Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(6): B 306-B 308
DOI: 10.1055/s-2005-872333
Praxismanagement

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Wirtschaftlichkeitsprüfung 2005

Teil 2: Wenn ein „Bescheid” kommtIsabel Häser
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Publication Date:
05 August 2005 (online)

Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung wurde eingeleitet

Wirtschaftlichkeitsprüfungen beginnen grundsätzlich damit, dass dem Vertragsarzt mitgeteilt wird, dass gegen ihn von Amts wegen oder auf Antrag hin eine Wirtschaftlichkeitsprüfung eingeleitet wurde. Meistens erhält der Vertragsarzt ein persönliches Schreiben vom Prüfungsausschuss, in dem zum Beispiel im Falle einer Durchschnittsprüfung darauf hingewiesen wird, dass er im Quartal X/Y den Vergleichswert der Fachgruppe um einen bestimmten Prozentsatz überschritten habe. In diesem Schreiben wird noch keine Maßnahme wegen Unwirtschaftlichkeit festgesetzt.

Was ist nun zu tun?

In dem Schreiben wird der betroffene Vertragsarzt auf die Möglichkeit hingewiesen, zu der behaupteten Überschreitung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, die fast immer an eine Frist (in der Regel zwischen 3 und 4 Wochen) geknüpft ist. Diese Möglichkeit der Stellungnahme sollte auf keinen Fall ungenutzt bleiben! Das Ziel des betroffenen Vertragsarztes muss in diesem frühen Verfahrensstadium sein, die Wirtschaftlichkeit seines Verhaltens darzulegen und damit schon an dieser Stelle das Verfahren zu beenden.

Ausschluss von Argumenten (Präklusion)

Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass nur im Verfahren vor den Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen Praxisbesonderheiten und kompensatorische Einsparungen vorgetragen werden dürfen! Werden derartige Einwendungen erstmals im Gerichtsverfahren erhoben, so bleiben sie nach anerkannter bundessozialgerichtlicher Rechtsprechung unberücksichtigt - und zwar auch dann, wenn sie zutreffen und geeignet wären, statistische Auffälligkeiten zu rechtfertigen! Jeder Vertragsarzt hat somit im Verfahren zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit eine Mitwirkungspflicht! Bevor er aber eine Stellungnahme abgeben kann, muss der Vertragsarzt klären, in welchem Bereich seiner ärztlichen Tätigkeit er auffällig geworden ist: handelt es sich um eine Überschreitung bezüglich der ärztlichen Behandlungsweise oder der ärztlichen Verordnungsweise? Je nachdem ist darzulegen, warum die vorgenommenen ärztlichen Behandlungen der Patienten beziehungsweise deren Versorgung mit Arzneimitteln in dem betreffenden Quartal oder Jahr wirtschaftlich waren.

