Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P498
DOI: 10.1055/s-2007-987769

Neuroprotektive Wirkung von Flupirtin auf retinale Ganglienzellen in einem Optikusneuritis-Modell

MB Sättler 1, SK Williams 1, JR Pehlke 1, M Otto 1, M Bähr 1, R Diem 1
  • 1Göttingen, Ulm

Sämtliche etablierten Therapien der Multiplen Sklerose (MS) zielen auf die entzündliche Komponente dieser Erkrankung ab. Insbesondere in den chronisch progredienten Krankheitsstadien, in denen eine gute Korrelation der funktionellen Einschränkungen mit der fortschreitenden Neurodegeneration nachgewiesen wurde, sind die Behandlungsergebnisse jedoch unbefriedigend. In Vorarbeiten an einer durch Immunisierung mit Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) verursachten Optikusneuritis haben wir die an der neuronalen Apoptose beteiligten intrazellulären Signalkaskaden untersucht (Hobom et al., 2004, Brain Pathol 14:148–157). Ausgelöst durch die autoimmune Entzündung im Sehnerv kommt es in den retinalen Ganglienzellen (RGZ), die mit ihren Axonen den N. opticus bilden, zu einer verminderten Expression des anti-apoptotischen Proteins Bcl-2.

Flupirtin ist ein in der Schmerztherapie seit langem etabliertes und gut verträgliches Medikament. Vor Kurzem wurden für dieses Analgetikum in verschiedenen in vitro und in vivo Modellen neuroprotektive Effekte nachgewiesen, die zum Teil von einer vermehrten Expression von Bcl-2 abhängig sind (Perovic et al., 1996, Eur J Pharmacol 317:157–164), also dasselbe Protein beeinflussen, dessen Abnahme wir in unserem Tiermodell bereits nachgewiesen hatten. In unserer jetzigen Studie haben wir die Wirkung einer oralen Flupirtin-Behandlung auf den Verlust retinaler Ganglienzellen in der MOG-induzierten Optikusneuritis in Ratten untersucht. Die Flupirtin-Behandlung resultierte in einem signifikant besseren Überleben der RGZ bei unveränderter entzündlicher Infiltration und Demyelinisierung im N. opticus. Zusätzlich konnten wir neuroprotektive Effekte von Flupirtin sowohl nach chirurgischer Durchtrennung des Sehnerven als auch in einer Primärkultur von RGZ nachweisen. Jedoch ist die anti-apoptotische Wirkung von Flupirtin auf die RGZ in unserem Optikusneuritis-Modell unabhängig von Bcl-2. Mittels Western blot fanden wir in retinalen Proteinlysaten von Ratten, die Flupirtin erhalten hatten, genauso viel Bcl-2 wie bei den Kontrollen. Patch clamp-Untersuchungen an RGZ ergaben, dass Flupirtin in diesen Zellen eine Aktivierung einwärts gerichteter Kaliumkanäle bewirkt. Dies scheint über eine Stabilisierung des Ruhemembranpotenzials einen letalen Einstrom von Kalzium zu verhindern und somit zu dem verbesserten Überleben der RGZ unter Flupirtin beizutragen.