Aktuelle Neurologie 2007; 34 - V123
DOI: 10.1055/s-2007-987503

Bedeutung des medialen Frontalkortex für die Selbstkontrolle des Verhaltens

RJ Seitz 1, R Schäfer 1, HJ Wittsack 1, D Scherfeld 1, K Popp 1, M Franz 1
  • 1Düsseldorf

Die Funktion des medialen Frontalkortex ist bisher schlecht verstanden, da Hirnläsionen in diesem Bereich sehr selten sind und häufig unbemerkt bleiben. In den letzten Jahren sind aber eine Reihe von Bildgebungsstudien durchführt worden, die auf eine erhebliche Bedeutung des medialen Frontalkortex hindeuten. In einer Meta-Analyse von über 70 Bildgebungsstudien an gesunden Versuchspersonen haben wir nachgewiesen, dass der Gyrus frontalis superior und der angrenzende Teil des Gyrus cinguli an der Medialseite des Gehirns eine Reihe von räumlich getrennten Repräsentationsorten aufweisen, die dem kürzlich entwickelten Konzept der Empathie entsprechen und eine differenzierte Verhaltenskontrolle nach Introspektion, Motivation, ethischen Werten und zwischenmenschlichem Verstehen ermöglichen. Wir berichten über eine hierdurch angeregte Untersuchung zur Beurteilung von emotionalen Gesichtsausdrücken mit funktioneller Kernspintomographie (fMRT) und elektroenzepahlographischem (EEG) 74-Kanal-Mapping. Die 14 gesunden, rechtshändigen Versuchspersonen (29±5 Jahre) mit nachweislich gutem Introspektionsvermögen zeigten eine fMRT-Aktivierung des dorsalen medialen Präfrontalkortex, die beim Nachempfinden der in Gesichtern erkannten Emotion (Freude und Trauer) auftrat und EEG-Potentialänderungen in einem Zeitraum von 166 bis 740ms entsprach. Diese Beobachtungen werden durch einzelne Fallberichte über Patienten mit fokalen Hirnläsionen des medialen Präfrontalkortex ergänzt, die bei den betroffenen Patienten eine veränderte Gliedmaßenwahrnehmung (Alien Limb Phänomen) oder einen Verlust von Selbstwertgefühl oder Konventionen zeigten. Wir berichten außerdem über drei konsekutive Patienten in unserer Klinik seit 2002 mit akutem Hirninfarkt im Anteriorstromgebiet. Eine 61-jährige Patientin zeigte nach einem rechtsseitigen Hirninfarkt im medialen Frontalkortex und angrenzenden cingulären Kortex einen Verlust der Emotionswahrnehmung, der dem Schweregrad einer Alexithymie entsprach; im 74-Kanal-EEG wurde eine gestörte Gesichtsverarbeitung im rechten Gyrus fusiformis nachgewiesen. Zwei ca. 60-jährige Patienten mit linkshemisphärischem Hirninfarkt im medialen Frontalkortex zeigten eine schwere intentionale Akinese. Unsere Untersuchungen weisen auf die Bedeutung des medialen Frontalkortex für die Selbst-Kontrolle des Verhaltens hin und eröffnen neue Perspektiven für die klinischen und kognitiven Neurowissenschaften.