Aktuelle Neurologie 2004; 31 - P244
DOI: 10.1055/s-2004-833107

Pathologische Koordination von Atmung und Schlucken bei Multiper Sklerose

P Urban 1, S Schranz 1, M Zahn 1, O Glassl 1, R Rolke 1, M Dieterich 1
  • 1(Mainz)

Fragestelllung: Die neuronale Koordination zwischen Atmung und Schlucken erfolgt im Bereich des pontomedullären Tegments. Jüngste Arbeiten belegen eine erhöhte Prävalenz einer neurogenen Dysphagie und rezidivierender Aspirationen bei fortgeschrittener Multipler Sklerose (MS).

Methoden: Wir untersuchten 42 Probanden (Median 47J) und 20 Patienten (Median 48J) mit fortgeschrittener MS (Median des EDSS: 5.75). Über ein 2-Kanal Computer assistiertes System (Bioimpulser DYS10/A, Haynl Elektronik, Schönebeck) wurden simultan die Atmung (nasaler flow) und das Schlucken (submentales EMG) registriert. Die Untersuchungen erfolgten mit Bolusvolumina von 5,10 und 25ml Wasser und 5ml Brei in randomisierter Abfolge. Acht Schluckdurchgänge wurden pro Bolusvolumen und Viskosität aufgezeichnet. Bei jedem Schluck wurden (1) die Latenz zwischen Beginn des Schluckens und Beginn der Schluck-Apnoe (SA), (2) die Dauer der SA und (3) das Atemmuster vor und nach jeder SA ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt wurden von allen Probanden und Patienten 1.984 Schlucke ausgeführt. Die Latenzen zwischen Beginn des Schluckens und der SA wiesen zwischen Probanden und Patienten keine signifikanten Unterschiede auf. Die Dauer der SA war jedoch bei den MS-Patienten gegenüber den Kontrollen bei allen Bolusvolumina und Viskositäten signifikant verlängert (MANOVA, p<0.0001) (5ml: 0.73±0.19s vs. 0.82±0.31s; 10ml: 0.76±0.19s vs. 0.89±0.40s; 15ml: 0.75±0.20s vs. 0.90±0.38s, Brei: 0.76±0.21s vs. 0.88±0.41s). Bei Probanden trat vor der SA eine Exspiration bzw. Inspiration bei 87.3% bzw 12.7% aller Schlucke auf und bei MS-Patienten bei 89.4% bzw. 10.6% aller Schlucke (n.s.). Nach der SA folgte eine Exspiration bzw. Inspiration bei den Probanden bei 98.9% bzw. 1.1% aller Schlucke und bei den Patienten bei 93.0% bzw. 7.0% (p<0.0001). Die MS-Patienten wiesen bei allen Bolusvolumina und Viskositäten eine signifikant häufigere postdeglutive Inspiration auf.

Schlussfolgerungen: Unsere Studie bestätigt, dass bei Gesunden die SA bei nahezu allen Schlucken von einer Exspiration gefolgt wird. Bei MS-Patienten zeigte sich eine signifikant häufigere postdeglutive Inspiration, wodurch sich das Risiko einer Aspiration erhöht. Dieser Befund und die bei MS-Patienten signifikant verlängerte SA-Dauer gegenüber Probanden lassen eine pontomedulläre Funktionsstörung in der zeitlichen Koordination zwischen Atmung und Schlucken annehmen.

Gefördert durch MAIFOR (Universität Mainz).