Aktuelle Neurologie 1998; 25(8): 320-328
DOI: 10.1055/s-2007-1017707
Übersicht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die fokalen Dystonien: Vom Beschäftigungskrampf zur behandelbaren Sensomotorikerkrankung

Focal Dystonias: From Occupational Cramp to Sensomotor Disease That Can Be TreatedG. Deuschl1 , M. Hallett2
  • 1Neurologische Klinik der Christian-Albrechts-Universität, Kiel
  • 2Human Motor Control Section, National Institute of Neurological Diseases and Stroke, National Institutes of Health, Bethesda, Maryland, USA
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Publication History

Publication Date:
30 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Die fokalen Dystonien wurden bereits im letzten Jahrhundert als Beschäftigungskrämpfe präzise klinisch beschrieben. Mangels faßbarer morphologischer Auffälligkeiten wurden sie lange als psychogene Körperstörungen interpretiert. Erst nachdem in den vergangenen Jahrzehnten ihre patho-physiologischen Grundlagen genauer beschrieben wurden, werden sie heute zu den lokalisierten Formen der Dystonien gerechnet. Dem elektromyographischen Hauptkennzeichen der fokalen Dystonien, der inadäquaten Kokontraktion antagonistischer Muskeln, ist eine verminderte Hemmung von spinalen und supraspinalen Rerflexwegen assoziiert, die für die Mehrzahl aller heute bekannten hemmenden Reflexwege gezeigt wurde. Diese werden durch supraspinale deszendierende Systeme reguliert und entsprechend findet sich eine Verminderung komplexer hemmender Mechanismen im Bereich der kortikalen Bewegungsvorbereitung bei Untersuchungen bewegungsbegleitender Hirnpotentiale und Messungen der kortikalen Exzitabilität mit der transkraniellen Magnetstimulation. Die funktionell bildgebenden Verfahren bestätigen Veränderungen der motorischen Handlungsvorbereitung und legen darüber hinaus nahe, dass auch die Verarbeitung afferenter Information gestört ist. In diesem Licht lassen sich heute auch längst bekannte klinische Phänomene wie die „Trick”-Manöver (z.B. geste antagoniste) oder das Kausalgie-Dystonie-Syndrom als generalisierte Sensomotorikstörung verstehen. Durch verschiedene Tiermodelle der Dystonie und genetische Untersuchungen wird heute die pathogenetische Heterogenität dieser unabhängig von der Ätiologie immer ähnlichen klinischen Phänomenologie besser verständlich. Parallel zu dieser veränderten Sicht der Pathogenese der fokalen Dystonien haben sich die Therapiemöglichkeiten vor allem durch die Einführung der Botulinumtoxinbehandlung entscheidend verbessert. Obwohl auch heute noch viele Fragen zur Entstehung der Dystonien unbeantwortet sind, bestehen keine ernsthaften Zweifel mehr an der organischen Genese dieser Erkrankungen.

Summary

Focal dystonias have been clinically described in detail since the last century and have been referred to by Oppenheim as occupational cramps („Beschäftigungskrämpfe”). However, they have long been interpreted as psychogenic disorders. Since the seventies of this century an increasing body of evidence has shown that the main symptom of involuntary muscular hyperactivity is associated with a disturbance of inhibitory spinal and brainstem reflexes. This is believed to be due to abnormalities of cortical movement preparation and probably also to an alteration of the cortical processing of afferent information. Genetic studies and recently developed animal experiments provide new clues to the classification of dystonic disorders and the interpretation of such curious findings as the geste antagoniste-manoeuver or the causalgia-dystonia syndrome. Parallel to this development of pathogenetic research new therapeutic strategies mainly dominated by the application of botulinum toxin have been developed to treat these conditions.

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