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DOI: 10.1055/s-2006-952974
Eine fulminant verlaufende „atypische MS“?
Kasuistik: Eine 34-jährige, bisher gesunde Frau stellt sich mit über 4 Wochen aufgetretenem Harn- und Stuhlverhalt, leichter Gangunsicherheit, Müdigkeit und Appetitlosigkeit vor. Sie erinnert sich an eine einmalige Episode mit vorübergehender sensibler Hemisymptomatik und Kopfschmerzen. Im MRT zeigen sich supra- und infratentoriell sowie spinal multiple, kleinfleckige, periventrikulär konfluierende, z.T. kontrastmittelaufnehmende Läsionen. Im Liquor finden sich 8 Zellen/µl und positive oligoklonale Banden (OKB). Unter Steroidstoßtherapie bei der Verdachtsdiagnose einer beginnenden MS kommt es zur raschen Remission. Nach 4 Wochen tritt eine identische, wiederum nach Steroiden remittierende Symptomatik auf. Im MRT sind neue Herde abgrenzbar, es wird eine Therapie mit Interferon-beta1a begonnen. Wenige Tage später entwickelt die Patientin eine Ataxie und Sensibilitätsstörungen, Angst, Unruhe und eine Dys- und Tachypnoe; laborchemisch wird eine floride Hyperthyreose diagnostiziert. Zwei Wochen nach der Voruntersuchung sind im MRT cerebral sechs neue anreichernde Herde abgrenzbar, der Liquor zeigt 8 Zellen/µl und eine leichte Schrankenstörung ohne OKB. Nach kurzer Besserung unter Steroiden entwickelt die Patientin eine Psychose und eine schwere zentrale Hyperventilation. Zehn Wochen nach Erstsymptomatik erhält sie 1 Zyklus Mitoxantron, gefolgt von einer akuten transienten Linksherzinsuffizienz und Koma. Nach klinischer Stabilisierung erhält die Patientin Cyclophosphamid. Trotz allmählicher klinischer Besserung zeigen wiederholte MRT immer neue supra- und infratentorielle, anreichernde Läsionen. Vier Monate nach Symptombeginn erfolgt eine weitere diagnostische Maßnahme.
Diskussion: Dieser Fall zeigt eindrücklich die Gefahr, die aus der Verdrängung „nicht passender“ Information aus Klinik, MRT und Liquor resultiert. Er illustriert die Bedeutung der Liquordiagnostik und das Versagen zwar sensitiver, aber im Alltag nicht unbedingt prädiktiver diagnostischer Kriterien. Diskussionswürdig sind auch die Ursachen der seltenen zentralen neurogenen Hyperventilation und der akuten Linksherzinsuffizienz nach Mitoxantron bei rezenter Hyperthyreose.