Aktuelle Neurologie 2005; 32 - M144
DOI: 10.1055/s-2005-919245

Kompensationsfähigkeit als Diagnostikum für Fahrtauglichkeit – Eine kontrollierte Studie am Beispiel von M. Parkinson

Y Körner 1, S Hoffmann 1, S Buld 1, M Naumann 1, H.P Krüger 1
  • 1Würzburg, Augsburg

Die wenigen Studien zur Fahrtauglichkeit bei M. Parkinson (PD) liefern kein einheitliches Bild. Zwar zeigen sich stets Beeinträchtigungen im Fahrverhalten der Patienten, die Befunde zum Zusammenhang zur Krankheitsschwere sind jedoch nicht eindeutig. Seit dem Bericht von Schlafattacken durch Frucht (1999) wird Tagesmüdigkeit als weiteres Kriterium diskutiert. Ziel der vorliegenden Studie war, den Einfluss motorischer und aktivationaler Beeinträchtigungen auf die Fahrleistung bei PD zu überprüfen. V.a. wurde aber auch der Einfluss kompensatorischer Bemühungen untersucht.

24 PD-Patienten wurden mit 24 gesunden Personen in 3 Fahrten in einem High-Fidelity-Simulator und klassischen Testverfahren der Fahreignungsdiagnostik verglichen. Die Patienten wurden nach Krankheitsschwere (Hoehn&Yahr-Stadien 1–3) und Tagesmüdigkeit (ja-nein) geschichtet.

In Fahrt 1 waren verschiedene Verkehrssituationen unterschiedlicher Schwierigkeit realisiert, Fahrt 2 stellte eine monotone Nachtfahrt dar. Der Einfluss von Kompensation wurde untersucht, indem ein Teil der Fahrt 1 unter Zeitdruck wiederholt wurde. In Fahrt 2 wurde Kompensation durch die Inanspruchnahme frei wählbarer Pausen erfasst.

Die Ergebnisse belegen deutliche Beeinträchtigungen bei PD. Krankheitsschwere und Tagesmüdigkeit erwiesen sich jedoch nicht als ausreichende Prädiktoren. V.a. aber zeigte der Vergleich der Fahrten mit und ohne Zeitdruck einen enormen Einfluss von Kompensation: Die Patienten durchfuhren beide Strecken langsamer als die gesunden Testfahrer (p=.000 bzw. p=.001), wobei der Zeitdruck bei ihnen einen höheren Zeitgewinn (p=.033) und einen höheren Fehlerzuwachs (p=.068) bewirkte (s. Abb.). Unter Monotonie wurden auch aktivationale Beeinträchtigungen stark kompensiert: Patienten nahmen häufiger Pausen in Anspruch (50% vs. 13%, p=.002) und sind nicht häufiger eingeschlafen als gesunde Testfahrer (20% vs. 33%, p=.330). Die Testdiagnostik wies auf eine Verlangsamung der Patienten hin, wobei diese nicht ausreichend zwischen motorischem und kognitivem Anteil differenzierte. Insgesamt erwiesen sich die Verfahren auch für gesunde Personen dieser Altersgruppe als sehr schwer.

Die Befunde belegen den enormen Einfluss von Kompensation auf die Fahrleistung bei PD. Kritischerweise erfassen klassische Testverfahren genau diese Fähigkeit nicht. Es wird vermutet, dass bei neurologischen Erkrankungen sowie beim hochbetagten Fahrer eine wie hier realisierte provokative Diagnostik den herkömmlichen Verfahren überlegen ist.

Wirkung der Kompensationsverhinderung durch Zeitdruck auf die Fahrtdauer (links) und die von zwei Beobachtern registrierte Gesamtfehlerzahl (rechts). Einzelne Dreiecke stellen dabei die Einzelfälle der Patienten (PD), Quadrate die Einzelfälle der gesunden Vergleichsgruppe (VG) dar. Die Mittelwerte pro Gruppe sind durch die Linien gekennzeichnet.