Einleitung: Unter Theory of Mind (ToM) versteht man die Fähigkeit, sich in geistige Zustände
(mental states) anderer Menschen hineinzuversetzen und so die Gedanken, Emotionen
und Absichten des Gegenübers wahrzunehmen und Verhalten zu interpretieren und vorherzusagen.
ToM-Defizite stellen ein Kerndefizit des Asperger-Syndroms (AS) dar, welches den Autismusspektrum-Störungen
zugeordnet wird. In der vorliegenden Studie werden etablierte und neue ToM-Tests bei
AS-Probanden verglichen.
Methoden: Untersucht wurden Menschen mit AS (n=18, mittleres Alter 25,1 Jahre, SD=6,6) und
eine nach Alter und Intelligenz parallelisierte Kontrollgruppe (KG, n=22, Alter 24,2,
SD=3,5). Angewendet wurden der ToM-Augentest, modifiziert nach Baron-Cohen (2001),
ein Multiple-Choice-ToM-Test, ein ToM-Wörtertest, ein Selbsteinschätzungs-Fragebogen
zur ToM-Fähigkeit (alle Kalbe et al.) sowie der MASC (ToM-Film-Test, Dziobek et al.,
in press).
Ergebnisse: Die AS-Gruppe wies im Vergleich zur KG signifikante Minderleistungen in allen ToM-Tests
auf (alle p<0.05). Die Sensitivitäten und Spezifitäten der einzelnen Tests betrugen:
55,6 bzw. 77,3 für den Augentest, 62,5% bzw. 81,8% für den Multiple-Choice-ToM-Test,
55,6% bzw. 63,6% für den ToM-Wörtertest, 72,2% bzw. 86,4% für den Selbsteinschätzungs-Fragebogen
und 82,4% bzw. 95,5% für den MASC.
Diskussion: Der MASC, ein ToM-Film-Test, stellt im Vergleich zu anderen ToM-Testverfahren zwar
mit ca. 30 Minuten Anwendungsdauer das zeitlich aufwendigste, aber auch das sensitivste
Maß zur Erfassung von ToM-Störungen bei Menschen mit AS dar. Die hohe Sensitivität
ist vermutlich auf seine Komplexität und ökologische Validität (Alltagsnähe) zurückzuführen,
welche eine Kompensation von ToM-Störungen durch regelhaft angewendete mentale Zuschreibungen
schwierig macht.
Baron-Cohen et al., J Child Psychol Psychiatry, 42: 241–51, 2001.
Dziobek et al., J Autism Dev Disord, in press.