Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(6): B 309
DOI: 10.1055/s-2005-872334
Praxismanagement

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von Bürokratie erschlagen

ArztberufKlaus Schmidt
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. August 2005 (online)

Ein Gutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat die Gründe für den Studienabbruch und die Bedenken junger Ärzte gegen die Berufsausübung untersucht. Das Ergebnis bestätigt die von der Bundesärztekammer seit geraumer Zeit vorgetragenen Gründe zum Ärztemangel: die enorme Arbeitsüberlastung, geringe Aufstiegschancen, mangelnde Anerkennung, Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, eine überbordende Bürokratie und eine völlig unzureichende Bezahlung.

Wen wundert es da, dass nur noch 16,4 % der Ärzte jünger sind als 35 Jahre, stellte BÄK-Präsident Prof. Jörg D. Hoppe bei der Eröffnung des 108. Deutschen Ärztetags in Berlin in Anwesenheit von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt fest. Das ist ein dramatischer Einbruch im Vergleich zum Anfang der 90er Jahre, als noch fast ein Drittel zu dieser Altersklasse gehörte.

Verwaltungsarbeit ist lukrativer als das Heilen von Menschen

Für gut ausgebildete junge Leute gibt es eben eine Vielzahl von Alternativen zur kurativen Medizin. Hoppe zeigte die Absurdität an einem Bericht des „Handelsblatt” über einen Kölner Krankenhausarzt auf: Dieser hatte seinen Arztkittel an den Nagel gehängt, auf einen Schlag sein Gehalt verdoppelt und obendrein die Arbeitszeit halbiert, weil er in das Controlling der Klinik gewechselt war. Verwaltungsarbeit wird tatsächlich besser bezahlt als das Heilen von Menschen.

Vor dem Tagungshotel hatten demonstrierende Krankenhausärzte die Ministerin empfangen, die dagegen protestierten, dass ihnen an den Uni-Kliniken eine Streichung des Urlaubsgeldes, die Kürzung des Weihnachtsgeldes und eine Verlängerung der Arbeitszeit droht. Hoppe sagte der Ministerin, dass auch die niedergelassenen Ärzte allen Grund hätten, eine vergleichbare Protestaktion auf die Beine zu stellen. Auch hier leiden Ärzte unter zum Teil unzumutbaren Arbeitszeiten und sind stark verunsichert hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft. Gerade die niedergelassenen Fachärzte seien mehr als nur irritiert, wenn die Politik die so genannte doppelte Facharztschiene beseitigen wolle. Hoppe wörtlich: „Die Akzeptanz unseres Gesundheitswesens hat bisher vor allem auch darin bestanden, dass jeder jederzeit wohnortnah fachärztlich versorgt wird. Wartelisten wie in England und Holland hat es bei uns nicht gegeben.”

Papierflut und Beachtung verschiedenster Verträge im Praxisalltag

Eine gravierende Ursache für die negativen Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte sind vor allem die gesetzlichen Ausgabenbudgets, konstatierte der Vorsitzende des Ausschusses „Ambulante Versorgung” der Bundesärztekammer, Dr. Franz Gadomski. Bei unbegrenztem Leistungsversprechen der Politik wurde den Ärzten ein strikt begrenzter Finanzrahmen vorgegeben, der ihnen ohne Rücksicht auf Leistungsbedarf und Morbiditätsentwicklung die finanzielle Haftung für die Einhaltung der Budgetgrenzen aufbürdet. Zusätzlich wurden die Ärzte einer Vielzahl von Reglementierungen unterworfen, die Bürokratie und Verwaltungsaufwand vervielfachen und die knappe Zeit rauben. In den Hausarzt-Praxen muss auf die verschiedensten Verträge geachtet werden: z.B. auf DMP Diabetes, DMP KHK, DMP Brust, hausärztlicher Vertrag, integrierte Versorgung etc. „Die Papierflut im Praxisalltag wird unerträglich”, stellte der saarländische Internist und Ärztekammer-Präsident fest.

„Wir werden als unterer Mittelstand drangsaliert mit sozialrechtlichen Vorschriften”, formulierte es noch drastischer der Tübinger Allgemeinarzt Dr. Albrecht Kühn. Die niedergelassenen Ärzte stünden vor dem Problem, dass sie ihren Umsatz im nächsten Jahr nicht kennen, unabhängig von der Entwicklung der Patientenzahl. Deswegen müssen sie mit Investitionen zurückhaltend verfahren und können nicht ohne weiteres eine Mitarbeiterin als Auszubildende für drei Jahre einstellen, zumal sie auch noch nicht die Auswirkungen des neuen EBM 2000plus kennen.

Gesundheitswesen als gigantisches Experimentierfeld für Versorgungskonzepte

In einer Resolution forderte der Ärztetag die politisch Verantwortlichen unter anderem auf, endlich aufzuhören, das Gesundheitswesen als gigantisches Experimentierfeld für ideologisch geprägte Versorgungskonzepte zu missbrauchen und den Preis-Wettbewerb als Allheilmittel zur Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens anzupreisen. Die bürokratische Überfrachtung ärztlicher Berufsausübung müsse reduziert werden. Die Rahmenbedingungen für eine Berufsausübung in eigener Praxis sollten so gestaltet werden, dass die Niederlassung in Deutschland für den ärztlichen Nachwuchs wieder erstrebenswert wird.

Der bayerische Allgemeinarzt Dr. Joachim Calles brachte es mit wenigen Worten auf den Punkt, wie man das Gefühl des Ausgebrannt-Seins bei den Ärzten beseitigen könnte: „Wenn Ärzte nicht mehr pauschal als Betrüger oder Beutelschneider bezeichnet werden, wenn die Fortbildung und die Qualitätsbemühungen der Ärzte anerkannt werden und wenn wir mehr Zeit für die Patienten und weniger für die Bürokratie zur Verfügung haben, dann wäre ich befreit vom Burn-out-Problem.”

Klaus Schmidt

Planegg

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