Aktuelle Urol 2006; 37 - V53
DOI: 10.1055/s-2006-947441

Variationen des Gefäßnervenbündels – eine anatomische Evaluation als Grundlage zur verbesserten potenzerhaltenden radikalen Prostatektomie

J Hennenlotter 1, I Laible 1, AS Merseburger 1, U Kuehs 1, AG Anastasiadis 1, S Corvin 1, MA Kuczyk 1, A Stenzl 1, KD Sievert 1
  • 1Urologische Klinik, Eberhard-Karls-Universität, Tübingen

Hintergrund: Zum Erhalt der erektilen Funktion sind nervschonende operative Techniken der radikalen Prostatektomie (RP) entwickelt worden, die eine stetige Weiterentwicklung erfahren. Die Schonung des periprostatischen neurovaskulären Bündels ist die Voraussetzung für postoperative erektile Funktionalität. Periprostatisches Nervengewebe, das im Rahmen der RP trotz nerverhaltender Intention mit entnommen wird, und den unvollständigen Nerverhalt darstellt, kann Ursache für Funktionseinbußen sein. Ziel dieser Studie war die Evaluation des Gefäßnervenbündels am RP-Präparat im Hinblick auf die nerverhaltende bzw. die nicht nerverhaltende Situation.

Material und Methode: Von 23 RP-Präparaten (7 ohne Nerverhalt, 10 mit uni- und 6 mit bilateralem Nerverhalt) wurden auf jeweils 3–7 seriellen Komplett-Horizontalschnitten von apikal nach basal immunhistochemisch Nervengewebe dargestellt (PGP 9,5) und mikroskopisch analysiert. Jeder Schnitt wurde dabei in 12 Uhrzeiger-Radialsektoren geteilt und in jeweils rechts und links ventral (1,12), ventrolateral (2+3,10+11), dorsolateral (4+5,8+9) und dorsal (6,7) eingeteilt. Aus insgesamt 105 Sektoren wurde jeweils die Anzahl periprostischer Nerven, unterteilt in große (>500µ) und kleine Nervenfasern, ausgezählt und pro Sektor summiert.

Ergebnisse: Auf den nicht nerverhaltenden Seiten der RP-Präparate verteilten sich große Nerven ventral 8,4, ventrolateral 22,5, dorsolateral 60,7 und dorsal 8,4%, kleine Nerven 7,2, 23,4, 58,0 und 11,4%. Die Verteilungsmuster zeigten dabei 2 unterschiedliche Ausprägungen: Typ A eine Verteilung dorsal+dorsolateral zu ventral+ventrolateral von 78 zu 22% (Große) und 76 zu 24% (Kleine), Typ B 40 zu 60% für große und 55 zu 45% für kleine Nerven. Typ A zeigte damit ein echtes dorsolateral gebündeltes neurovaskuläres ‘Bündel', Typ B eine lateral weit verteilt verlaufende Nervendistribution. Eigenschaft A/B verhält sich p>0,3 zur Prostatamasse.

Auf nerverhaltender Seite ist das Verhältnis peripherer Nerven im Vergleich zu ‘nicht nerverhaltend': ventral 40,8/104,6, ventrolateral 76,8/77,3, dorsolateral 14,1/57,7 und dorsal 76,1/80,2% (jeweils groß/klein) Im dorsolateralen Sektor ist die Anzahl der Nervenfasern signifikant niedriger als ‘nicht nerverhaltend' (p<0,0001 für Große, p=0,05 für Kleine). Bei Präparaten des Typ B wurde im ventralen+ventolateralen Abschnitt 13% mehr große und 31% mehr kleine Nervenfasern zusammen mit der Prostata resiziert als bei Typ A.

Diskussion: Periprostatische Nervenfasern finden sich im Gegensatz zur allgemeinen Darstellung auch entlang der ventralen und ventrolateralen Prostata. Individuelle Variationen zeigen unabhängig vom Prostatavolumen zwei Hauptausprägungen der Verteilung: ‘mit dorsolateral gebündeltem neurovaskulärem Bündel' (A, 62,5%) und ‘verteilt verlaufende Nervendistribution mit erheblichem ventrolateralem und ventralem Anteil' (B, 37,5%). Nerverhalte RP erfolgt hauptsächlich dorsolateral der Prostata, wobei im lateralen Verlauf Nervengewebe am Präparat verbleibt, besonders bei Prostaten Typ B.

Für die Aufklärung der funtionellen Zusammenhänge ist das individuelle postoperative Follow-up erforderlich. Präoperativ könnten bildgebende Verfahren den individuellen Status periprostatischer Nervenverteilung erfassen und damit individuell (B) auf die Notwendigkeit einer weiter ventral reichenden Nervschonung hinweisen.