Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2004; 30(11): 534-540
DOI: 10.1055/s-2004-860974
Fokus

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Death Telling” im medizinischen Kontext aus soziologischer Sicht

Das Sprechen vom TodW. Schneider1
  • 1Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Augsburg
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Publication Date:
22 December 2004 (online)

Zusammenfassung

Für das Überbringen „schlechter Nachrichten” finden sich mittlerweile verschiedene „Anleitungen”, die die Bewältigung der Kommunikationssituation überwiegend auf die Frage nach entsprechenden kommunikativen Kompetenzen (des Überbringers) reduzieren. Im Gegensatz dazu stellt das so genannte „death telling” - das Sprechen von dem in naher Zukunft zu erwartenden Tod aufgrund einer infausten Diagnose, das Sprechen vom eingetretenen Tod eines anderen Menschen - aus soziologischer Sicht ein umfassenderes Problem dar. Hierbei handelt es sich um den in der Regel vom Arzt initiierten Einstieg in einen Prozess der Um- und Neudefinition der sozialen Wirklichkeit der Beteiligten (des Patienten, seiner Angehörigen), in welchem ein Mitglied der betreffenden Gemeinschaft unwiederbringlich aus dieser „auszugliedern” ist. Das ärztliche Sprechen vom zu erwartenden Tod, vom eingetretenen Tod markiert den Einstieg in jenen Interaktionszusammenhang, in dem ein Gesellschaftsmitglied - weil und indem es als sterbend oder als bereits tot definiert wird - entlang der vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Leitvorstellungen zu Sterben und Tod von den Beteiligten „als sterbend”, „als gestorben” behandelt wird. Somit ist die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation fataler Diagnosen mehr als nur ein Problem des erfolgreichen Übermittelns einer Information. Bedeutsam sind vielmehr auch die strukturellen Vorgaben und kulturellen Rahmenbedingungen dieses Sprechens vom Tod - und zwar gemäß den gegebenen institutionellen Kontexten (z.B. in der Hospizarbeit, in der Palliativmedizin) mit ihren jeweiligen Handlungsvorgaben für den guten oder schlechten Tod, für das gelingende oder misslingende Sterben.

Summary

In order to deliver „bad news” there are various „guides” which primarily reduce mastering of this communicative situation to a question of the appropriate communication skills of the messenger concerned. In contrast to this so-called „death telling” - informing of an impending death in the near future on the basis of a fatal diagnosis, or informing of the death of another person - presents a more comprehensive problem from a sociological point of view. This is the first step initiated as a rule by a doctor in a process of redefining the social reality of the persons involved (patient, relatives), in which the member of the appropriate community is to be irrevocably „removed”. The doctor's speaking about the death marks the entry into that interactive context in which a group member - on account of being defined as dying or already dead - is treated „as dying” or „as dead” in accordance with predominant norms and guiding concepts concerning dying and death. Thus the concrete form of communication of fatal diagnoses is more than just a problem of conveying information successfully. Much more meaningful are the structural rules and cultural framework of speaking about death - and as such in accordance with the given institutional contexts (for instance in hospice care or palliative medicine) with their respective rules on how to act in case of good or bad death, successful or unsuccessful dying.

Literatur

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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Werner Schneider

Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät

Universität Augsburg

Universitätsstr. 10

86135 Augsburg

Fax: 0821/598-5639

Email: werner.schneider@phil.uni-augsburg.de

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