Aktuelle Neurologie 2007; 34 - P454
DOI: 10.1055/s-2007-987725

Kognitive Chronophysiologie einfacher Entscheidungen im menschlichen Gehirn

B Kopp 1, K Wessel 1
  • 1Braunschweig

Hintergrund: Entscheidungsfindung ist eine fundamentale Fähigkeit, die für eine Vielzahl höherer psychologischer Funktionen von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dennoch ist über die neuronale Implementierung der Entscheidungsfindung im menschlichen Gehirn wenig bekannt. Ein besseres Verständnis der neuronalen Grundlagen einfacher Entscheidungen setzt eine zeitliche Partitionierung der daran beteiligten perzeptuellen, zentralen und motorischen Prozesse voraus. Wir berichten hier über die Modulation von Latenzparametern im Ereigniskorrelierten Potential (EKP), die in einer neuen Generation visueller, multidimensionaler „oddball“-Aufgaben gemessen wurden.

Methoden: Insgesamt wurden drei Experimente mit jungen, hirngesunden Probanden durchgeführt (jeweiliges 16 ≤ N ≤24). In dem neuen „oddball“-Paradigma waren Zielreize generell auf der Basis einer spezifischen Kombination von Objektmerkmalen (z.B. einer bestimmten Farbe und einer bestimmten Form) zu identifizieren. Variiert wurden der Aufgabentyp (Einfach- bzw. Wahlreaktionsaufgabe), die Schwierigkeit der Reizidentifikation sowie die Reiz-Reaktions-Kompatibilität. Gemessen wurden Reaktionszeiten und EKP-Latenzparameter (u.a. der Selektionsnegativierung (SN), des lateralisierten Bereitschaftspotentials (LRP)).

Ergebnisse: Manipulationen der Schwierigkeit der Reizidentifikation und der Reiz-Reaktions-Kompatibilität übten additive Effekte auf die Reaktionszeiten sowie auf die Latenzparameter des LRP aus. Die Manipulation der Schwierigkeit der Reizidentifikation, nicht aber die der Reiz-Reaktions-Kompatibilität, modulierte die Latenzparameter der parieto-okzipitalen SN. Die SN scheint somit ein neuronales Korrelat rein perzeptueller Evidenzakkumulation zu sein, während das LRP möglicherweise ein neuronales Korrelat handlungssteuernder Evidenzakkumulation darstellt.

Schlussfolgerungen: Die in der neuen Generation von „oddball“-Aufgaben ermittelten Modulationen von EKP-Latenzparametern liefern wertvolle neurochronometrische Informationen zur Fraktionierung perzeptueller, zentraler und motorischer neuronaler Prozesse, die an einfachen Handlungsentscheidungen beteiligt sind. Dabei zeigt unsere Analyse, dass traditionelle EKP-Parameter substantiell zu der Formulierung einer umfassenden Theorie der zeitlichen Dynamik einfacher Entscheidungen im menschlichen Gehirn beitragen.