ZFA (Stuttgart) 2003; 79(10): 471
DOI: 10.1055/s-2003-43441
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Erfindung von Krankheiten

Heinz-Harald Abholz1
  • 1Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication Date:
07 November 2003 (online)

Momentan sind wir Zeuge von Neuschöpfungen bzw. Ausweitungen von Krankheitsbildern: Die asymptomatische Herzinsuffizienz zum Beispiel. Keiner hat deren Behandlung und - was viel wichtiger ist - den Behandlungsnutzen bisher untersucht, wir aber sollen schon Vorformen möglicher späterer Herzinsuffizienz behandeln. Ein weiteres Krankheitsbild, das momentan fast alle Praxen erreicht, ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, COLD bzw. COPD.

Diese Erkrankung gehöre zu den wichtigsten Erkrankungen, betrachtet man ihre Zahl und Todesfolgen. Sie nähme beständig zu - so erfahren wir von Pharmavertretern oder in Artikeln - manche von uns staunend. Denn die älteren unter uns kennen sehr wohl diese Erkrankungen, haben aber über die letzten 10 bis 20 Jahre gerade deren Rückgang, nicht deren Zunahme erlebt.

Und dann der weitere Vorwurf: Die Ärzte würden eine massive Unter-Behandlung betreiben. Ich gehöre noch zu denjenigen, die viele derartige Patienten gesehen haben und deren hartes Schicksal massiver Einschränkung durch Luftnot. Therapeutisch war dies nicht wesentlich beeinflussbar; im Gegenteil: Es gab EBM-taugliche Studien über zahlreiche Therapien, die nicht nutzten.

Nun erscheint die Zunahme einer solchen Erkrankung aus mehreren Gründen völlig unwahrscheinlich. Und selbst wenn es so wäre, wenn wir also frühe Formen dieser Erkrankung mit langem Krankheitsverlauf (10 bis 20 Jahre) nicht erkennen würden, was ist damit verloren.

Was war bisher zum Krankheitsbild klar belegt und wird in der Fachliteratur auch heute - bei genauem Lesen - nicht bestritten:

Die Erkrankung ist ätiologisch im Wesentlichen durch Luftverschmutzung und Rauchen in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit bestimmt. Wie aber soll es dann zu einer Zunahme der Erkrankung bei deutlich besseren Luftbedingungen als in den 50er und 60er Jahren - und bei Rückgang der Schadstoffbelastung in den Zigaretten kommen? Die Antwort ist leicht, wenn man genau hinschaut, wie argumentiert wird. Die Krankheit ist in der Welt unter den führenden Erkrankungen. Dort werden Zigaretten verkauft, die hierzulande nicht mehr verkäuflich wären, die Luftverschmutzung nimmt dort zu. Wir aber werden hier mit dem Argument der Zunahme der Erkrankung beworben! Wir sollen die Krankheit früher erkennen, um sie besser behandeln zu können. Nur schaut man sich das an, was die Industrie, was andere Werbeträger in ihren Artikeln darstellen, so findet man bei allen wissen-schaftlichen Artikeln, dass es keine Therapien gibt, die nach-weislich auf den Krankheitsverlauf Einfluss nehmen - zumindest an klinischen Endpunkten der Verschlechterung oder gar an Mortalität gemessen. Das einzige, was nachweislich hilft, ist das Aufhören mit dem Rauchen und das Leben in besseren Luftbedingungen. Dafür brauchen wir aber keine Medikamente. Vielmehr wird uns angeboten, dass das, was wir vorher gelernt hatten, dass z.B. Cortison in der Regel den Verlauf nicht beeinflusst und dass Betamimetika, auch lang wirksame, sowie Antibiotika keinen Einfluss auf klinische Endpunkte nehmen, nun ganz anders sein soll.

Lassen wir uns nicht klein machen von den Großen, die eigentlich keine Belege, nicht einmal Plausibilität für ihre Argumente haben.

Univ. Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz

Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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