktivierung des JC-Virus im zentralen Nervensystem mit Demyelinisierung infolge lytischer Infektion der Oligodendrozyten kommt. Die Erkrankung führt in fast allen Fällen innerhalb weniger Monate zum Tode. Bisher wurde die PML nur bei akut immunsupprimierten Patienten, z.B. im Rahmen einer HIV-Infektion, beschrieben. Zum Auftreten der PML bei aktiver Sarkoidose existieren mehrere Fallberichte.

Therapieversuche mit alpha- oder beta-Interferon, Cidofovir und weiteren antiviralen oder immunmodulatorischen Präparaten sind beschrieben. Nur in wenigen Einzelfällen konnte das rasche Fortschreiten der Erkrankung und der Tod der Patienten verhindert werden. Ausnahmen bilden die PML-Erkrankungen im Rahmen von AIDS, die durch eine konsequente HAART (highly active antiretroviral therapy)-Behandlung gebessert werden können.

Kasuistik: Eine 50-jährige Patientin wurde mit subakut entstandenem Psychosyndrom, schwerer Apraxie und Aphasie unter Annahme einer Gliomatosis cerebri aufgenommen, nachdem in der ambulanten Bildgebung eine links fronto-parietale Raumforderung aufgefallen war. Die Patientin war vor Jahren an einer pulmonalen Sarkoidose erkrankt, die letzte Immunsuppression war 1997 mit Glukokortikoiden erfolgt, Hinweise auf einen Progress oder anders geartete immunkompromittierende Erkrankungen fanden sich nicht. Nachdem in der Liquoruntersuchung eine intrathekale Synthese von 61% IgG und 79% IgM festgestellt worden war, wurde zum Ausschluss einer Neurosarkoidose und zur weiteren Abklärung der flächigen Läsionen eine Hirnbiopsie durchgeführt. Das Biopsat wies typische histomorphologische und immunhistochemische Merkmale einer PML auf. Auch im Liquor konnte das Vorliegen von JC-Virus durch PCR gesichert werden. Ohne spezifische antivirale Therapie kam es klinisch zu einer Besserung und zu einem Rückgang der demyelinisierten Areale in der Bildgebung. Die Patientin lebt ein Jahr später wieder alleine in ihrer eigenen Wohnung.

Dies ist unserem Wissen nach der erste beschriebene Fall einer PML bei nicht aktiver Sarkoidose ohne immunsuppressive Therapie und ohne weitere Immunpathologie, bei dem es ohne antivirale Therapie zu einem Rückgang der klinischen Symptome und der Veränderungen im zerebralen MRT gekommen ist.