Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P526
DOI: 10.1055/s-2007-987797

Bilaterales Defizit bei chronischen Schlaganfallpatienten

J Hoppe 1, K Srulijes 1, F Hummel 1, C Gerloff 1
  • 1Hamburg, Tübingen

Die funktionelle Relevanz der gesunden Hemisphäre für die Erholung nach Schlaganfall ist umstritten. Die bildgebend nachweisbare erhöhte Aktivität der gesunden Hemisphäre wird als Hinweis auf eine für die Erholung nützliche neuronale Plastizität interpretiert – im Sinne einer Übernahme von Funktionen durch intakte kontraläsionale Hirnareale. Studien an Schlaganfallpatienten mit transkranieller Magnetstimulation (TMS) deuten darauf hin, dass diese Mehraktivierung der kontraläsionalen Hemisphäre jedoch transkallosal zu einem pathologisch erhöhten inhibitorischen Einfluss der gesunden auf die geschädigte Hemisphäre führt. Komplementär zur direkten Messung interhemisphärischer Inhibition (IHI) mit TMS lassen sich interhemisphärische Interaktionen durch psychophysische bimanuelle Experimente untersuchen. Besonders geeignet ist das sog. „bilaterale Defizit“ (BiD). Das BiD beschreibt die Tatsache, dass eine einfache Reaktionszeitaufgabe unimanuell schneller ausgeführt wird als simultan bimanuell, weil es bei bimanueller Ausführung durch IHI zwischen den primären Motorkortizes (M1) zu einer Verlangsamung der in M1 generierten motorischen Aktion kommt.

Eine auf den beschriebenen TMS-Daten aufbauende Hypothese würde voraussagen, dass die pathologisch vermehrte IHI bei Schlaganfallpatienten zu einem verstärkten BiD führt. Diese Hypothese wurde in der vorliegenden Studie an 15 Patienten mit >1 Jahr zurückliegenden subkortikalen Schlaganfall getestet, indem deren BiD mit dem von 15 alters-entsprechenden Kontrollen verglichen wurde.

In beiden Gruppen fanden sich signifikant langsamere Reaktionszeiten bei bimanueller im Vergleich zu unimanueller Reaktion (p<0,0001). Bei den Schlaganfallpatienten unterschied sich das BiD für die gesunde Hand nicht von dem für die paretische (p=0,77). Eine multifaktorielle ANOVA mit den Faktoren „Bedingung“ (uni- vs. bimanuell), „Gruppe“ (Schlaganfall vs. Kontrolle) und „Hand“ (gelähmt vs. gesund) ergab einen signifikanten Effekt für den Faktor „Bedingung“, also ein signifikantes BiD, aber keine Unterschiede zwischen den Gruppen bzw. Händen.

Zusammenfassend muss die getestete Hypothese verworfen werden. Im Hinblick auf das klassische BiD scheint die in den TMS-Studien vermehrte IHI nach Schlaganfall keine funktionelle Relevanz zu haben. Dieses Ergebnis schließt nicht aus, dass die pathologisch veränderte IHI nach Schlaganfall in anderen Situationen Bedeutung erlangt. Einfache Reaktionszeitaufgaben werden aber nicht signifikant beeinflusst.