Fragestellung: Rollstuhlabhängigkeit ist eine verbreitete Outcome-Variable in Therapiestudien zur
Multiplen Sklerose (MS). Sie bildet aber nur einen Teil der Beeinträchtigungen bzw.
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Betroffenen ab. Mehrere Studien weisen
außerdem auf einen nicht-linearen Zusammenhang zwischen Gehfähigkeit und Lebensqualität
bei MS hin. In dieser Studie wird deshalb an einer großen Stichprobe von MS-Betroffenen
untersucht, wie sich Patienten mit unterschiedlich starken Beeinträchtigungen der
Gehfähigkeit in ihrer Lebensqualität unterscheiden.
Methoden: 7305 MS-Betroffene wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Erhoben wurden die
Lebensqualität (Multiple Sclerosis Quality of Life (MSQOL)-54), soziodemographische
und krankheitsbezogene Daten.
Ergebnisse: 3045 Patienten sendeten den Fragebogen ausgefüllt zurück (Rücklaufquote 41,7%, Durchschnittsalter
48,2J.). 47,6% der Patienten hatten keine wesentliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit
(Gruppe 1), 21,2% der Patienten waren in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt aber nicht
auf einen Rollstuhl angewiesen (Gruppe 2) und 31,2% der Patienten waren weitgehend
auf einen Rollstuhl angewiesen (Gruppe 3). Auf der körperlichen Summenskala des MSQOL-54
war der Unterschied zwischen Gruppe 1 (63,1 +/- 17,5 (MW +/- SD)) und Gruppe 2 (44,3
+/- 15,3) deutlich größer als der Unterschied zwischen Gruppe 2 und Gruppe 3 (37,5
+/- 15,1). Beide Unterschiede waren signifikant. Auf der psychischen Summenskala unterschieden
sich zwar Gruppe 1 (55,3 +/- 18,1) und Gruppe 2 (50,6 +/- 19,2) signifikant voneinander,
nicht aber Gruppe 2 und Gruppe 3 (48,1 +/- 20,3). Der Unterschied zwischen diesen
beiden Gruppen war deutlich kleiner. Dieses Bild zeigt sich auch nach einer statistischen
Elimination der Effekte des Alters und der Krankheitsdauer und der Berücksichtigung
des Geschlechts der Probanden.
Schlussfolgerungen: Für die körperliche und die psychische Lebensqualität von MS-Betroffenen ist nicht
ausschlaggebend, ob die Betroffenen auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Bedeutendere
Unterschiede in der Lebensqualität findet man zwischen Personen mit weitgehend uneingeschränkter
Gehfähigkeit und Personen mit Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit, die aber nicht
auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Die Ergebnisse sprechen also für einen nicht-linearen
Zusammenhang zwischen Gehfähigkeit und Lebensqualität. Die Zweckmäßigkeit der Verwendung
der Rollstuhlabhängigkeit als Outcome-Variable muss angezweifelt werden.