Kasuistik: Ein 12-jähriges Mädchen aus Palästina wurde uns wegen einer seit 3 Jahren progredienten
Visusminderung beider Augen zur Mitbeurteilung vorgestellt. Bis zum 7. Lebensjahr
verlief die Entwicklung des Kindes völlig normal. Dann fielen ein Minderwuchs und
Sehprobleme in der Schule auf. Die ophthalmologische Untersuchung ergab beidseitig
eine bandförmige Hornhauttrübung im Lidspaltenbereich, deutliche erhöhte Augendruckwerte
(45mmHg rechts und 55mmHg links) sowie sternförmige Kerntrübungen der Linse.
Methodik: Augenärztliche Behandlung: Zur Beseitigung der Hornhauttrübung wurde beidseits eine
Na-EDTA-Abrasio durchgeführt, außerdem eine Zyklokryokoagulation als drucksenkender
Eingriff. Da der Augendruck auch unter der Therapie mit Cosopt-AT und Diamox-Tabletten
(in Absprache mit den Pädiatern vorsichtig dosiert bei systemischer Acidose) nicht
ausreichend reguliert war, erfolgte eine nochmalige Zyklokryokoagulation am rechten
Auge, anschließend bestand eine zufriedenstellende Drucklage bis 20mmHg. Am linken
Auge entschlossen wir uns bei unverändert hohen Druckwerten bis 35mmHg zur Implantation
eines Ahmed-Ventils. Postoperativ kam es vorübergehend zu einer Aderhautanschoppung.
Der bestkorrigierte Visus betrug rechts 1/15 und links 1/50, im wesentlichen verursacht
durch eine ausgeprägte Glaukompapille und eine zunehmende Katarakt.
Ergebnisse: Pädiatrische Diagnostik: Die Kinderärzte bestätigten den Minderwuchs unserer Patientin
und ermittelten das Knochenalter röntgenologisch auf 9,5 Jahre. Außerdem fand sich
eine ausgeprägte metabolische Azidose mit einem pH von 7,08 und einem Baseexzess zwischen
–17 und 120 mmol/l. Das Krankheitsbild wurde als so genannte „renale tubuläre Azidose
vom proximalen Typ“ eingeordnet. Dabei handelt es sich um eine autosomal-rezessive
Störung des Natriumbikarbonat-Cotransporters des proximalen Tubulus der Niere. Durch
eine Beeinträchtigung der Bikarbonatrückresorption kommt es zu einem Bikarbonatverlust
und damit zu einer metabolischen Azidose. Die Behandlung der Azidose erfolgte mit
einer Kombination aus Natriumbikarbonat und Kaliumcitrat. Die bekannten Mutationen
finden sich auf dem SLC 4A4-Gen, allerdings konnten diese bis jetzt nicht nachgewiesen
werden.
Diagnosen: Bandförmige Keratopathie, Sekundärglaukom mit Glaukompapille u. Cataracta complicata
bei proximaler renaler tubulärer Azidose.
Schlussfolgerungen: Die proximale renale tubuläre Azidose (pRTA) ist ein seltenes, autosomal-rezessiv
vererbtes Krankheitsbild, das auf Mutationen im NA+-HCO3-Cotransporter (NBC-1) zurückzuführen ist und mit einer Augenbeteiligung, Zahnschmelzschäden,
Minderwuchs und psychomotorischer Retardierung einhergehen kann. Der Mechanismus der
Glaukom- und Kataraktentstehung ist dabei noch nicht eindeutig geklärt.