ZFA (Stuttgart) 2006; 82(8): 368-370
DOI: 10.1055/s-2006-942087
DEGAM-Nachrichten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Forschungskurs Freiburg: „Du sollst keine anderen Patienten haben neben mir”

“Let Me Be the One” - n-of-1-Trials in Primary Health CareJ.-M. Träder1
  • 1Lehrauftrag für Allgemeinmedizin, Universität zu Lübeck
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Publication Date:
25 August 2006 (online)

Zum zwölften Mal fand in Freiburg der Forschungskurs der DEGAM statt. Über vierzig Teilnehmer hatten sich bei frühlingshaften Temperaturen eingefunden, um über die provokante These nachzudenken, ob man in der Hausarztpraxis mit der Untersuchung eines einzigen Patienten eine statistisch haltbare wissenschaftliche Aussage treffen kann, und ob dieses Vorgehen in unserer „Pathologie des Alltags” einen Stellenwert hat. Darüber wurde zwei Tage lang miteinander diskutiert.

Mich hatte der provokant formulierte Titel gereizt, an diesem Kurs teilzunehmen.

Normalerweise würde man einen Pharmareferenten, der einem (wieder einmal…) die Vorzüge seines Präparates an einer Wirksamkeitsstudie mit 7 Probanden und 5 Kontrollen zu beweisen versucht, kurzerhand vor die Tür setzen. Und nun soll ein einziger Patient ausreichen?

Im Einleitungsreferat von Harald Kamps (Berlin) zeigte sich, dass diese Methode tatsächlich in unserer Alltagsarbeit hilfreich sein kann. Die Domäne der Number-of-1-Studie (n-of-1-trial) liegt allerdings wohl eher in der Kontrolle bei der Therapie von langdauernden Krankheitsbildern, vorwiegend bei der Behandlung mit schnell wirksamen Medikamenten. Man schaltet dazu mehrere zeitlich definierte Behandlungsphasen mit dem Verum und dem Placebo nacheinander. Diese Behandlungsphasen werden von Auswaschperioden kürzerer Dauer unterbrochen. Dabei ist es günstig, wenn die Halbwertzeit der Medikamente kurz ist, damit eine relativ kurze Wash-in-/Wash-out-Phase möglich ist.

Am Folgetag wurde - nach einer Einführung in die Internet-Recherche mittels der bekannten Datenbanken Medline/Pubmed durch Maren Abu-Hani (Marburg) - anhand von Beispielen dieses Vorgehen nachvollzogen und geübt.

Vier Elemente sind für die Konstruktion einer Studie notwendig. Diese Konstruktion wurde anhand einer vor einiger Zeit erschienenen n-of-1-Studie nachvollzogen (Tab. [1]).

Tab. 1 1. Patient/Problem Schwangerschaftserbrechen 2. Intervention Vitamin B6 (Pyridoxin) 3. Vergleich konventionelle Therapie versus Pyridoxin 4. Endpunkt Reduktion der Beschwerden

In dieser Studie wurde einer Patientin, die unter Schwangerschaftserbrechen litt, welche die konventionelle Therapie aber ablehnte, doppelblind entweder Vitamin-B-6 oder Plazebo gegeben. Diese Behandlungsepisoden wurden durch Auswaschphasen unterbrochen. Die Patientin führte fortwährend ein Protokoll über ihre Beschwerden.

Die Auswertung ergab, dass die Behandlung weder einen Vorteil in der Symptomintensität noch einen Benefit in der Häufigkeit und Länge der Beschwerden erbrachte. Folglich wurde die Behandlung mit gutem Grund abgebrochen.

Im weiteren Verlauf haben die Teilnehmer des Forschungskurses dann versucht, in Kleingruppen selbst Themen zu finden und Studienansätze zu entwickeln. Dabei wurden in regen Diskussionen viele Ideen „geboren”, die meisten aber auch wieder verworfen, da sich alle kurz dauernden, episodischen Krankheiten für diese Art des Studiendesigns nur begrenzt eignen. Für den Patienten (und auch für den Behandler!) muss der gesamte Studienablauf noch überschaubar bleiben.

Unter den Themenvorschläge kristallisierten sich einige Themen heraus, deren Fragestellungen von Relevanz waren, und die sich zudem auch noch leidlich praktikabel in der Praxis umsetzen lassen.

Refluxkrankheit: Niedrigdosiseinsatz von PPIs COPD: Auslassversuch Theophyllin oder Kortikoide Originalpräparate gegen Generika - Wirkvergleich in n-of-1 Wadenkrämpfe: Homöopathie vs. Magnesium Medikamentenreduktionsversuch (Absetzen von überflüssiger Medikation, z. B. von L-Thyroxin bei euthyreoten Frauen ohne Struma). homöopathische Medikamente im Einzeltest auf Wirksamkeit untersuchen Koffein bei geriatrischen Patienten als Schlafmittel Müdigkeit bei Gebrauch von Antihistaminika Einsatz von Pankreatin bei unspezifischen Bauchbeschwerden.

Diese Themen wurden in den Gruppen intensiv diskutiert und letztlich von Gruppensprechern dem Plenum vorgestellt. Bei diesen kritischen Überlegungen kristallisierten sich zwei Exkurse heraus.

Der erste Exkurs ging über die Notwendigkeit der Einschaltung einer Ethik-Kommission: Im Einzelfall und bei regulärer Intervention erscheint es verzichtbar, bei Publikation der Studie und bei Off-label-Use eines Medikamentes ist der Antrag unbedingt erforderlich.

Der zweite Exkurs ging über die Verallgemeinerung der Ergebnisse aus n-of-1-Studien: Diese Verallgemeinerung ist wohl eher nicht gegeben. Selbst, wenn man mehrere n-of-1-Studien zusammenfasst, kann daraus zum Beispiel nicht auf eine NNT (number needed to treat) geschlossen werden. Dennoch kann eine n-of-1-Studie als Pilotprojekt für eine größer angelegte randomisierte Studie sehr hilfreich sein.

Am Sonntag haben die vier Kleingruppen jeweils eines ihrer Themen weiter entwickelt. Alle Studienskizzen wurden auf Machbarkeit und systemimmanente Schwächen analysiert und kritisch diskutiert. Es kristallisierten sich zwei Themen heraus, die möglicherweise von den betreffenden Gruppen bis zur Veröffentlichungsreife weiter bearbeitet werden. Über diese beiden Themen möchte ich kurz berichten.

Prof. Dr. med. J.-M. Träder

Lehrauftrag für Allgemeinmedizin · Universität zu Lübeck

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Email: dr-traeder@versanet.de

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