Notfall Medizin 2003; 29(9): 325
DOI: 10.1055/s-2003-42570
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Alle Jahre wieder: Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz und die Notfallmedizin

Peter Knuth1
  • 1Wiesbaden
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 September 2003 (online)

Genauso sicher, wie alle Jahre das Christkind kommt, müssen wir damit rechnen, dass neue Gesetze die gesetzliche Krankenversicherung durcheinander wirbeln und damit neue Tatsachen für über 90 % der Bürgerinnen und Bürger unseres Staates schaffen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied sind. So ist das V. Buch des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - zuletzt geändert worden durch Artikel 1 eines Gesetzes vom 23.12.2002. Nun erleben wir im August 2003 bereits die Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform zwischen Regierungskoalition und der Opposition in Berlin. Vieles soll geändert werden, aber nichts wird konsequent in den Strukturen verändert, so wie es unisono alle Experten des Gesundheitswesens fordern. Es wird als Begründung für die Veränderungen gebetsmühlenartig auf Kostensteigerungen im Gesundheitswesen verwiesen, ohne sich konsequent mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass der demographische Faktor mit dem Älterwerden unserer Bevölkerung und dem damit verbundenen wachsenden medizinischen Bedarf ein Problem darstellt. Diese verbindet sich unglücklicherweise mit einer ständigen Schwächung der Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung, weil die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit dazu führt, dass immer weniger Arbeitende immer mehr Nichtarbeitende oder Rentner versorgen müssen. Wir haben also eine Einnahmeproblematik unserer gesetzlichen Krankenversicherung und nicht etwa - wie vorgegaukelt wird - eine ungerechtfertigte Ausgabenproblematik.

So werden wir auch dieses Mal wieder damit leben müssen, dass eine Vielzahl oft unkoordiniert nebeneinander stehender Einzelveränderungen medizinisches Handeln beeinflusst und die Versorgungssituation für die Patienten nicht verbessert. Von dieser Entwicklung wird auch die Notfallversorgung nicht verschont bleiben. Vom Prinzip her gut gemeinte Überlegungen, wie die Einführung der intelligenten Gesundheitskarte, sind in der Anwenderpraxis problematisch. Ab 2006 soll die Gesundheitskarte die bisherige Krankversicherungskarte ablösen. Die Gesundheitskarte soll fälschungssicher sein, datenschutzrechtlichen Belangen genügen, administrative Daten speichern sowie auf Wunsch des Versicherten Gesundheitsdaten, insbesondere die wichtigsten Angaben zur Notfallversorgung, verfügbar machen. Um diesen Ansatz sinnvoll zu nutzen, müssten in allen Rettungsdienstfahrzeugen entsprechende Lesegeräte eingebaut werden, wenn man aus medizinischer Sicht von Angaben zur Notfallversorgung profitieren will. Da aber diese Angaben freiwillig sind und es nicht abzuschätzen ist, wie viele Versicherte freiwillig Angaben über ihre Gesundheitsdaten zur Nutzung in einer Notfallsituation machen, ist völlig offen, ob sich die immense Investition der Kartenlesegeräte durch Verbesserungen in der Notfallversorgung jemals amortisieren wird.

Ein weiteres Beispiel für Veränderungen im Bereich der gesetzlichen Krankversicherung, deren Auswirkungen auf die Struktur der Notfallversorgung nur erahnbar, aber nicht seriös abschätzbar sind, ist die neue Vergütungssystematik in den Krankenhäusern. Krankenhäuser werden für zunehmend mehr Diagnosen eine Vergütung nach der Fallpauschalen-Systematik erhalten. Hierdurch sind sie darauf angewiesen, in minimalster Zeit mit maximaler Sicherheit Diagnostik und Therapie durchzuführen. Da es einen Verlust der Fallpauschale nach sich zieht, wenn ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen wird in dem er bereits behandelt wurde, gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass Patienten mit Komplikationen naturgemäß im Krankentransport- und Rettungsdienst anfallen und es noch schwieriger sein wird, als heute schon tägliche Realität, den Patienten in einer geeigneten stationären Einrichtung wieder „loszuwerden”. Dass diese Entwicklung mit der Veränderung des soziologischen Gefüges unserer Bevölkerung einhergeht, wie zunehmende Zahl von Singlehaushalten, höhere Zahl von Patienten, die der Pflege bedürfen sowie strukturelle und finanzielle Mängel in der ambulanten Pflege, sei der Vollständigkeit halber angemerkt.

Konkret und eindeutig ist das Vorhaben, dass Fahrtkosten für Taxi- und Mietwagenfahrten in der ambulanten Versorgung grundsätzlich nicht mehr erstattet werden. Auch hier wird es Umgehungsmechanismen geben. Teile des Transportvolumens von Taxi und Mietwagen werden sich in den teureren Rettungsdienst- und Krankentransport verlagern. So wird eben nicht mehr das Taxi in Anspruch genommen, sondern der Krankenwagen bestellt. Da es bekanntermaßen vor Ort fast unmöglich ist, einen Krankentransport abzulehnen, wird dieser Kostenteil des Gesundheitswesens zunehmen müssen. Dies wird dann - wie immer in der Vergangenheit - zu Vorwürfen der Unwirtschaftlichkeit der Rettungsdienst- und Krankentransport durchführenden Organisationen führen.

Auch Notfallmedizin und Rettungsdienst als Teil des Gesundheitssystems unseres Landes wünschen sich - um in der Politikersprache zu bleiben - nachhaltige Reformen. Hierzu bedarf es auch endlich einmal einer sehr viel weitergehenden selbständigen Betrachtung des Rettungsdienstes bis hin zur Überlegung, ob er nicht von den Mechanismen und Entgeltstrukturen des sonstigen Gesundheitssystems getrennt werden muss, um seinen besonderen Arbeitsbedingungen gerecht zu werden.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Wiesbaden

    >