Aktuelle Neurologie 2002; 29(4): 191-192
DOI: 10.1055/s-2002-30693
Kommentar
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar zur Publikation von Weimar et al. Kostenanalyse der Schlaganfallbehandlung in Deutschland

Comment to the Publication of Weimar et al. „Cost of Stroke Care in Germany”F.  T.  Aichner1 , M.  Kaste2
  • 1Wagner-Jauregg-Krankenhaus Linz, Österreich
  • 2Department of Neurology, Helsinki University Central Hospital, Helsinki
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Publication Date:
21 May 2002 (online)

In einigen Ländern, wie in den USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien, Finnland, Norwegen, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Österreich, wurden Kostenanalysen der Schlaganfallbehandlung durchgeführt. Nunmehr wird in dieser Ausgabe der „Aktuellen Neurologie” die erste Kostenanalyse der Schlaganfallbehandlung in Deutschland vorgestellt.

Die deutsche Schlaganfallkostenanalyse bestätigt die Erfahrung in anderen Ländern insofern, als dass sich Infrastrukturen des gesamten Schlaganfallservices, die Auf- und Verteilung stationärer und ambulanter Strukturen, Kostenträger akuter und rehabilitativer Einrichtungen von Land zu Land erheblich unterscheiden, weshalb ein Vergleich, ein Poolen der Daten oder eine Extrapolation von einem Land auf das andere nur in eingeschränktem Ausmaß zulässig ist.

Die deutsche Studie errechnet den Kostenaufwand für den einzelnen Schlaganfallpatienten zwischen 14 000 - 16 000 DM, wobei etwa 9000 DM auf die Leistung des Akutkrankenhauses und ca. 7000 DM auf die Leistung der Rehabilitationseinrichtungen fallen. Diese Daten sind für die Kostenkalkulation wertvoll, berücksichtigen aber nicht die durch einen Schlaganfall verursachten Lebenskosten. Diese sind z. B. für die USA mit 104 000 US Dollar, für Schweden mit 73 000 US Dollar und für Finnland mit 60 000 US Dollar errechnet worden. Die finnischen Daten zeigen, dass die Ausgaben in den ersten Jahren nach dem Schlaganfall nur 22,7 % der gesamten Lebenskosten ausmachen, während sich die übrigen Kosten auf die folgenden Jahre erstrecken.

In der deutschen Studie waren sowohl im 3-Monate- als auch im 1-Jahres-Follow-up 20 % der Patienten, die auf der Schlaganfallstation behandelt wurden, unabhängig. Die Tatsache, dass einer von fünf Patienten, behandelt auf einer Schlaganfallstation, Unabhängigkeit für sein Leben erreicht, bedeutet mit Sicherheit auch enorme finanzielle Einsparung. Darüber hinaus ergibt sich dadurch auch eine erhebliche Reduktion an menschlichem Leid, zumal wenn man bedenkt, dass entsprechend der Daten der Weltbankstatistik der Schlaganfall einen größeren Verlust an qualitätsadjustierten Lebensjahren verursacht als alle anderen Erkrankungen.

Das Design und die Methodik der deutschen Kostenanalyse weist signifikante Einschränkungen und Mängel auf. Hier gibt es einige Parallelen zu Untersuchungen aus anderen Ländern, die ebenso Schwächen in der epidemiologischen, statistischen und ökonomischen Analyse aufweisen.

Die Studie stellt keine randomisierte kontrollierte Studie dar und kann somit den Anspruch auf den höchsten Evidenzgrad nicht erheben. Die Autoren begründen die fehlende Randomisierung damit, dass aus ethischen Gründen dies nicht möglich gewesen sei. Diesem Argument soll teilweise widersprochen werden. Das Modell der deutschen Schlaganfalleinheit mit seinem teilweisen Intensivcharakter ist bislang in keiner randomisierten Studie untersucht worden. Es ist davon auszugehen, dass heute State-of-the-Art-Schlaganfallbehandlung auf der Schlaganfallstation ebenso wie auf den neurologischen oder internen Stationen erfolgt. Insofern wäre das Nutzen-Risiko-Verhältnis im Rahmen einer randomisierten Studie wohl ethisch zugunsten des zu erwartenden Nutzens zu bewerten. Die Chance einer randomisierten kontrollierten Studie wurde jedenfalls nicht genützt.

Die vorliegende prospektive Observationsstudie beinhaltet einige wesentliche systemische Verzerrungen, die Zweifel an der statistischen Signifikanz und der medizinischen wie ökonomischen Relevanz aufkommen lassen.

