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DOI: 10.1055/s-2004-833131
Angst, Depressivität und Somatisierungstendenz beeinflussen die subjektive Wahrnehmung physiologischer Schwindelsensationen
30% der Patienten mit vestibulären Läsionen entwickeln ein Somatoformes Schwindelsyndrom (SSS). Bei 50% der Patienten mit komplexen Schwindelsyndromen ist der Schwindel Ausdruck einer psychischen Erkrankung. Es wurde angenommen, dass Patienten mit Angststörungen eine höhere Sensitivität gegenüber komplexen visuellen Umgebungsreizen sowie physiologischen Schwindelsensationen zeigen. Neben psychopathologischen Dimensionen scheint die subjektive Wahrnehmung und Interpretation physiologischer Schwindelsensationen wichtig für die Pathogenese und Chronifizierung von SSS. Ziel unserer Studie ist die Verbesserung und Differenzierung eines pathogenetischen Modells des SSS, um eine Frühdiagnostik und ein differenziertes interdisziplinäres Therapiekonzept zu entwickeln.
In einer interdisziplinären Studie wurden 80 Patienten mit Schwindelsyndromen (1. organische Erkrankungen; SSS durch 2. Angst- und phobische Störungen oder 3. depressive Störungen; 4. Gesunde) einer differenzierten neurootologischen, psychosomatischen und psychometrischen Diagnostik unterzogen. Zur Stimulation schauten die Patienten in eine sich drehende Halbkugel mit randomisiertem Punktmuster,, was eine Eigenbewegungsempfindung induzierte. Die Ausprägung der Zustands-Angst (STAI-X2 State) wurde vor und nach der Exposition sowie weitere psychopathologische Dimensionen (Vertigo-Symptom-Skala & -Handicap-Fragebogen; Depression und Angst, HADS; Phobische Angst, Kognitionen und Vermeidung, AKV; Somatisierungstendenz, SOMS) und ein Strukturiertes Diagnostisches Interview (SKID-I) erhoben.
Beim Vergleich der Subgruppen fanden wir eine unterschiedliche Ausprägung der Zustandsangst, Somatisierungstendenz, emotionalen Belastung und des Handicaps. Patienten mit SSS zeigten eine höhere Ausprägung der Zustandsangst nach der Schwindelexposition als Patienten mit organischem Schwindel und als die Kontrollgruppe. Sie wiesen eine höhere emotionale Belastung, ein höheres Handicap und eine höhere psychische Komorbidität auf. Insgesamt fühlten sie sich durch den Schwindel stärker subjektiv belastet.
Erste Analysen ergaben, dass Patienten mit SSS physiologische Schwindelsensationen dysfunktional verarbeiten und katastrophisch interpretieren. Sie haben damit ein höheres Risiko, komplexe chronifizierte somatoforme Schwindelerkrankungen zu entwickeln. Eine frühe präventive therapeutische Intervention scheint erforderlich, um die Therapie dieser kostenintensiven Patienten zu verbessern.