Aktuelle Neurologie 2004; 31 - P390
DOI: 10.1055/s-2004-833252

Marchiafava-Bignami-Syndrom nach Hyperglykämie: Klinische und kernspintomographische Verlaufsbeurteilung

AK Hoffmann 1, N Schönwetter 1, A Failing 1, R Papadopoulos 1, W Nacimiento 1
  • 1(Duisburg)

Das Marchiafava-Bignami-Syndrom (MBS) ist eine seltene Variante der extrapontinen Myelinolyse mit vorwiegender Beteiligung des Balkens. An klinischen Symptomen können subakut Bewusstseinsstörungen, Aphasien, Pyramidenbahnzeichen und Diskonnektions-syndrome auftreten, auch cerebrale Anfälle sind möglich. Die Pathogenese des MBS ist noch weitgehend unbekannt; prädisponierende Faktoren sind Malnutrition und Alkoholabusus.

Wir berichten über einen 57-jährigen obdachlosen Patienten, der in einem stark verwahrlosten Zustand stuporös aufgefunden wurde. Fokal-neurlogische Ausfälle sind initial nicht zu verzeichnen, das Aufnahme-CCT ist unauffällig. Als Ursache des Psychosyndroms lässt sich eine ausgeprägte Hyperglykämie (729mg/dl, HbA1c 14,6%) feststellen, die unter intensivmedizinischen Bedingungen langsam korrigiert wird; Elektrolytstörungen liegen nicht vor. Bis zum zweiten Tag entwickelt sich eine stuporöse Bewusstseinstrübung, und das Kontroll-CCT zeigt diffuse Hypodensitäten im Bereich des Balkens. Das anschließende kraniale MRT bestätigt die Verdachtsdiagnose MBS: In den Diffusions- und Flairsequenzen sind multiple fleckförmige hyperintense Herde im Balken und vereinzelt auch subkortikal nachweisbar; nach Gadolinium-Gabe ist kein Enhancement zu verzeichnen. Nach hochdosierter parenteraler Gabe von Vitamin B1 und B12 ist der Patient am Folgetag wieder wach, jedoch psychomotorisch verlangsamt und verwirrt; neben einer leichten Broca-Aphasie findet sich jetzt eine mäßiggradige Hemiparese rechts. Nach weiteren 14 Tagen bessern sich die Herdsymptome deutlich, es persistiert jedoch ein hirnorganisches Psychosyndrom mit Antriebsminderung und partieller Desorientierung. Das Kontroll-MRT zeigt jetzt eine Größenzunahme der Balkenherde mit inhomogenem Enhancement nach Gadolinium-Gabe.

Als mögliche Pathomechanismen des MBS werden kombinierte metabolische, vaskuläre und toxische Prozesse diskutiert. Im vorliegenden Fall könnten bei entsprechender Prädisposition (Alkoholabusus und Fehlernährung) die hyperglykämische Stoffwechselentgleisung und die damit verbundene Hyperosmolarität eine auslösende Rolle gespielt haben. Die Bedeutung der hochdosierten Vitamin B-Gabe für den relativ günstigen Verlauf bleibt offen. Die klinische Besserung bei gleichzeitiger bildmorphologischer Dynamik lässt darauf schließen, dass die MR-Befunde einen gliösen Parenchymumbau im Sinne einer beginnenden Narbenbildung widerspiegeln.