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DOI: 10.1055/s-2004-835215
Unilaterale Netzhautblutungen bei einem Säugling
Hintergrund: Retinale Blutungen zusammen mit Hirnödem und subduraler intrakranieller Blutung ohne erkennbares Unfallereignis lassen bei Säuglingen und Kleinkindern den schwerwiegenden Verdacht einer Kindesmisshandlung aufkommen. Wir stellen die ophthalmo-pathologischen Befunde eines Säuglings mit funduskopisch einseitiger Netzhautblutung vor.
Kasuistik: Ein 14 Wochen alter, bislang gesunder Säugling wurde post mortem ophthalmologisch von uns mitbeurteilt. Eine Reanimation 5 Stunden zuvor nach notfallmäßiger Einweisung in unsere Kinderklinik wegen plötzlichem Atem- und Kreislaufstillstand war frustran. Äußerliche Verletzungen bestanden nicht. Bei der anschließenden Diagnostik fanden sich ein Hirnödem, Frakturen okzipital mit subduraler Blutung und ein hämorrhagisches Liquorpunktat.
Ophthalmoskopisch zeigten sich am rechten Auge multiple flächige retinale Hämorrhagien.
Die aus forensischen Gründen durch die Rechtsmedizin enukleierten Bulbi wurden uns zur histologischen Mitbeurteilung geschickt. Der rechte Bulbus zeigte Hämorrhagien aller Netzhautschichten, subhyaloidal und subdural im Bereich des Nervus opticus. Zusätzlich fanden sich auch am linken Bulbus Erythrozytenansammlungen i.S. von Blutungen in der retinalen Ganglienzellschicht sowie subdural.
Schlussfolgerung: Netzhautblutungen beim plötzlichen Kindstod ohne äußerliche Anzeichen für Verletzungen bilden zusammen mit einem Hirnödem und subduralen Blutungen eine Trias, die eine Kindesmisshandlung („Battered Child Syndrome“) vermuten lässt. Der Pathomechanismus der retinalen Hämorrhagien wird kontrovers diskutiert. Rupturen retinaler Gefäße durch Scherkräfte entlang der vitreoretinalen Grenzflächen im Rahmen eines Contre-coup-Mechanismus, durch plötzlichen intravaskulären Druckanstieg aufgrund Thoraxkompression i.S. einer Purtscher Retinopathie oder durch plötzliche intrakranielle Blutungen ähnlich dem Terson-Syndrom werden vermutet. Derartige Netzhautblutungen sind im Säuglings- und Kleinkindesalter statistisch ausgeprägter und häufiger bei einer Misshandlung als bei einem Unfalltrauma. Da das Muster retinalen Blutungen jedoch nicht pathognomonisch für das Kindesmisshandlungstrauma ist, müssen die ophthalmologischen zusammen mit den pädiatrischen, neurologischen und radiologischen Befunden gesehen werden. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hierbei erforderlich. Unilaterale retinale Hämorrhagien sind in diesem Zusammenhang nur in 10% zu finden. Gerade in diesen Fällen müssen differentialdiagnostisch geburtstraumatische und nicht traumatische Ursachen wie Koagulopathien, kardiovaskuläre, septische oder Stoffwechselerkrankungen, sowie Leukämien, Krampfleiden oder das SIDS ausgeschlossen werden. Einer sorgfältigen histologischen Untersuchung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da hierbei zusätzliche Erkenntnisse über das Ausmaß und die Lokalisation der retinalen Blutungen gewonnen werden können.