Aktuelle Neurologie 2006; 33 - P247
DOI: 10.1055/s-2006-953072

Chronische renale Insuffizienz begünstigt fulminanten Verlauf eines Vitamin B 12-Mangelsyndroms

T. Duning 1, W.R. Schäbitz 1
  • 1Münster

Die klinisch-neurologischen Symptome eines Vitamin B12-Mangels sind äußerst vielgestaltig. Hilfreich bei der Diagnose sind neben dem klinischen Bild vor allem die Laborparameter sowie MRT-Untersuchungen des Myelons, die in T2-gew. Sequenzen sehr typische Signalhyperintensitäten im Bereich der Hinterstränge zeigen. Laborchemisch zeigt sich typischerweise ein vermindertes Vitamin B12 im Serum. Inwieweit es in Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zu einer Beeinträchtigung der katalysatorischen Wirkung des Vitamins an biochemischen Prozessen kommt, ist unklar.

Fallbeschreibung: Ein 68-jähriger Patient stellte sich mit seit 6 Monaten bestehenden Gangunsicherheit vor, seit 2 Monaten hatten sich zudem Parästhesien an den Händen eingestellt. Seit 6 Jahren bestand eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz nach IgA-Nephritis (M. Berger). Trotz normaler Vit. B12-Spiegel stellten wir aufgrund des klinischen Verlaufs sowie des typischen MRT (Abb. 1)die Diagnose einer funikulären Myelose. Trotz adäquater Vit. B12-Substitutionstherapie (1000µg i.m. tägl) kam es im Verlauf zu einer Tetraparese und zunehmender Vigilanzminderung. Am 14. Tag nach Aufnahme kam es zu einen Status epilepticus, der nach Intubation mit Propofol durchbrochen wurde. Trotz absetzen aller sedierenden Pharmaka blieb der Pat. komatös bis soporös, ein Entwöhnen von der mechanischen Beatmung gestaltete sich schwierig.

Die Liquordiagnostik war bis auf einen erhöhten Eiweißspiegel (1,2g/l) unauffällig, Vit. B12 weiter hochnormal, Kreatinin (5,3mg/dl) und Harnstoff (68mg/dl) waren bei unkompliziert durchzuführender Hämodialyse (alle 2d) stabil. Es fanden sich in den zurückliegenden Laborparametern keine relevanten osmotischen Gradienten oder Elektrolytentgleisungen. In der erneut durchgeführten MRT zeigten sich nun ausgeprägte Marklagerläsionen parieto-occipital, die Veränderungen des Myelons waren fortbestehend (Abb. 2)

Schlussfolgerungen: Es gibt Hinweise auf einen funktionellen Vit. B 12-Mangel in niereninsuffizienten Pat. Diskutiert werden hier eine selektive Malabsorption bzw. ein verminderte zelluläre Aufnahme oder eine biochemische Funktionsstörung. Dies ist der erste beschriebene Fall eines Pat. mit renaler Insuffizienz, der trotz normaler Serumspiegel und adäquater Substitution ein Vit. B12-Mangelsyndrom mit zerebraler Beteiligung bietet. Intensivmedizinern sollte die Möglichkeit eines therapierefraktären, fulminanten Verlaufs einer funikulären Myelose bei niereninsuffizienten Pat. bewußt sein

Abb. 1: Das T2-gewichtete MRT des Myelons zeigt auf die Hinterstränge begrenzte Signalhyperintensitäten als typisches Muster der funikulären Myelose.

Abb. 2: In den T2- und FLAIR-Sequenzen des kranialen MRT zeigten sich im Verlauf trotz früher und intensivierter Vitamin B12-Substitutionstherapie ausgeprägte bilaterale Marklagerläsionen.