Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222(11): 905-909
DOI: 10.1055/s-2005-858863
Kasuistik

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Bedeutung der frühzeitigen Aufklebung harter Kontaktlinsen in der Notfallbehandlung schwerer Alkaliverätzungen der Hornhaut (Fallbericht)

Early Emergency Treatment of Severe Alkali Burn with a Glued-On Hard Contact Lens: A Case ReportH. Spelsberg1 , R. Sundmacher1
  • 1Augenklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf (Direktor. Prof. Dr. R. Sundmacher)
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Publication History

Eingegangen: 23.8.2005

Angenommen: 25.10.2005

Publication Date:
25 November 2005 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Schwere Alkaliverätzungen führen zu einer schweren Limbusstammzellschädigung mit persistierenden Epitheldefekten und bereits früh zu massiven entzündlichen Infiltrationen mit nachfolgender stromaler Einschmelzung bis hin zur Hornhautperforation. Eine frühzeitig mit Zyanoakrylat aufgeklebte harte Kontaktlinse kann als „künstliches Epithel” die Hornhaut vor diesen Komplikationen bewahren. Fallbericht: Ein 39-jähriger Patient stellte sich eine Woche nach schwerer Kalkverätzung an beiden Augen vor. Am rechten Auge zeigte sich eine komplett entblößte Hornhaut und Bindehaut mit zirkulärer schwerer Ischämie des Randschlingennetzes. Links waren „nur” etwa zwei Drittel von Hornhaut und Bindehaut mit leichterer Limbus-Ischämie betroffen. Beidseits wurde eine Amnionmembran-Transplantation durchgeführt, die am rechten Auge bereits nach vier Tagen fehlschlug. Daher wurde an diesem primär schwerer betroffenen Auge eine harte Kontaktlinse mit Zyanoakrylat aufgeklebt, die dem Patienten über 12 Monate einen unkorrigierten Visus von 0,4 ermöglichte. Nach Entfernung der Kontaktlinse und rascher Epithelisierung blieben Oberfläche und Funktion seither unter Gabe von autologen Serumaugentropfen stabil. Das linke, primär weniger betroffene Auge, von dem man angenommen hatte, dass die Amniondeckung für eine komplikationslose Heilung ausreichen würde, konnte nicht stabilisiert werden und erlitt vier Wochen später ein einschmelzendes perforiertes Hornhautulkus, welches mit einer Mini-Keratoplastik versorgt und zusätzlich mit Kontaktlinsen-Aufklebung gesichert werden musste. Hier war langfristig nur Metervisus nutzbar. Schlussfolgerung: Der dargestellte klinische Verlauf bestätigt frühere Beobachtungen, die die Wirksamkeit aufgeklebter harter Kontaktlinsen beschrieben: Sie bewahren die Hornhaut vor massiver Infiltration und einschmelzenden Prozessen. Darüber hinaus sind aber zwei Aspekte wichtig, die in dieser Form bisher zu wenig Aufmerksamkeit gefunden haben: Zum einen konnte bei richtiger Klebetechnik und richtigem Klebezeitpunkt während der gesamten Tragezeit eine gute Gebrauchssehschärfe durch die Kontaktlinse hindurch erhalten werden. Zum anderen erholte sich der stark geschädigte Limbus im Verlaufe eines Jahres so weit, dass die primär schwerer betroffene Hornhautoberfläche nun ohne Kontaktlinse stabil konsolidierte und ohne weitere operative Maßnahmen einen guten Gebrauchsvisus erlaubte, während dies am primär leichter betroffenen Auge, wo die Kontaktlinse zu spät aufgeklebt wurde, nicht der Fall war. Diese Erfahrung ermutigt, harte Kontaktlinsen in ähnlichen Fällen früh aufzukleben und lange zu belassen, um Einschmelzungskomplikationen zu vermeiden, Funktion zu erhalten, bevor es zu Infiltrationen gekommen ist, und dem Limbus so viel Zeit wie möglich zu geben, um sich bestmöglich zu regenerieren. Dadurch erfolgt die Reepithelisierung der Hornhaut nicht zu früh durch ungeeignetes Bindehautepithel, sondern erst nach Erholung der Limbusfunktion durch möglichst viel originäres Hornhautepithel.

Abstract

Background: Severe alkali burns lead to massive limbal stem cell damage resulting in persistent epithelial defects, infiltration and stromal melting early in the disease process. A glued-on hard contact lens may serve as an “artificial epithelium” and protect the cornea from these complications. Case Report: A 39-year-old male presented with severe lime burns in both eyes one week after injury. The right eye showed a totally denuded cornea and conjunctiva with circular paralimbic ischemia. In the left eye “only” two thirds of the cornea and adjacent conjunctiva and limbus were affected with less ischemia. Amniotic membrane transplantation was performed in both eyes but failed after four days already in the right eye. A hard contact lens was therefore glued on the right eye and allowed for visual acuity of 0.4 without correction in this primarily most heavily afflicted eye for 12 months duration. After removal of the contact lens, reepithelisation was quick, and function remained stable with addition of autologous serum eye drops. The primarily far less injured left eye, however, for which the amniotic membrane surgery was primarily judged to be adequate, could not be stabilised. The cornea perforated 4 weeks later necessitating a mini-keratoplasty plus a glued-on contact lens, and correctable vision never became better than 1/35. Conclusion: The clinical course confirms former observations that a glued-on hard contact lens is an effective treatment early after alkali burn and prevents the cornea from infiltration and melting. Moreover, two aspects merit consideration: first, with proper technique and timing of the gluing-on a patient may retain useful vision throughout the period of wearing the contact lens; second, for the long period during which the cornea was sealed by the contact lens, improper repopulation by conjunctival epithelium was inhibited, and proper corneal epithelium was given a chance for repopulation after recovery of the limbal area resulting in a stable surface and useful vision without additional keratoplasty measures.

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Dr. med. Helga Spelsberg

Augenklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität

Moorenstr. 5

40225 Düsseldorf

Email: Helga.Spelsberg@uni-duesseldorf.de