Aktuelle Neurologie 2002; 29: 45-46
DOI: 10.1055/s-2002-27812
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Praxisbesonderheiten im Rahmen der Richtgrößenprüfung

Costs of Anticonvulsants - Good Prescribing Despite Budgetary RestrictionsEghard  Teichmann1
  • 1Disziplinarausschuss der KV Niedersachsen - Bezirksstelle Verden
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Publication Date:
03 May 2002 (online)

Bestandsaufnahme

Schon im Jahre 1997 wurde die Einführung von Richtgrößenprüfungen gesetzlich festgeschrieben. Der Gesetzgeber wollte damit die bis dahin geltende starre Budgetregelung für Arznei- und Heilmittel ablösen. Die Vorteile der Richtgrößen wurden unter anderem in einer flexiblen und qualitätsorientierten Ausgabensteuerung, der Individualisierung der Wirtschaftlichkeitsverantwortung und der praxisinternen Kalkulierbarkeit der Ausgaben gesehen [1]. Schon zum damaligen Zeitpunkt einigten sich die KBV und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen auf eine Liste von Wirkstoffen, „die aufgrund ihrer Stoffcharakteristik ausschließen, dass sie außerhalb zugelassener Indikationen und in unwirtschaftlichen Mengen eingesetzt werden können. Diese Arzneimittel können routinemäßig, unabhängig von Arztfachgruppe und Behandlungsfall aus der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ausgeblendet werden” [2].

Der Gedanke war, dass bei einer Praxisprüfung nach Richtgrößen die Verordnung und die damit zusammenhängenden Kosten dieser entsprechenden Medikamente von vornherein unberücksichtigt bleiben sollten. Schon damals allerdings war bekannt, „dass alle wesentlichen Daten zwar im Rahmen der Abrechnungswege erfasst werden, jedoch keine Auswertungssoftware vorliegt” [2].

Dies hat sich bis heute nicht geändert. Nachdem seit der Aufnahme der Richtgrößenprüfung in den Gesetzestext im Jahre 1997 zwei Jahre vergangen waren, erschienen im Jahre 1999 bundesweit die ersten Richtgrößenvereinbarungen der einzelnen kassenärztlichen Vereinigungen. Zum Problem der Wirkstoffliste hieß es (und heißt es) in der Prüfungsvereinbarung der KV Sachsen beispielsweise in § 3 Absatz 2 „Voraussetzung für die Prüfung ist die Anwendung der durch die Arbeitsgruppe auf Bundesebene erarbeiteten Empfehlungen zu ausgenommenen Wirkstoffen … in der jeweils gültigen Fassung nach Anlage 2”. Als Fußnote hieß es dazu weiter: „Sobald diese in einer endgültigen Fassung vorliegt und hierfür die EDV-technische Umsetzung gegeben ist (Prüfungsvereinbarung über die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln durch sächsische Vertragsärzte auf der Grundlage von Richtgrößen der KV Sachsen vom 24. 3. 1999)”.

Die KV Niedersachsen schreibt wenige Monate später weitgehend ähnlich fest: „Die Umsetzung der Anlage 2 erfolgt in Niedersachsen, sobald die inhaltlichen und datentechnischen Voraussetzungen durch die Spitzenverbände/KBV geschaffen wurden. Bis zur Umsetzung der Anlage 2 unterbleibt die Bereinigung der Richtgrößen um die auf die Anlage 2 entfallenden Ausgaben” (Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen gemäß § 84 III SGB V und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen gemäß § 106 SGB V für das Jahr 1999 der KV Niedersachsen). Dabei stellt die Anlage 2 jeweils die vorstehend aufgeführte Wirkstoffliste dar.

An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert. Zwar ist die Wirkstoffliste von der KBV und den GKV-Spitzenverbänden ständig fortgeschrieben worden, jedoch mangelt es nach wie vor an der erforderlichen „Auswertungs-Software” und damit der „EDV-technischen Umsetzung”. Es bestand und besteht also die paradoxe Situation, dass zwischen KBV und Spitzenverbänden vereinbart wurde, dass bestimmte Wirkstoffe einerseits unverzichtbar, andererseits aber besonders teuer sind, weshalb empfohlen wird, dass diese Wirkstoffe bei einer Richtgrößenprüfung nicht zu berücksichtigen seien. Weil dies aber EDV-technisch nicht möglich ist, wird von (einigen) Kassenärztlichen Vereinigungen so getan, als gäbe es diese Liste nicht bzw. ihre Anwendung wird auf die lange Bank geschoben.

