Aktuelle Neurologie 1998; 25(2): 41-49
DOI: 10.1055/s-2007-1017663
Neues in der Neurologie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Bedeutung des menschlichen Kleinhirns für motorische Lernvorgänge

On the Role of the Human Cerebellum in Motor LearningDagmar Timmann1 , F. P. Kolb2 , M. Jüptner1
  • 1Neurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Essen (Direktor: Prof. Dr. H. C. Diener)
  • 2Physiologisches Institut der Universität München (Direktor: Prof. Dr. G. ten Bruggencate)
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Publication Date:
30 January 2008 (online)

Zusammenfassung

In der vorliegenden Übersichtsarbeit werden eine Reihe von Untersuchungen bei Patienten mit umschriebenen Kleinhirnerkrankungen und, mittels funktioneller bildgebender Verfahren, Untersuchungen bei Gesunden vorgestellt, die zeigen, dass das menschliche Kleinhirn an verschiedenen einfachen und komplexen motorischen Lernvorgängen beteiligt ist. Beispielhaft für einen assoziativen Lernvorgang wurde die klassische Konditionierung des Flexorreflexes und für einen nicht-assoziativen Lernvorgang das Erlernen sequentieller Fingerbewegungen bei Gesunden mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) untersucht. Die PET Untersuchungen zeigen, dass unterschiedliche Anteile des Kleinhirn an der Konditionierung des Flexorreflexes und beim Erlernen einer Sequenz von Fingerbewegungen beteiligt sind und sprechen für eine funktionelle Kompartimentierung dieser Struktur für verschiedene einfache motorische Lernvorgänge.

Bei Patienten mit Kleinhirnerkrankungen wurde als Beispiel eines einfachen motorischen Lernvorganges die Adaptation von Haltereflexen an verschiedene Umweltbedingungen untersucht und als Beispiel eines komplexen motorischen Lernvorganges eine visuomotorische Lernaufgabe. Der Vergleich von Patienten mitzerebellären Erkrankungen mit gesunden Probanden legt in beiden Paradigmen nahe, dass der geringere Lernerfolg bei Patienten mit umschriebenen Kleinhirnerkrankungen wesentlich auf die zerebellär gestörte Bewegungsausführung (Ataxie) zurückzuführen ist. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen unterstützen die Hypothese, dass eine wesentliche Aufgabe des Kleinhirns bei verschiedenen motorischen Lernvorgängen beim Menschen die Kontrolle der Bewegungsausführung ist. Sie schließen jedoch nicht aus, dass dem Kleinhirn (auch) eine Rolle als Speicherplatz von während des Lernens auftretenden plastischen Veränderungen zukommt.

Summary

Results of recent studies using positron emission tomography (PET) are presented demonstrating the involvement of the human cerebellum in simple and complex motor learning tasks in cerebellar patients and in healthy subjects. Classical conditioning of the limb flexion reflex (associative learning) and learning of sequences of single finger movements (non-associative learning) were studied in healthy subjects using PET. Different parts of the cerebellum were involved in the associative and non-associative learning paradigm suggesting functional compartmentalization of the human cerebellum for simple motor learning tasks.

Adaptation of postural responses to changing task conditions and a complex visuomotor learning task were investigated in a group of patients with cerebellar disease. Despite of their postural dysmetria, patients with cerebellar disease were able to adapt their postural synergies to changing task conditions and, to improve their performance of the complex visuomotor task despite upper limb ataxia. These findings support the view that the role of the cerebellum in motor learning might be restricted to motor performance and need not be linked to the establishment of critical engrams assumed to be stored within this structure.

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