Psychotraumatologie 2002; 3(2): 30
DOI: 10.1055/s-2002-30639
Bericht aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erfahrungsbericht über Psychologische Soforthilfe und Krisenmanagement für die Deutsche Bank AG nach Terrorangriffen auf Amerika am 11.September 2001

Christian Lüdke, Karin Clemens
  • 1HumanProtect Consulting GmbH
„ES IST, ALS OB DIE STADT 2 ZÄHNE VERLOREN HAT UND NIE WIEDER RICHTIG LACHEN KANN” (Eddie, 9 Jahre, New York, 11. September 2001)
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. Juni 2002 (online)

 

Einleitung

„Es ist viel schlimmer, als man es sich vorstellen kann! Ich war in Vietnam, war bei den Marines und war beim FBI. Glauben sie mir, aber ich habe niemals in meinem Leben etwas Schlimmeres gesehen. Es ist schockierend! Beim Anblick von Ground Zero versteinern alle Gesichter!”

„Das Baby wird ein Junge!” Carmen ist hoch schwanger und erwartet in wenigen Wochen die Geburt ihres ersten Kindes. „Ich freue mich auf den Jungen, er hält mich im Leben!” Die Tragödie jedoch ist, dass das Kind seinen Vater Andreas nie sehen wird. Er starb am 11. September 2001 durch den Terrorangriff auf das World Trade Center in New York. Carmen: „Wenn man an ein Schicksal glaubt oder an eine Vorbestimmung, dann war man in diesem Augenblick nie näher daran zu erfahren, was das ist: Andreas war an diesem Ort, wo er aber gar nicht hätte sein sollen. Ich sollte dort sein, kam aber zu spät. Vielleicht ist es das Schicksal, dass unser Baby so gerettet werden sollte (...), es ist einfach unglaublich, unglaublich und nicht vorstellbar (...), es ist, als ob wir alle in einem Film wären, aus dem wir jedoch nicht mehr herauskommen (...), alle sind verwirrt und durcheinander. Die Herzen sind ganz ganz klein, und im Körper fühlt es sich an, als ob darin eine Bombe tickt, die in jedem Moment explodieren könnte (...); immer und immer wieder träume ich von dem zusammenstürzenden Tower, und immer sehe ich, wie ich mit Andreas weglaufe und fliehe. Aber dann wache ich auf, und er ist nicht da (...); nichts wird jemals wieder so sein, wie es einmal war.”

Der Schock und das Entsetzen waren unvorstellbar, als am 11. September 2001 im Radio und Fernsehen die Nachrichten von den grausamen Terroranschlägen in den USA gesendet wurden. Menschen „klebten” förmlich an den Fernsehgeräten und konnten die Bilder nicht fassen, die immer und immer wieder über den Bildschirm liefen. Eine Tragödie von unvorstellbarer Größe und Grausamkeit spielte sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab, löste eine Weltkrise aus und ließ viele Menschen in eine seelische Ausnahmesituation geraten. Ein Alptraum, aus dem man nicht erwacht. Mehrere tausend Menschen sterben bei den Anschlägen: Väter, Mütter, Kinder, Freunde, Geliebte, Kollegen. Fast alle sagten in letzten Botschaften einfach nur „Ich liebe Dich!” Tausende von herzzerreißenden, traurigen Schicksalen.

Mehr als nur ein kriegerischer Terrorangriff waren diese teuflischen Anschläge, ein Angriff auf die Seele Amerikas, die stellvertretend für Macht und Erfolg und Weltsicherheit mit einem Schlag bis ins Mark getroffen wurde. Die Folge war, dass viele Menschen weltweit wie noch nie zuvor verängstigt und in ihrem Sicherheitsgefühl erschüttert wurden. Wenn ein solcher Anschlag in New York und im Pentagon geschehen kann, kann so etwas überall in der Welt passieren. Unsicherheit, Hilflosigkeit, Kontrollverluste und Fassungslosigkeit lähmten viele Menschen. Unvorstellbar die Angst der Betroffenen um ihre Angehörigen. Über Stunden und Tage keine gesicherten Informationen über die Vermissten. Ein Wettlauf zwischen Hoffen und Bangen begann. So auch für die Familie M. aus Deutschland. Ihr 27jähriger Sohn hielt sich zum Zeitpunkt der Katastrophe in New York auf, wo er für die Deutsche Bank AG arbeitete.

Wenige Zeit nach Bekanntwerden, dass unter den Opfern des Terroranschlags auch mehrere deutsche Staatsbürger sein könnten, beauftragte die Deutsche Bank AG am 12.09.2001die HumanProtect Consulting GmbH, den aufgrund der Terrorattacken gebildeten Krisenstab bei seiner Arbeit zu unterstützen und die Betreuung der betroffenen Mitarbeiter in New York zu übernehmen. Außerdem wurde die HumanProtect Consulting GmbH auch mit der Betreuung der Angehörigen von Betroffenen in Deutschland beauftragt.

Autoren:

Dr. phil. Christian Lüdke
Dipl.-Psych. Karin Clemens

Universität zu Köln


Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie

Zülpicherstraße 45

50923 Köln

eMail: dr.luedke@t-online.de

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