Endoskopie heute 2007; 20(1): 76-77
DOI: 10.1055/s-2007-960590
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anmerkung zu Ehlers A. P. / Bitter H.: „Delegierung der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal

Endo heute 2006; 19: 139-143E. Biermann1 , K. Ulsenheimer2
  • 1Justitiar des Berufsverbandes, Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
  • 2Rechtsanwalt, Kanzlei Ulsenheimer-Friederich, München
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Publication Date:
16 March 2007 (online)

Die Verfasser dieser Anmerkung wollen nicht zu den hier diskutierten Fragen der Delegation der Propofol-Applikation an nicht-ärztliches Assistenzpersonal Stellung nehmen. Vielmehr greifen die Verfasser lediglich eine Äußerung zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) betreffend die Parallelnarkose auf, die der Richtigstellung bedarf.

In der Abhandlung heißt es auf Seite 141:

„Interessant ist im vorliegenden Zusammenhang auch, dass der BGH grundsätzlich von der Zulässigkeit einer Parallelnarkose (Überwachung mehrerer Narkosen durch einen Narkosefacharzt bei Gewährleistung sofortiger Präsens bei Zwischenfällen) ausgeht (BGH NJW 1993, 1374; BGH Arztrecht 3/1994, 73)”.

Diese Feststellung ist unzutreffend. Denn die Rechtsprechung hält Parallelnarkosen nicht „grundsätzlich” für zulässig, also für regelhaft unbedenklich, vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall:

Im Urteil vom 30.11.1982 (veröffentlicht in NJW 1983, 1374 - vermutlich meinen die Autoren mit ihrem ersten Zitat diese Fundstelle) führt der BGH aus: „Für die ohnehin bedenkliche Parallelnarkose ist grundsätzlich Blick- oder wenigstens Rufkontakt zu einem Fachanästhesisten zu fordern, wenn ausreichende Aufsicht an beiden OP-Tischen gewährleistet sein soll”. Im Gegensatz zur Darstellung der Autoren geht der BGH also keinesfalls davon aus, dass eine Parallelnarkose „grundsätzlich zulässig” sei, sondern er hält sie im Grundsatz („ohnehin” für „bedenklich”. Auch in dem zweiten von den Autoren zitierten Urteil des BGH (Urteil vom 15. Juni 1993, Arztrecht 3/1994, 73 bzw. NJW 1993, 2989) gibt der BGH nicht zu erkennen, dass er seine Bedenken gegen Parallelverfahren aufgegeben hätte.Allerdings ging es im Urteil vom 15. Juni 1993 nicht um einen Sachverhalt, in dem ein Facharzt für Anästhesiologie mehrere OP-Tische zu überwachen hatte. Es handelte sich vielmehr um einen Fall, in dem ein Anästhesist im ersten Jahr seiner Weiterbildung zunächst unter Aufsicht eines Facharztes für Anästhesie eine Intubationsnarkose eingeleitet und vertieft hatte. Während sich der Facharzt in einem unmittelbar angrenzenden, über eine Verbindungstür zu erreichenden OP-Saal befand und dort eine Narkose durchführte, überwachte der Assistenzarzt in Weiterbildung seinen Patienten auch während einer intraoperativen Umlagerung. Dabei traten Beatmungsschwierigkeiten auf, es kam zu einem Herz- und Kreislaufstillstand. Der Patient wurde durch den aus dem Nachbar-OP hinzukommenden Facharzt reanimiert, erlitt jedoch ein appallisches Syndrom und musste danach in einem Pflegeheim untergebracht werden.

Der BGH nahm diesen Fall zum Anlass, seine Rechtsprechung zum „Facharztstandard” dahingehend zu präzisieren bzw. zu korrigieren, dass beim Einsatz eines Arztes in Weiterbildung nicht stets unmittelbare fachärztliche Aufsicht erforderlich ist, soweit dieser nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fertigkeiten in der Lage ist, die Behandlung so durchzuführen wie ein Facharzt des jeweiligen Gebietes. Wenn der BGH ausführt, dass er es in seinem Urteil vom 30.11.1982 (NJW 1983, 1374) „nicht schon für prinzipiell unzulässig gehalten hat, wenn zwischen einem noch unerfahrenen Anästhesisten und dem in einem benachbarten OP-Saal tätigen Fachanästhesisten lediglich Blick- und / oder wenigstens Rufkontakt bestanden hat …” dann macht er damit nur deutlich, dass zur Gewährleistung des Facharztstandards bei einem hinreichend qualifizierten Arzt in Weiterbildung nicht stets das unmittelbare „Über die Schulter schauen” durch einen formell anerkannten Facharztes erforderlich ist. Keinesfalls sind damit die Bedenken gegen die Parallelnarkose hinfällig, die er in seinem Urteil von 1982 (NJW 1983, 1374) in aller Deutlichkeit geäußert hat. Ganz im Gegenteil: Der BGH hat mit seinem Urteil von 1993 die 1982 aufgestellten Anforderungen erheblich verschärft, da er nun in Frage stellt, ob Rufkontakt ausreicht. Im Urteil von 1993 stellt der BGH ausdrücklich fest, dass das mit der Umlagerung verbundene Narkoserisiko „nicht schon ausreichend durch den möglichen Rufkontakt” des Weiterbildungsassistenten zu dem Facharzt im Nachbarsaal aufgefangen wurde. „Denn eine spezifische Gefahr für den Patienten bei selbständiger Tätigkeit eines noch nicht voll ausgebildeten Assistenzarztes liegt ja … gerade darin, dass dieser Arzt auftretende Komplikationen evtl. gar nicht erst bemerkt … und deshalb von einem möglichen Rufkontakt nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig Gebrauch macht”.

Zusammenfassend ist somit festzustellen:

Gerade die von den Autoren des oben genannten Beitrages selbst zitierten Urteile machen deutlich, dass der BGH keineswegs „grundsätzlich” von einer Zulässigkeit der Parallelnarkosen ausgeht, er hat vielmehr seine „ohnehin” bestehenden Bedenken von 1982 noch erheblich verschärft. Es kann daher aus fachlichen und rechtlichen Gründen vor Parallelnarkosen nur gewarnt werden (s. Dt. Ärzteblatt, Heft 6 / 11.2.2005, A317; Münsteraner Erklärung - Gemeinsame Stellungnahme des BDA und der DGAI zur Parallelnarkose, Anästh Intensivmed 2005; 32-34).

Dr. jur. E. Biermann

Justitiar des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten

Roritzerstraße 27

90419 Nürnberg

Phone: 09 11/9 33 78 17/8 27

Fax: 09 11/3 93 81 95

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Prof. Dr. rer. pol. Dr. iur. K. Ulsenheimer

Kanzlei Ulsenheimer-Friederich

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