physioscience 2007; 3(4): 149-150
DOI: 10.1055/s-2007-963671
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prävention - Markt der Zukunft?

A. Zimmermann1 , J. Kool1 , A. Schämann1
  • 1Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Dept. Gesundheit, Institut für Physiotherapie, Forschung und Entwicklung
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Publication Date:
20 November 2007 (online)

Der Lebensstil unserer Gesellschaft wird zunehmend ungesünder, und in der Folge leiden wir unter einem Anstieg der Gesellschaftskrankheiten wie Adipositas, damit verbundener koronarer Herzkrankheit, Diabetes und verringerter körperlicher Leistungsfähigkeit. Ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung begünstigen sogar die Entstehung von Krebserkrankungen. Längst sind nicht nur Erwachsene betroffen, bereits jedes 5. Kind ist heute übergewichtig, mit steigender Tendenz.

Es ist also nicht verwunderlich, dass der Präventionsmarkt boomt. Die Umsätze der Anbieter im Bereich Prävention und Wellness sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und die Regierungen in fast allen europäischen Ländern unternehmen große Anstrengungen zur Förderung geeigneter Präventionsmaßnahmen. Diese werden üblicherweise in die folgenden 3 Bereiche unterteilt:

Primärprävention soll vor dem eigentlichen Auftreten einer Krankheit wirksam werden. In ihr liegt unseres Erachtens eine große Chance der Physiotherapie, weil sich viele Krankheiten frühzeitig durch Bewegung und Sport vermeiden lassen. So sind z. B. für die Osteoporoseprophylaxe auf primärpräventiver Ebene kaum Angebote vorhanden, obwohl seit geraumer Zeit Studien bei jungen Erwachsenen den positiven Effekt von Krafttraining auf die Knochendichte im Alter bestätigen 3. Sekundärprävention: Sie umfasst alle Maßnahmen zur Entdeckung eines symptomlosen Krankheitsstadiums, um entsprechend frühzeitig mit Interventionen zu beginnen. Beim Erkennen einer Krankheitsgefährdung durch den Arzt werden den Patienten oft Medikamente verschrieben, wie z. B. Blutdrucksenker, Vitamin D und Kalzium. Regelmäßige Bewegung steigert den Effekt der medikamentösen Behandlung. Auch hier ist das fachliche Wissen von Physiotherapeuten gefragt. Tertiärprävention befasst sich mit den Komplikationen bereits bestehender Krankheiten und mit der Rückfallprophylaxe. In diesem Bereich sind Physiotherapeuten besonders aktiv. Der Nachweis der Wirksamkeit von Physiotherapie zur Tertiärprävention wurde bereits mehrfach erbracht 2 4 6. Viele Physiotherapeuten bieten Kurse zur Sturzprophylaxe, in der Rheumaliga oder für die Multiple Sklerose Gesellschaft an. Hier gibt es jedoch noch immer weiter zu entwickelnde Tätigkeitsgebiete. Eindrücklich hat sich dies z. B. im Bereich der Beckenbodenrehabilitation verdeutlichen lassen.

Ein weiteres Beispiel nicht nur im Bereich der Tertiärprävention ist das Ergonomieangebot. So bietet SwissErgo eine international standardisierte Weiterbildung zum Ergonomen an, und auch bei der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Ergonomie können sich interessierte Therapeuten in Ergonomie ausbilden lassen.

Für die Prävention ist der salutogenetische Ansatz Aaron Antonovskys relevant. Hier stellt sich nicht vordergründig die Frage, weshalb Menschen krank werden, sondern weshalb sie gesund bleiben. Das Modell der Salutogenese ist ein gesundheitsbezogenes, ressourcenorientiertes und präventiv ansetzendes Modell. Es bewegt sich dabei vom zunächst in der Medizin vorherrschenden krankheitszentrierten Modell weg.

Erfolgreiche Gesundheitsförderung fördert also die Selbstbestimmung des einzelnen Individuums oder einer Gruppe und stärkt deren Kompetenz, Eigenverantwortung und Selbsthilfefähigkeit, um ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu steuern (engl. Empowerment). Die Ottawa Charta der WHO fordert, dass Menschen befähigt werden, ihr größtmögliches Gesundheitspotenzial zu entwickeln [11]. Somit sollten Präventionsmaßnahmen individuelles oder gemeinschaftliches Empowerment zum Ziel haben.

Günstige soziale, ökonomische und demografische Bedingungen beeinflussen die Gesundheit positiv. Besonders stark von schlechten Bedingungen betroffen sind allerdings zunehmend oft Kinder, Minderheiten und Behinderte. Der Einbezug des Umfelds ist für den Erfolg von Präventionsmaßnahmen sehr wichtig, weshalb als Ausgangspunkt für Maßnahmen zur Prävention und Förderung der Gesundheit oft eine gesellschaftliche Perspektive gewählt wird. Wichtige Rahmenbedingungen sind Investitionen in eine nachhaltige Politik, den Aufbau von Kapazitäten zur Gesundheitsförderung und eine Gesetzgebung, die Schutz vor Beeinträchtigung und Chancengleichheit für Gesundheit und Wohlbefinden aller Menschen ermöglicht [12].