Praxisbesonderheiten Wenn das Verfahren fehlerfrei durchgeführt wird, wird dem betroffenen Vertragsarzt in der Regel eine Beendigung des Verfahrens nur durch den Nachweis von Praxisbesonderheiten oder kompensatorischen Einsparungen gelingen. Ein Regress oder eine andere nachteilige Maßnahme gegen den Vertragsarzt darf nicht nur auf der Auswertung einer Statistik beruhen. Als intellektuelles Korrektiv des reinen Zahlenmaterials dienen daher Praxisbesonderheiten. Eine genaue Definition sieht das Gesetz hierzu jedoch nicht vor. Ausgehend von der Prämisse, dass die Ärzte einer Vergleichsgruppe im statistischen Durchschnitt den Versicherten in ähnlicher Art und Weise mit dem medizinisch Notwendigen versorgen, sind unter Praxisbesonderheiten bei der Durchschnittsprüfung grundsätzlich alle Umstände zu verstehen, die in der Praxis des Arztes einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigen. Praxisbesonderheiten können sich daher nur aus den Besonderheiten des Patientenklientels ergeben. Entscheidend ist, dass sich das Patientengut des Arztes erheblich von dem seiner Vergleichsgruppe unterscheidet und sich daraus zwangsläufig eine andere Versorgung ableitet. Schon im Rahmen einer ersten Stellungnahme an den Prüfungsausschuss sollte darauf geachtet werden, dass die Praxisbesonderheiten nicht nur pauschal benannt werden, sondern auch belegt werden. Dies erfordert den Nachweis eines erhöhten Anteils einer bestimmten, besonderen Patientengruppe, die typischerweise nicht in gleichem Maße in der Vergleichsgruppe vorkommt sowie den Nachweis, welcher finanzielle Mehraufwand sich aufgrund der Patientengruppe für den Vertragsarzt ergibt. Im Idealfall sollten hierzu für die Praxisbesonderheiten Listen mit sämtlichen Patienten dieses Versorgungsschwerpunktes erstellt werden, aus denen die Diagnose, die Behandlungsleistungen sowie die dadurch entstandenen Kosten hervorgehen. Beispiele Praxisbesonderheit Neben einer Vielzahl schwerer Einzelfälle bei niedriger Scheinzahl in einer Praxis sind ferner eine überdurchschnittlich hohe Anzahl hochbetagter Rentner, die typischerweise einen höheren Versorgungsbedarf haben, Praxisbeispiele, die zunächst in der Statistik im Vergleich zur Fachgruppe auffallen. Sehr häufig fallen auch Vertragsärzte auf, die eine Praxis neu eröffneten und aufgrund von Unerfahrenheit die gebotene Behandlungsweise noch nicht einschätzen können. Hierzu hat das BSG aktuell (Urteil vom 28. April 2004/AZ B 6 KA 24/03) seine bisherige Auffassung wiederholt, dass eine Anfängerpraxis per se keine Praxisbesonderheit darstellt. Auch der Umstand, dass eine Prüfung in aller Regel erst nach Ablauf mehrerer Quartale - zulässig sind bis zu vier Jahre - eingeleitet wird, der Arzt damit quasi ungemahnt und im Vertrauen auf eine korrekte Behandlungs- und Verordnungsweise seinen Beruf ausübt, bleibt unberücksichtigt. Das BSG steht auf dem Standpunkt, dass grundsätzlich jeder Vertragsarzt vom Beginn seiner Tätigkeit an zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes verpflichtet ist. Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot muss nicht verschuldet sein. Daher gäbe es auch keinen generellen Anfängerbonus. Stellt der Prüfungsausschuss die Unwirtschaftlichkeit fest, darf er jedoch die darauf basierenden Maßnahmen zugunsten der Anfängerpraxis berücksichtigen (z.B. niedrigere Honorarrückforderung). Besonderheiten bei der Richtgrößenprüfung Besonderheiten zum Vortrag der Praxisbesonderheiten ergeben sich bei der Richtgrößenprüfung, die bei Überschreiten des jährlichen Richtgrößenvolumens eingeleitet werden kann. Häufig berufen sich Prüfungsausschüsse darauf, dass in jeder Praxis der Fachgruppe kostenintensive Fälle behandelt würden und daher nur dann eine besondere Würdigung der individuellen Umstände geltend gemacht werden könne, wenn diese über das durchschnittliche Maß hinausgingen. Diese Argumentation mit einem Fachgruppenvergleich sollte auf alle Fälle angegangen werden. Denn Grundlage einer Richtgrößenprüfung ist der statistische Vergleich zwischen dem Verordnungsvolumen eines Arztes im jeweiligen Kalenderjahr und dem für seine Praxis festgesetzten Richtgrößenvolumen. Die Betrachtung hat sich deshalb unserer Auffassung nach ausschließlich auf das Verordnungsverhalten des einzelnen Arztes im Hinblick auf sein Richtgrößenvolumen zu konzentrieren. Das Verordnungsverhalten der anderen Ärzte der gleichen Fachgruppe als Maßstab ist hierbei fehl am Platz. Die Richtgröße soll den Vertragsarzt in seiner Praxisführung bei der Entscheidung über die Verordnung von Arzneimitteln unter Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots leiten - vorausgesetzt natürlich, die Richtgröße ist ihm überhaupt bekannt. Der durchschnittliche Verbrauch der Fachgruppe spielt dabei keine Rolle, weil der einzelne Arzt ja auch nicht von einem möglicherweise insgesamt höheren, unter Umständen morbiditätsbedingten Durchschnittswert seiner Fachgruppe im betreffenden Zeitraum profitieren kann. Hat der Arzt Patienten, für die die Richtgröße nicht ausreicht, so muss es möglich sein, auch diese Patienten adäquat zu behandeln, ohne dafür in Regress genommen zu werden. Rechtsprechung gibt es zu dieser Problematik jedoch leider noch nicht. Kompensatorische Einsparungen Neben Praxisbesonderheiten können auch durch die vorgenommenen Behandlungsleistungen erzeugte Minderaufwendungen in anderen Versorgungsbereichen (z.B. bei den Krankenhauseinweisungen) eingewandt werden. Berücksichtigung findet dieses Argument aber nur dann, wenn zwischen Mehr- und Minderaufwand ein kausaler Zusammenhang besteht, den der Vertragsarzt im konkreten Einzelfall auch belegen muss! Ein Mehraufwand, beispielsweise im Bereich der physikalischen Therapie oder im Bereich des Sprechstundenbedarfs, kann nur dann hingenommen werden, wenn anhand einer vergleichenden Kostenberechnung nachgewiesen wird, dass durch den Mehraufwand konkret Einsparungen im Arzneimittelbereich erzielt wurden. Außerdem muss der Arzt ausführen, dass die beiden Behandlungsarten medizinisch gleichwertig sind.

Anschrift der Verfasserin

Dr. iur. Isabel Häser

Rechtsanwältin, Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers und Partner

Widenmayerstr. 29

80538 München

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