Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222(2): 132-133
DOI: 10.1055/s-2005-857924
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Radiäre Opticusneurotomie (RON)

Radial Opticus NeurotomyJ. Roider1
  • 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Christian-Albrechts Universität Kiel
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Publication Date:
17 February 2005 (online)

Lerche und Richard [4] beschreiben eine relativ neuartige und zurzeit noch umstrittene Methode zur Therapie des Zentralvenenverschlusses, dessen Behandlung schwierig und häufig unbefriedigend ist. Diese Methode wurde zum ersten Mal 2001 von Opremcak an 11 Fällen beschrieben [5]. Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Therapieergebnisse bei Zentralvenenthrombose wird dieses operative Verfahren an vielen Kliniken in Einzelfällen angewandt, ohne dass der Stellenwert dieser Therapieform klar ist. Bisher sind in der wissenschaftlichen Fachliteratur nur 6 klinische Anwendungsbeobachtungen an Patientengruppen mit weniger als 15 Patienten beschrieben worden. Die im selben Zeitraum relative hohe Anzahl von 10 weiteren Diskussionsbeiträgen, die größtenteils unter dem Begriff „Letters to the editor” einzuordnen sind, spiegelt das Unwohlsein der Fachwelt mit diesem neuartigen, aber invasiven Ansatz wider.

Bei der radiären Opticusneurotomie (RON) wird die Scheide des Nervus opticus im Rahmen einer Vitrektomie radiär mit einem speziellen Stillet üblicherweise in der nasalen Hälfte eröffnet. Der dem Verfahren zugrunde liegende, pathophysiologische Ansatz, eine Entlastung der Scheide des Nervus opticus durch radiären Einschnitt, ist in der Fachliteratur aber umstritten. So führt Hayrey als vehementester Gegner als Gegenargument an, dass die Lamina cribrosa aus Kollegenfasern und nicht aus elastischen Fasern besteht, so dass seiner Meinung nach die radiäre Durchtrennung keine Entlastung eines postulierten Compartement-Syndroms des Nervus opticus bringen kann [3]. Van Heuven weist darauf hin, dass die Verschlusslokalisation bei einer Zentralvenenthrombose entlang der ganzen Zentralvene und nicht nur im Bereich der Lamina cribrosa liegt [9]. Als weiteres Gegenargument führt Hayrey an, dass die Zentralvene nach einer Thrombose ohnehin innerhalb einiger Tage wieder rekanalisiert.

Überraschenderweise gibt es bisher nur eine einzige histologische Veröffentlichung, die dieses Therapieverfahren an Schweineaugen evaluiert [1]. Kürzlich konnte aber an humanen Autopsieaugen gezeigt werden, dass es nach radiärer Inzision zu einem Aufklappen der Lamina cribrosa und damit zu einer Entlastung eines postulierten Compartment-Syndroms kommen könnte [7]. Überraschend war dabei aber, dass selbst unter optimalen, experimentellen Bedingungen nur in 60 % der Fälle der Skleralring vollständig durchtrennt wurde [7]. Nicht geklärt ist die Auswirkung einer radiären Inzision auf die Zirkulation im ZINN-HALLER’schen Gefäßring, der bei einer anatomisch erfolgreichen Durchtrennung der kollagenen Fasern immer durchtrennt wird.

Die Darstellung durch Lerche und Richard versucht ein neues Therapiekonzept mit vielversprechenden Ergebnissen einem Großteil der deutschsprachigen Augenärzte zugänglich zu machen. Lerche u. Mitarb. beschreiben den klinischen Verlauf von 8 Patienten, wobei 7 Patienten einen Nachfolgebeobachtungszeitraum von 3 Monaten und 1 Patient nur einen Nachbeobachtungszeitraum von einem Monat haben. Fünf der acht Patienten wiesen einen Visus zwischen 0,1 und 0,4 auf. Entsprechend den Ergebnissen der Central Vein Occlusion Study Group werden beim Spontanverlauf wahrscheinlich 50 % der Patienten eine stabile Sehschärfe und 20 % eine Verbesserung der Sehschärfe erreichen. Bei den vorgestellten Daten einer Gruppe von 8 Patienten kann aufgrund des sehr kurzen Beobachtungszeitraums nicht ausgeschlossen werden, dass es im Verlauf nicht doch noch zu einer Sehverschlechterung kommt und Komplikationen wie eine Konversion zu einem ischämischen Zentralvenenverschluss, Rubeosis iridis und Sekundärglaukom auftreten. In der vorgelegten Studie selbst kann aufgrund des vorgelegten Bildmaterials nicht erkannt werden, ob die Kriterien internationaler Studien eines ischämischen Zentralvenenverschlusses verwendet wurden. Berücksichtigt man die Ergebnisse der Central Vein Occlusion Study Group, stellt der Visus einen hochsignifikanten Faktor für die Entwicklung eines Neovaskularisationsglaukoms dar [8]. Der Visus korreliert hochsignifikant mit dem Vorhandensein von nicht perfundierten Arealen, so sind z. B. nur Visuswerte < 0,1 mit Ischämien korreliert. Fünf der acht Patienten der vorliegenden Anwendungsbeobachtung weisen aber einen Visus ≥ 0,16 auf.

