Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(22): 1277
DOI: 10.1055/s-2004-826858
Leserbriefe

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Die Entwicklung eines toxischen Megakolons bei Knollenblätterpilzvergiftung - Erwiderung

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Publication Date:
21 July 2004 (online)

Zu den Äußerungen des Kollegen Dr. Schute haben wir folgendes anzumerken:

Ad 1: Es steht außer Frage, dass ein BMI von 37,6 deutlich zu hoch und nicht „als gesund“ zu bezeichnen ist. Für diese Kasuistik relevant war aber die Tatsache, dass trotz des Übergewichtes kein metabolisches Syndrom vorlag [2].

Ad 2: Der Bemerkung, dass eine inhaltlich aussagekräftige Pilzanamnese neben der genauen Beschreibung des Pilzes selbstverständlich auch die Frage nach dem Fundort mit einbeziehen muss, ist unbedingt beizupflichten. Unsere toxikologische Abteilung verfügt traditionsgemäß über eine sehr lange und große Erfahrung mit Pilzvergiftungen, so dass die genaue Pilzanamnese eine „conditio sine qua non“ darstellt. Richtig ist auch, dass es unter „Pilzkennern“ eigentlich nicht zu einer Verwechslung zwischen dem Wie-senchampignon (Agaricus campestris) und dem Knollenblätterpilz (hier: Amanita phalloides) kommen dürfte. Die Erfahrung zeigt aber, dass es dennoch immer wieder zu Verwechslungen mit weißhütigen Champignonarten kommt, die zum großen Teil tatsächlich im Wald oder waldrandnah zu finden sind. Typische Vertreter dieser Champignonarten wären der schiefknollige Anischampignon (Agaricus abruptibulbus), der weiße Anischampignon (Agaricus arvensis) und insbesondere der dünnfleischige Anischampignon (Agaricus silvicola), die sich vor allem durch ihre von Jugend an leicht rosa gefärbten Lamellen unterscheiden, die sich altersbedingt über schmutzigrosa nach dunkelbraun verfärben. Knollenblätterpilze behalten dagegen immer weiße Lamellen.

Ad 3: Richtig ist auch, auf die lange Latenzzeit zwischen der Einnahme einer Pilzmahlzeit (deren Zeitpunkt bei einer Pilzanamnese nie fehlen darf) und dem ersten Auftreten von Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen hinzuweisen. Insbesondere das sich anschließende relativ beschwerdefreie trügerische Intervall zwischen dem Sistieren der Durchfälle und der manifesten Organschädigung darf einen nicht zur verfrühten therapeutischen Sicherheit verführen. Eine klare Korrelation zwischen der Schwere einer Amatoxin-Vergiftung und dem Auftreten von Erstsymptomen erscheint uns nach Auswertung von über 100 Amatoxin-Vergiftungen nicht evident und ist auch in der Literatur nicht belegt.

Die Bemerkung, dass es zu einer Toxin-übertragung von Amatoxin-haltigen Pilzen auf Speisepilze in ein und derselben Tragetasche kommen könnte, ist uns nicht bekannt, wenig wahrscheinlich und in der Literatur nicht belegt. Richtig dagegen ist, dass die Toxinmenge bereits eines einzigen Amatoxin-haltigen Pilzes ausreichen kann, für einen tödlichen Verlauf verantwortlich zu sein.

Die Feststellung, dass Pilze lange Zeit im Magen verbleiben können, trifft zu. Es existieren Hinweise, dass aus diesen im Magen verbleibenden Pilzresten Amatoxin schon nach relativ kurzer Zeit ausgewaschen und resorbiert werden kann. Die Entfernung dieser Überreste stellt dann aber keine eigentliche Giftentfernung dar. Neben der Aktivkohlegabe existieren nach Auffassung der europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften (EAPCCT/AACCT) derzeit keine Empfehlungen, die eine primäre Entgiftung (z. B. Auslösen von Erbrechen, Magenspülung oder auch eine endoskopischgestützte und kontrollierte Magenspülung) jenseits von einer Stunde nach Giftaufnahme empfehlen würden. Solange keine gegenteiligen Studien vorliegen, sollten solche Maßnahmen jenseits der ersten Stunde nach Giftaufnahme (1-Stunden-Regel) unterbleiben [3]. Die von Dr. Schute zitierte Arbeit (Moeschlin: Klinik der Gegenwart, Bd. 3, E321 - 323, 1984) ist im Übrigen sicherlich heute durch aktuellere Arbeiten und Studien (z. B. 1) überholt und sollte daher nicht mehr als Referenzwerk herangezogen werden.

Der Stellenwert einer frühzeitigen systemischen Steroidtherapie des Megakolon lässt sich anhand der derzeitig spärlichen Datenlage nicht abschließend beurteilen. Die Pathophysiologie der Amatoxin-Vergiftung lässt sich auch nicht ohne weiteres auf die zugrunde liegenden Pathomechanismen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, in deren Folge sich ein toxisches Megakolon entwickeln kann, übertragen. Entsprechende Literaturverweise (z. B. Sheth et al., Lancet, 1998) wurden in der Kasuistik zitiert, eine 1:1-Übertragung der Empfehlungen auf unsere Kasuistik sollte aber nicht unkritisch erfolgen. Ein Trend, die Hydrocortisontherapie allgemein in der Frühphase des toxischen Megakolon zu favorisieren, scheint dennoch zu existieren.

Wir möchten betonen, dass es uns in der vorliegenden Kasuistik nicht um eine erschöpfende Darstellung der Knollenblätterpilzvergiftung ging, sondern um die Schilderung einer möglichen Komplikation - nämlich der Entwicklung eines toxischen Megakolon - sowie Überlegungen zu deren Therapie.

Ad 4: Völlig korrekt stellt Herr Dr. Schute fest, dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Amatoxin und toxischem Megakolon nicht sicher ableiten lässt und sich dieser anhand der WHO-Kriterien auch letztlich nicht beweisen lässt, durch den zeitlichen Zusammenhang und dem Fehlen anderer Ursachen aber wahrscheinlich wird. Mögliche differenzialdiagnostische Überlegungen wurden aber in der vorliegenden Kasuistik augezeigt.

Literatur

  • 1 Enjalbert F, Rapior S, Nouguier-Soule J, Guillon S, Amouroux N, Cabot C. Treatment of amatoxin poisoning: 20-year retrospective analysis.  J Toxicol Clin Toxicol. 2002;  40 715-757
  • 2 Eyer F, Felgenhauer N, Zilker T. Die Entwicklung eines toxischen Megakolons bei Knollenblätterpilzvergiftungen.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 137-140
  • 3 American academy of clinical toxicology; European association of poison centres and clinical toxicologists . Position statement and practice guidelines on the use of multi-dose activated charcoal in the treatment of acute poisoning.  J Toxicol Clin Toxicol. 1999;  37 731-751

Dr. med. Florian Eyer

Klinikum rechts der Isar - Toxikologie, Leiter: Prof. Dr. T. Zilker, II. Medizinische Klinik, Technische Universität München

Ismaningerstraße 22

81676 München

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