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DOI: 10.1055/s-2007-987492
Die Verknüpfung von Wahrnehmung und Bewegung: das Kleinhirn optimiert Erwartungen der sensorischen Konsequenzen unseres Verhaltens
Das traditionelle Bild des Kleinhirns ist das einer neuronalen Maschine, die motorisches Verhalten optimiert. Diese Optimierungsleistung kann darauf zurückgeführt werden, dass das Kleinhirn interne Modelle erzeugt, die idealisierte Bewegungsentwürfe an die Realität der Physik unserer Körper in ihrer Interaktion mit der Physik der Welt anpassen. Unsere Bewegungen sind objektbezogen, wirken aber nichtsdestoweniger auf uns, die Handelnden, zurück und sind damit eine reiche Quelle sensorischer Informationen. Eine entscheidende Anforderung an die kognitive Bewertung sensorischer Informationen ist die Unterscheidung solcher sensorischer Reize, die Folge unserer Aktivität sind von denen, die aus der Außenwelt resultieren. Eine erfolgreiche Unterscheidung ist Voraussetzung für die Abgrenzung des Handelnden von der Außenwelt und das Erleben einer Außenwelt, deren Zustand sich nicht zwangsläufig mit den Aktionen des Handelnden verändert. Ich werde an Hand von Patientenbeobachtungen und fMRI Befunden erläutern, dass die erfolgreiche Abgrenzung Folge der Entwicklung einer stimmigen Erwartung der sensorischen Konsequenzen des Verhaltens ist, zu der entscheidend das Kleinhirn beiträgt. Entsprechen sich die vom Sensorium angebotenen Reize und die sensorische Erwartung, so müssen die sensorischen Reize Folge der Handlung sein, mit dem Ergebnis, dass ihnen der Zugang zum Bewußtsein verwehrt wird. Ist das sensorische Signal hingegen größer oder kleiner, so ist es lediglich die Abweichung von der Erwartung, die das Bewußtsein erreicht. Mit anderen Worten, der Vergleich von sensorischer Erwartung und sensorischen Signalen wirkt als Filtermechanismus, der die Signale extrahiert, die unerwartet und deswegen relevant sind. Weil dieser Filtermechanismus durch Kleinhirnerkrankungen beeinträchtigt wird, führen Kleinhirnerkrankungen zu Störungen der kognitiven Bewertung, ohne dass dies bedeuten würde, dass die kognitive Bewertung nun ihren Sitz im Kleinhirn hätte. Sie ist vielmehr, wie der Fall des Patienten R.W. zeigt, eine Funktion der Großhirnrinde. Die Entwicklung einer sensorischen Erwartung lässt sich mechanistisch auf die Optimierung interner Modelle, wie sie auch für die Motorik verlangt werden, zurückführen und für beide Arten interner Modelle erscheinen identische neuronale Implementierungen im Kleinhirn denkbar. Mit anderen Worten, motorische und bewegungsbezogene “kognitive“ Leistungen des Kleinhirns stellen keinen unversöhnlichen Gegensatz dar.