Fragestelllung: Die neuronale Koordination zwischen Atmung und Schlucken erfolgt im Bereich des pontomedullären
Tegments. Jüngste Arbeiten belegen eine erhöhte Prävalenz einer neurogenen Dysphagie
und rezidivierender Aspirationen bei fortgeschrittener Multipler Sklerose (MS).
Methoden: Wir untersuchten 42 Probanden (Median 47J) und 20 Patienten (Median 48J) mit fortgeschrittener
MS (Median des EDSS: 5.75). Über ein 2-Kanal Computer assistiertes System (Bioimpulser
DYS10/A, Haynl Elektronik, Schönebeck) wurden simultan die Atmung (nasaler flow) und
das Schlucken (submentales EMG) registriert. Die Untersuchungen erfolgten mit Bolusvolumina
von 5,10 und 25ml Wasser und 5ml Brei in randomisierter Abfolge. Acht Schluckdurchgänge
wurden pro Bolusvolumen und Viskosität aufgezeichnet. Bei jedem Schluck wurden (1)
die Latenz zwischen Beginn des Schluckens und Beginn der Schluck-Apnoe (SA), (2) die
Dauer der SA und (3) das Atemmuster vor und nach jeder SA ausgewertet.
Ergebnisse: Insgesamt wurden von allen Probanden und Patienten 1.984 Schlucke ausgeführt. Die
Latenzen zwischen Beginn des Schluckens und der SA wiesen zwischen Probanden und Patienten
keine signifikanten Unterschiede auf. Die Dauer der SA war jedoch bei den MS-Patienten
gegenüber den Kontrollen bei allen Bolusvolumina und Viskositäten signifikant verlängert
(MANOVA, p<0.0001) (5ml: 0.73±0.19s vs. 0.82±0.31s; 10ml: 0.76±0.19s vs. 0.89±0.40s;
15ml: 0.75±0.20s vs. 0.90±0.38s, Brei: 0.76±0.21s vs. 0.88±0.41s). Bei Probanden trat
vor der SA eine Exspiration bzw. Inspiration bei 87.3% bzw 12.7% aller Schlucke auf
und bei MS-Patienten bei 89.4% bzw. 10.6% aller Schlucke (n.s.). Nach der SA folgte
eine Exspiration bzw. Inspiration bei den Probanden bei 98.9% bzw. 1.1% aller Schlucke
und bei den Patienten bei 93.0% bzw. 7.0% (p<0.0001). Die MS-Patienten wiesen bei
allen Bolusvolumina und Viskositäten eine signifikant häufigere postdeglutive Inspiration
auf.
Schlussfolgerungen: Unsere Studie bestätigt, dass bei Gesunden die SA bei nahezu allen Schlucken von
einer Exspiration gefolgt wird. Bei MS-Patienten zeigte sich eine signifikant häufigere
postdeglutive Inspiration, wodurch sich das Risiko einer Aspiration erhöht. Dieser
Befund und die bei MS-Patienten signifikant verlängerte SA-Dauer gegenüber Probanden
lassen eine pontomedulläre Funktionsstörung in der zeitlichen Koordination zwischen
Atmung und Schlucken annehmen.
Gefördert durch MAIFOR (Universität Mainz).