Notfall & Hausarztmedizin (Notfallmedizin) 2005; 31(11): 557
DOI: 10.1055/s-2005-925574
Praxismanagement

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Vorfahrt für freien Vertragswettbewerb

Umstrittene Rolle der KVenKlaus Schmidt
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Publication Date:
02 January 2006 (online)

Was wird aus den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung? Erste Äußerungen sowohl von SPD- als auch von Unionsseite während der Koalitionsgespräche ließen erkennen, dass die vertragsärztliche Selbstverwaltung noch stärker in ihren Kompetenzen gestutzt und auf die eines unter vielen Beteiligten auf dem Markt reduziert werden soll.

Auf dem Diskussionsforum „kbv-kontrovers” unter dem Motto „Gesundheitswesen nach der Wahl: kurzfristig saniert - langfristig ruiniert?” wollte die KBV von Meinungsführern in Politik und Gesundheitswesen wissen, wohin die Reise gehen soll. Doch auch Horst Seehofer, designierter Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in einem Kabinett von Angela Merkel, konnte oder wollte den KBV-Verantwortlichen keine klare Antwort geben. Abschaffen wolle man die KVen nicht, gestand er ein, doch Oligopole, und ein solches seien die KVen, halte er nicht mehr für zeitgemäß. Die Rolle der KVen im künftigen Vertragswettbewerb ist für Seehofer nicht die wichtigste Frage.

Wettbewerb, Transparenz und Gestaltungsfreiräume

Wettbewerb, Transparenz und Gestaltungsfreiräume stehen für die große Koalition an vorderster Stelle. Der CSU-Politiker will dabei künftig ein gewichtiges Wort mitsprechen: „Es ist eine absurde Vorstellung, dass ich künftig nur über Zuckerrüben und Kartoffeln was sagen werde. Natürlich werde ich weiterhin zur Sozial- und Gesundheitspolitik was sagen.”

In der Podiumsdiskussion räumten nahezu alle Beteiligten ein, dass Bewegung in das System gekommen ist. Die Grünen-Politikerin Andrea Fischer, Vorgängerin von Ulla Schmidt als Bundesgesundheitsministerin, räumte ein, dass man schon enorm in Sachen Wettbewerb weitergekommen sei. Ärzte, die innovativ waren und integrierte Versorgung machen wollten, seien früher meist an ihrer KV gescheitert. Sie bekannte offen, dass es ein großer Fehler der Politik gewesen sei, den Forderungen der KBV nach einem Rahmenvertrag nachgegeben zu haben. Der hat schließlich dazu geführt, dass es zu keinem einzigen IV-Vertrag gekommen ist und dass die KVen jetzt ganz aus dem Geschäft ausgesperrt sind. Dahinter sieht Fischer eine große Angst der Körperschaft vor Bewegung, ein erhebliches Beharrungsvermögen und nicht zuletzt eine Machtfrage.

KBV-Chef Köhler störte es verständlicherweise, dass man den KVen die Schuld am Scheitern zuschiebe. Er war schließlich in vorderster Linie daran beteiligt. Heute schiebt er das damalige Scheitern auf das komplizierte Finanzierungsverfahren. Mit der jetzigen Anschubfinanzierung bewege sich etwas, gestand er ein. Und nun möchten die KVen auch gern als Vertragspartner mitmachen. „Geben Sie uns ein gescheites Vergütungssystem, und es klappt mit der Integrierten Versorgung.” Er ging noch einen Schritt weiter und forderte die Politik auf: „Nehmen Sie uns den Status der Körperschaft ab, dann sind wir Dienstleister im Wettbewerb. Sicherstellung hat in einem Wettbewerbssystem nichts mehr zu suchen.”

Honorarordnung wie bei jedem anderen freien Beruf

Nur die Anschubfinanzierung in Höhe von 1 % aus der Gesamtvergütung und dem Krankenhausbudget hat nach Ansicht von Prof. Norbert Klusen, dem Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse, dafür gesorgt, dass es mit der Integrierten Versorgung endlich vorangeht. Aber die wird eines Tages auslaufen, und dann müssen sich die Projekte selbst tragen. Auf jeden Fall aber wird das Vertragsgeschäft durch die Vertragsvielfalt schwieriger, meinte er. Im Moment lerne das System, und es werde sich herausstellen, welche Wege man am besten beschreite.

Für Eugen Münch, den Aufsichtsratsvorsitzenden der Rhön-Kliniken, besteht kein Zweifel, dass wir in absehbarer Zeit einen „Bedienungsmangel” bei wachsender Nachfrage im Gesundheitswesen bekommen. Die Nachfrage wächst automatisch, meinte er, weil die Menschen älter werden und mehr Krankheiten haben. Wenn die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage groß genug ist, werden nach seiner Ansicht die Integrierte Versorgung und die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) - „das sind die Löcher für den Start” - erst richtig vorankommen. Dort werde das geboten, was in der Regelversorgung nicht mehr geboten wird.

Horst Seehofer setzt weniger auf reine Kostendämpfungsmaßnahmen als vielmehr auf eine wirkliche Strukturreform: „Unser System ist gut, was aber nicht heißt, dass es nicht besser werden könnte.” Denn ohne innovative und dynamische neue Rahmenbedingungen werde auch das beste Sozialsystem seine Grundlagen verlieren. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG), das in vielen Punkten seine Handschrift trägt, sei ein Beispiel dafür, dass man ein System temporär in den schwarzen Zahlen halten könne. Das halte aber nur zwei bis drei Jahre. Deshalb müsse im Gesundheitswesen jetzt endlich das geschehen, was schon seit 25 Jahren diskutiert werde.

Vor allem sei es notwendig, den Arzt wieder zu einem freien Beruf zu machen. Ihm schwebe vor, dass die niedergelassenen Ärzte eine Honorarordnung wie jeder andere freie Beruf bekommen, die Budgets abgeschafft werden und die Ärzte zeitnah wissen, was sie verdienen.

Der Vertragswettbewerb muss nach seinen Plänen massiv gestärkt werden, indem die Gestaltungsprinzipien für alle Beteiligten ausgeweitet werden. Die Versicherten sollten ihre Konditionen stärker mitbestimmen können, ähnlich wie die Bürger in der Schweiz - dort gibt es eine Art Kombinationsmodell aus Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie. Auch die starre Abgrenzung von ambulant und stationär hält Seehofer nicht mehr für zeitgemäß.

Klaus Schmidt

Planegg

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