Es besteht zahlenmäßig ein extremes Ungleichgewicht der Behandlungsgruppen (Stroke Unit 3361 Patienten, neurologische Station 1284 Patienten, innere Medizin 461 Patienten). Die Zahl der Patienten auf der internistischen Station ist um einen Faktor 8 geringer als auf der Stroke Unit.

Die demographischen Daten der drei Patientengruppen sind hinsichtlich Alter, NIHSS-Skala und früheren Schlaganfällen unvergleichbar.

Auch eine statistische Korrektur dieser Faktoren ergibt keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsformen, was wiederum durch die hohe demographische und krankheitsspezifische Heterogenität der Gruppen zu erklären ist.

Das Anschlussheilverfahren in den deutschen Rehabilitationskliniken wird in Blöcken abgewickelt. Patienten mit unterschiedlichen neurologischen Defiziten werden einem starren Rehabilitationsschema unterzogen. Gute wie schlechte Patienten unterliegen derselben Behandlungsstrategie. Die therapeutischen Maßnahmen sind nicht maßgeschneidert. Auch aus diesen Gründen kann kaum ein ökonomischer Gewinn erwartet werden. Die Aufteilung der Kosten auf die Akutphase ist bezüglich des Tagessatzes möglicherweise zu hoch und für die Normalstationen zu niedrig. Letztendlich führt die signifikante Reduktion der Mortalität zu einem erhöhten Aufwand für Rehabilitation und Pflegegeld, obwohl die Stroke-Unit-Behandlung letztlich eine geringere Pflegestufe nach sich zieht.

Die höhere Todesrate der Patienten auf den internen Stationen kann durch ihr höheres Alter und den höheren Schweregrad des Schlaganfalles erklärt werden. Allerdings ist Tod nicht immer das vom Patienten am meisten gefürchtete Schicksal. Interviews mit amerikanischen Schlaganfallpatienten haben ergeben, dass diese mehr einen Schlaganfall mit schwerer Behinderung als den Tod fürchten und drei bis vier Lebensjahre für einen Schlaganfall mit schwerer Behinderung „opfern” würden.

Entscheidend für die Behandlung auf der Schlaganfallstation ist das Faktum, dass mehr Patienten unabhängig werden. So hat auch die deutsche Studie die höhere Wahrscheinlichkeit des besseren Outcomes der auf Schlaganfallstation behandelten Patienten nachgewiesen.

Als primärer Endpunkt wurden in der Studie offensichtlich nur die Fallkosten der Schlaganfallbehandlung gewählt, eine Kosten-Nutzen-Analyse fehlt ebenso wie Informationen über die Kosteneffektivität. So gibt es keine Berechnungen der Kosten für ein gewonnenes Lebensjahr oder für einen verhinderten Schlaganfall in den drei untersuchten Gruppen.

Große Metaanalysen ebenso wie die deutsche Studie haben konsistent gezeigt, dass die Schlaganfallstation die Liegedauer im Akutbereich verkürzt, mehr Schlaganfallpatienten überleben und die Überlebenden ein besseres funktionelles Resultat aufweisen. Kürzere Liegedauer, mehr Überlebende und besserer Outcome bedeuten aber nach der vorliegenden Studie nicht gleichermaßen Kosteneffektivität. Die Publikation der Kostenanalyse der Schlaganfallbehandlung in Deutschland sieht sich offensichtlich mit der Tatsache konfrontiert, dass die Untersuchung gemessen an dem Aufwand ein bescheidenes Ergebnis zur Frage der Schlaganfallbehandlungskosten erbracht hat. Die Fragen einer Kosten-Nutzen-Analyse und insbesondere der Kosteneffektivität ist aufgrund des einmal gewählten Studiendesigns, der zahlreichen systemischen Verzerrungen und der dadurch verursachten mangelnden wissenschaftlichen Qualität nicht beantwortet worden. Der wissenschaftliche Nachweis, dass Stroke-Units-Morbidität und Mortalität gegenüber Behandlungen auf allgemeinen Stationen signifikant reduzieren, ist erbracht, die Frage der Kosteneffektivität bleibt zumindest für das Modell der deutschen Schlaganfalleinheit weiterhin unbeantwortet.

Die deutsche Erfahrung zeigt, dass Schlaganfallbehandlung in einem großen Umfang möglich ist. Sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kosteneffektiv, wenn die gesamten Lebenskosten eines Schlaganfallopfers, wie es sein sollte, in Betracht gezogen werden.

Prof. Dr. F. T. Aichner

Wagner-Jauregg-Krankenhaus

Wagner-Jauregg-Weg 15

4020 Linz · Österreich

Prof. Dr. M. Kaste

Department of Neurology · Helsinki University Central Hospital

Helsinki · Finland

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