Bei der dargelegten Anwendungsbeobachtung werden keine Sekundärkomplikationen beschrieben.

In einer multizentrischen Datenerhebung von 5 größeren retinologisch ausgerichteten Zentren an 107 Patienten zeigte sich jedoch, dass neben den typischen vitrektomieassoziierten Risiken wie Netzhautforamina und Ablatio kleine mit der Neurotomie assoziierte Sickerblutungen und subretinale Blutungen bis zu 30 % auftreten können. Viel schwerwiegender erscheint jedoch, dass in mehr als 80 % mit der Inzisionsstelle assozierte Gesichtsfelddefekte nachweisbar gewesen sind [6].

Die vorgelegte Arbeit ist eine der ersten Arbeiten im deutschsprachigen Raum, die dieses neuartige operative Verfahren in einer wissenschaftlichen Zeitschrift anhand einer sehr kleinen Fallzahl zu evaluieren versucht. Basierend auf den dargelegten Ergebnissen kann zum jetzigen Zeitpunkt keine allgemeine Empfehlung zur operativen Therapie mittels radiärer Opticusneurotomie gegeben werden. Größere Patientenzahlen und Einjahresergebnisse müssen abgewartet werden, ob gerade bei Patienten mit einem Visus > 0,1 nicht der Spontanverlauf zum gleichen Ergebnis führt. In der oben erwähnten multzentrischen Datenerhebung an 107 Patienten, in der 32 Patienten ein Follow-up von 1 Jahr hatten, zeigten alle Patienten zwar einen Trend zu einer Besserung der ophthalmologischen Parameter, wie z. B. retinale Blutungen, Neovaskularisationen oder Visus. Die Ergebnisse waren aber nicht statistisch signifikant. Zu profitieren schienen nur Patienten mit ausgeprägten Stasezeichen und ausgeprägten parapapillären Schwellungen nicht älter als drei Monate.

Bevor dieses neuartige Verfahren einer breiten Patientengruppe angeboten wird, sollten Ergebnisse einer kontrollierten Studie abgewartet werden, um so unnötige Risken für den Patienten zu vermeiden.

Literatur

  • 1 Czajka M P, Cummings T J, McCuen B W 2nd. et al . Radial optic neurotomy in the porcine eye without retinal vein occlusion.  Arch Ophthalmol. 2004;  122 (8) 1185-1189
  • 2 Hayreh S S. Radial optic neurotomy for central retinal vein occlusion.  Retina. 2002;  22 (6) 827-author reply 827
  • 3 Hayreh S S. Radiäre Opticus Neurotomy, Vitreoretinales Update während der Jahrestagung der American Academy of Ophthalmology. Los Angeles; 2003
  • 4 Lerche R C, Richard G. Radiäre Optikusneurotomie bei ischämischer Zentralvenenthrombose.  Klin Monatsbl Augenheilkde. 2005;  222 134-141
  • 5 Opremcak  E M, Bruce R A, Lomeo M D. et al . Radial optic neurotomy for central retinal vein occlusion: a retrospective pilot study of 11 consecutive cases.  Retina. 2001;  21 (5) 408-415
  • 6 Roider J. Neurotomie bei Zentralvenenthrombosen, Vitreoretinales Update der retinologischen Gesellschaft 2004. 102. Jahrestagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.  2004; 
  • 7 Thale A,  Paulsen F,  Roider J. Ultrastrukturelle Veränderungen der Lamina cribrosa nach operativer Durchführung einer Neurotomie, 102. Jahrestagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.  Wissenschaftliches Programm. 24.9.2004; 
  • 8 The Central Vein Occlusion Study Group . Natural history and clinical management of central retinal vein occlusion.  Arch Ophthalmol. 1997;  115 (4) 486-491, Erratum in: Arch Ophthalmol 1997; 115 (10): 1275
  • 9 Van Heuven W A, Hayreh M S, Hayreh S S. Pathogenesis of ‘central retinal vein occlusion’.  Bibl Anat. 1977;  (16 Pt 2) 1-5

Prof. Dr. J. Roider

Klinik für Ophthalmologie, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel

Hegewischstr. 2

D-24105 Kiel

Email: roider@ophthalmol.uni-kiel.de

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