In der Praxis führt dies zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. So kann der Unterzeichner aus eigener Erfahrung sagen, dass sich die KV Niedersachsen trotz „fehlender EDV-technischer Umsetzung” bemüht, schon im Rahmen der Richtgrößenprüfung Verordnungen, die in der Wirkstoffliste aufgeführte Stoffe enthalten, herauszurechnen, so dass der entsprechende Überschreitungsbetrag der jeweiligen Richtgröße von Anfang an geringer ausfällt. Andere Kassenärztliche Vereinigungen, so beispielsweise die KV Nordrhein, negieren schlicht die Existenz der Liste und berücksichtigen diese überhaupt nicht.

Dies ist meines Erachtens eine weder juristisch noch fachlich akzeptable Situation. Dem Arzt bleibt nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Es muss jedem Arzt empfohlen werden, bei der Verordnung bekannt teurer Wirkstoffe die Liste zu überprüfen und dann, wenn er einen dort erfassten Wirkstoff verordnet, genauestens zu dokumentieren, warum dieser Wirkstoff verordnet wird und kein anderer, möglicherweise billigerer, warum es aus medizinischen Gründen unausweichlich ist, gerade diesen Wirkstoff zu verordnen und aufgrund welcher Diagnose sich dies ergibt. Die Dokumentation sollte möglichst ausführlich sein und möglichst zeitnah durchgeführt werden, auch wenn dies eventuell einen bestimmten Aufwand erfordert. Man muss sich folgendes Szenario vergegenwärtigen:

Nach einer (inoffiziellen) Verlautbarung des Vorsitzenden der KV Niedersachsen sollen in Niedersachsen im Jahre 2001 betreffend das Jahr 2000 insgesamt 2300 Richtgrößenprüfungsverfahren in die Wege geleitet worden sein. Es bedarf keiner großen Fantasie, sich auszumalen, wie lange sich die Abwicklung dieser Verfahren hinziehen wird. Beginnt man aber mit einer nachträglichen Dokumentation erst dann, wenn man als Arzt mit einem solchen Verfahren überzogen worden ist, so fällt eine ausführliche Dokumentation retrospektiv natürlich wesentlich schwieriger aus als dann, wenn man sie unmittelbar nach Abschluss der Behandlung durchführt.

Die gesammelten Dokumentationen müssen dann jeweils unter Darstellung des individuellen Falles im Rahmen des Richtgrößenprüfungsverfahrens dem Prüfungsausschuss unterbreitet werden, um so gegenüber dem Prüfungsausschuss darzulegen, wo und dass Praxisbesonderheiten in der Praxis des Arztes vorliegen. Diese Praxisbesonderheiten sind vom Prüfgremium zu berücksichtigen. Die entsprechenden Beträge sind aus dem Gesamtkostenaufwand der Medikation herauszurechnen. Insbesondere ist dabei darauf zu achten, ob die Medikation eventuell auf die Krankenhausentlassungsberichte zurückzuführen ist. Es ist nicht zulässig, schlicht dahingehend zu argumentieren, im Krankenhausentlassungsbericht sei der entsprechende Wirkstoff vorgegeben worden. Es obliegt dem einzelnen Vertragsarzt, nochmals ausdrücklich zu überprüfen, ob dieser Wirkstoff unbedingt verschrieben werden muss. In der Dokumentation muss die eigene Argumentation des Arztes aufscheinen (zum Beispiel zu Complianceproblemen oder ähnlichem). Dies jedenfalls gilt so lange, wie die gegenwärtige Richtgrößenprüfung durchgeführt wird.

Literatur

  • 1 Reiblich M. Richtgrößen - Das richtige Rezept?. KBV-Klartext 1997 4
  • 2 Reiblich M. Richtgrößen auf dem richtigen Weg. KBV-Klartext 1997 10
  • 3 Hansen L. Aut-Idem- und Festzuschuss-Konzept: Kombinationslösung. KBV-Klartext 2002 1

Eghard Teichmann

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