Aktuelle Neurologie 2007; 34 - M212
DOI: 10.1055/s-2007-987551

Tourette-Syndrom: Veränderungen auf Neurotransmitterebene

KR Müller-Vahl 1, C Wenzel 1, H Emrich 1, G Berding 1
  • 1Hannover

Fragestellung: Bei Patienten mit Tourette-Syndrom (TS) gelten Dopaminrezeptor-Antagonisten (NL) als Standardtherapie von Tics. Begleitend bestehende Zwangssymptome werden mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRI) behandelt. Diese klinischen Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass dem TS pathophysiologisch eine Störung sowohl im dopaminergen als auch im serotonergen Transmittersystem zugrunde liegt. Ziel dieser Untersuchung war es, Veränderungen der Rezeptor- und/oder Transporter-Bindungsfähigkeit in diesen beiden Transmittersystemen bei unbehandelten TS-Patienten nachzuweisen.

Methoden: Die Dopamin-D2-Rezeptorbindung im Striatum wurde mittels I-123-Iodobenzamid (IBZM) und Single-Photonen Emissions Computer Tomographie (SPECT) untersucht. Mit dem Kokainderivat I-123-beta-CIT und SPECT wurden striatale Dopamintransporter (DAT) sowie Serotonintransporter (SERT) im Hypothalamus-/Mittelhirnbereich dargestellt. Die Bindungsfähigkeit dieser Neurotransmissionsstrukturen wurde anhand von Region of interest (ROI)-Analysen mit jeweils occipitaler Referenz-ROI semiquantitativ bestimmt. Insgesamt wurden 41 SPECT-Studien bei TS-Patienten und 32 bei altersentsprechenden Normalpersonen durchgeführt.

Ergebnisse: Die Dopamin-D2-Rezeptorbindung entsprach bei unbehandelten TS-Patienten derjenigen der Kontrollgruppe, war jedoch bei Patienten im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium (p<0,0001) und unter NL-Behandlung (p<0,0001) signifikant vermindert. Die DAT-Bindung war bei etwa der Hälfte der Patienten stark erhöht (i.e. >2 SD oberhalb des Mittelwerts der Normalpersonen). Bei diesen Patienten bestanden signifikant häufiger die Comorbiditäten Autoaggression (p<0,05) und Impulskontrollstörung (p<0,05). Die SERT-Bindung war bei TS-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant vermindert (p<0,005) und korrelierte negativ mit der Schwere der Zwangssymptome (p<0,05, r=-0,78). Die Einnahme von SRI führte zu einer signifikanten Reduktion der Bindung (p<0,001).

Schlussfolgerungen: Unsere Untersuchungen belegen, dass bei TS-Patienten signifikante Änderungen sowohl im dopaminergen als auch im serotonergen Neurotransmittersystem bestehen. Diese Veränderungen betreffen insbesondere die präsynaptisch gelegenen Transportersysteme. Die Änderung der Bindungsfähigkeit steht in Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik und wird durch die Behandlung mit NL und SRI stark beeinflusst.