In der Schweiz ist momentan Adipositasprävention das zentrale Thema der Gesundheitsförderung. Immer wieder begegnen uns mannigfaltige Informationskampagnen zu diesem Thema. Hier zeichnet sich ein dringender Handlungsbedarf ab, da Kinder und Erwachsene immer dicker werden. Im Jahr 2002 waren in der Schweiz insgesamt 29,4 % der Erwachsenen übergewichtig und zusätzliche 7,7 % adipös. Damit betrifft Übergewicht 2,3 Millionen Schweizer.

Außerdem ist bereits jedes 5. Kind übergewichtig. Die Zahlen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Als übergewichtig gilt ein BMI von mehr als 25 kg/m2, um Adipositas handelt es sich bei einem BMI über 30 kg/m2 [10].

Wer in jungen Jahren übergewichtig ist, hat große Chancen, dies auch als Erwachsener zu sein. Kinder erfahren zunehmend das Phänomen der sozialen Ausgrenzung in der Schule. Ihre verminderte Lebensqualität stellt sich ähnlich dramatisch dar wie bei Kindern mit einer Krebserkrankung [7]. Zudem leiden Kinder besonders früh unter den Folgen der Adipositas, wie z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose [8].

Um Kindern den Zugang zu sportlichen Aktivitäten zu erleichtern, bedarf es also einerseits kindgerechter, Spaß bereitender Sportangebote [6] und andererseits solcher Angebote, die ihre bestehenden Ressourcen [3] und Motivationspotenzial aufgreifen. Kinder profitieren von einem Fitnessprogramm mit Ausdauertraining, Übungen zur Verbesserung von Koordination, Beweglichkeit, Kraft und Leistungsfähigkeit, um so eine Reduzierung des BMI, eine Erhöhung der Knochendichte und eine verminderte Herzfrequenz unter Belastung zu erreichen.

Sportprogramme müssen vor allem auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten sein [1] [5] [13]. Allerdings konnten etliche Studien keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Effektivität solcher Sportprogramme erbringen. Die Erfolge sind meist nur von kurzfristiger Dauer und geben einen deutlichen Hinweis, dass Interventionen über längere Zeitabschnitte erfolgen sollten. Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist dringend notwendig!

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Physiotherapie im Bereich der Tertiärprävention bereits gut etabliert ist. In der Sekundärprävention befinden sich einige Wirkungsfelder in der Entwicklung, denen unbedingt noch weitere folgen sollten. In der Primärprävention sind kreative und innovative Physiotherapeuten gefragt, die gerne neue Tätigkeitsfelder aufbauen.

Physiotherapeuten sind die Bewegungsfachleute. Der Präventionsmarkt bietet eine riesige Chance, auch außerhalb des Krankenversicherungsbereiches Kunden zu gewinnen und den Markt nicht unbesehen anderen Berufsgruppen zu überlassen.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist sehr an einer Zusammenarbeit mit Therapeuten interessiert, die im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung innovative, kreative Ideen haben und damit Pionierarbeit leisten, um gemeinsame Forschungsprojekte zu lancieren.

Literatur

  • 1 Coleman K J, Tiller C L, Sanchez J. et al . Prevention of the epidemic increase in child risk of overweight in low-income schools: the El Paso coordinated approach to child health.  Arch Pediatr Adolesc Med. 2005;  59 217-224
  • 2 Van Dixhoorn J, White A. Relaxation therapy for rehabilitation and prevention in ischaemic heart disease: a systematic review and meta-analysis.  Eur J Cardiovasc Prev Rehabil. 2005;  12 193-202
  • 3 Kannus P, Haapasalo H, Sankelo M. et al . Effect of starting age of physical activity on bone mass in the dominant arm of tennis and squash players.  Ann Intern Med. 1995;  123 27-31
  • 4 Kool J, Bie de R, Oesch P. et al . Exercise reduces sick leave in patients with non-acute non-specific low back pain: a meta-analysis.  J Rehabil Med. 2004;  36 49-62
  • 5 Korsten-Reck U, Kaspar T, Korsten K. et al . Motor abilities and aerobic fitness of obese children.  Int J Sports Med. 2007;  28 762-767
  • 6 Puhan M A, Scharplatz M, Troosters T. et al . Respiratory rehabilitation after acute exacerbation of COPD may reduce risk for readmission and mortality - a systematic review.  Respir Res. 2005;  8 54
  • 7 Schwimmer J B, Burwinkle T M, Varni J W. Health-related quality of life of severly obese children and adolescents.  JAMA. 2003;  289 1812-1819
  • 8 Sinha R FG, Teague B, Tamborlane W V. et al . Prevalence of impaired glucose tolerance among children and adolescents with marked obesity.  N Engl J Med. 2002;  346 802-810
  • 9 Thomas J, Harden A, Oakley A. et al . Integrating qualitative research with trials in systematic reviews.  BMJ. 2004;  328 1010-1012
  • 10 www.gesundheitsfoerderung.ch/d/gesundes_koerpergewicht/fakten_und_zahlen/default.asp
  • 11 www.gesundheitsfoerderung.ch/d/knowhow/glossar/default.asp
  • 12 www.who.int/healthpromotion/conferences/ 6gchp/BCHP_German_version.pdf
  • 13 Yin Z, Gutin B, Johnson M H. et al . An environmental approach to obesity prevention in children: Medical College of Georgia FitKid Project year 1 results.  Obes Res. 2005;  13 2153-2161

Andrea Zimmermann, MPtSc, PT,
Dr. Jan Kool,
Dr. phil. Astrid Schämann

Email: andrea.zimmermann@zhaw.ch

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