Aktuelle Neurologie 2005; 32 - P315
DOI: 10.1055/s-2005-919349

Vergleich verschiedener deutschsprachiger Theory-of-Mind Tests bei Menschen mit Asperger Syndrom

H Adenauer 1, J Kessler 1, M Brand 1, S Fleck 1, C Lechmann 1, W Prim 1, E Kalbe 1
  • 1Konstanz, Köln, Bielefeld, Wipperfürth

Einleitung: Unter Theory of Mind (ToM) versteht man die Fähigkeit, sich in geistige Zustände (mental states) anderer Menschen hineinzuversetzen und so die Gedanken, Emotionen und Absichten des Gegenübers wahrzunehmen und Verhalten zu interpretieren und vorherzusagen. ToM-Defizite stellen ein Kerndefizit des Asperger-Syndroms (AS) dar, welches den Autismusspektrum-Störungen zugeordnet wird. In der vorliegenden Studie werden etablierte und neue ToM-Tests bei AS-Probanden verglichen.

Methoden: Untersucht wurden Menschen mit AS (n=18, mittleres Alter 25,1 Jahre, SD=6,6) und eine nach Alter und Intelligenz parallelisierte Kontrollgruppe (KG, n=22, Alter 24,2, SD=3,5). Angewendet wurden der ToM-Augentest, modifiziert nach Baron-Cohen (2001), ein Multiple-Choice-ToM-Test, ein ToM-Wörtertest, ein Selbsteinschätzungs-Fragebogen zur ToM-Fähigkeit (alle Kalbe et al.) sowie der MASC (ToM-Film-Test, Dziobek et al., in press).

Ergebnisse: Die AS-Gruppe wies im Vergleich zur KG signifikante Minderleistungen in allen ToM-Tests auf (alle p<0.05). Die Sensitivitäten und Spezifitäten der einzelnen Tests betrugen: 55,6 bzw. 77,3 für den Augentest, 62,5% bzw. 81,8% für den Multiple-Choice-ToM-Test, 55,6% bzw. 63,6% für den ToM-Wörtertest, 72,2% bzw. 86,4% für den Selbsteinschätzungs-Fragebogen und 82,4% bzw. 95,5% für den MASC.

Diskussion: Der MASC, ein ToM-Film-Test, stellt im Vergleich zu anderen ToM-Testverfahren zwar mit ca. 30 Minuten Anwendungsdauer das zeitlich aufwendigste, aber auch das sensitivste Maß zur Erfassung von ToM-Störungen bei Menschen mit AS dar. Die hohe Sensitivität ist vermutlich auf seine Komplexität und ökologische Validität (Alltagsnähe) zurückzuführen, welche eine Kompensation von ToM-Störungen durch regelhaft angewendete mentale Zuschreibungen schwierig macht.

Baron-Cohen et al., J Child Psychol Psychiatry, 42: 241–51, 2001.

Dziobek et al., J Autism Dev Disord, in press.