Psychotraumatologie 2000; 1(1): 4
DOI: 10.1055/s-2000-8055
Berichte aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychologische Soforthilfe nach Banküberfällen

Die Bewältigung des AlltagsChristian Lüdke
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

 

Dr. Lüdke leitet die Abteilung Abteilung für Notfallpsychologie und Akutintervention. Das Projekt »Psychologische Soforthilfe nach Banküberfällen«, aus dem hier berichtet wird, betreibt das Deutsche Institut für Psychotraumatologie, Köln, zusammen mit der R+V-Versicherung und der Berufsgenossenschaft Verwaltung

Auch im Jahr 2000 wird es in Deutschland wieder 1300 bis 1500 Banküberfälle geben. Trotz immer neuer Sicherheitstechniken bleibt diese Zahl seit Jahren konstant. Das Vorgehen der Täter ändert sich allerdings; es wird immer brutaler. Zurück bleiben Bankangestellte, die hinter jedem Kunden einen Täter vermuten und zutiefst in ihrem Glauben an eine prinzipiell wohlwollende und nach verstehbaren Regeln funktionierende Welt erschüttert sind. Ein Banküberfall als »man made disaster«, erschüttert das Selbst- und Weltverständnis der Angestellten zutiefst. Die resultierenden erhöhten Ausfallzeiten und Frühberentungen zwingen jetzt auch die Versicherungen zum Handeln. Die R+V-Versicherung als größter Bankenversicherer Deutschlands geht gemeinsam mit der VBG Hamburg seit Mai diesen Jahres mit gutem Beispiel voran und bietet den Angestellten der bei ihr versicherten 17 700 Haupt- und Zweigstellen eine psychologische Soforthilfe nach Banküberfällen. Ein sicherlich sehr sinnvoller und notwendiger Schritt, wenn man bedenkt, dass statistisch gesehen an jedem Arbeitstag eine Raiffeisen- oder Volksbank überfallen wird. D. h., 300 Überfälle registriert allein dieser Finanzbund jährlich. Die psychologische Soforthilfe ist dabei als besondere Serviceleistung ohne zusätzlichen Beitrag in die Raubüberfall-Versicherung integriert, die jede Bank für etwa 1500 - 2000 DM pro Jahr abschließt. Damit ist die R+V-Versicherung bundesweit bisher leider noch der einzige private Versicherer mit einem solchen Service. Auftragnehmer ist das Deutsche Institut für Psychotraumatologie (DIPT). Seit seiner Gründung 1991 widmet sich dieser Zusammenschluss von Psychologen, Ärzten, Juristen und anderen interessierten Berufsgruppen programmatisch der Erforschung, Therapie und Prävention psychotraumatischer Störungen. Das Institut steht dabei in enger Kooperation mit dem Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln (IKPP). Die Abteilung für Notfallpsychologie und Akutintervention des DIPT hat sich auf eine psychologische Soforthilfe spezialisiert, welche die schnellstmögliche Wiederherstellung und den dauerhaften Erhalt der seelischen Gesundheit der Opfer zum Ziel hat. Die Konzepte des DIPT wurden in einer kontrollierten Traumatherapiestudie TTG (Traumatherapie für Gewaltopfer) ausgearbeitet und überprüft. Hier zeigte sich, dass mit einer Kurzintervention von durchschnittlich maximal 10 Sitzungen die Symptomzahl der Hochrisikogruppe für Langzeitfolgen unter den Gewaltopfern zeitkonstant reduziert und in den Normalbereich verlagert werden kann [3]. Die Maßnahmen dieser Akutintervention haben sich im Rahmen der Betreuung der Opfer und Helfer der Zugunglücke von Brühl und Eschede sowie anderen Einsätzen bereits bewähren können. Es geht in diesen Bereichen vor allem darum, gängige Konzept wie das »Debriefing« weiter zu entwickeln, um so gerade bei Hochrisikopatienten Langzeitfolgen zu vermeiden und damit eine wirksame Traumaprävention leisten zu können, wie sie mit den traditionellen Verfahren so noch nicht möglich zu sein scheint. Das DIPT praktiziert dabei anders als das kontrovers diskutierte »Debriefing« eine zielgruppenorientierte Opferhilfe (ZGO), welche, außer zu rein psychoedukativen Zwecken, in Einzelgesprächen realisiert wird. Oberstes Ziel des Projekts ist neben der psychologischen Unterstützung für alle Betroffenen vor allem die Verminderung von Langzeitfolgen für Personen der Hochrisikogruppe.

Konkret heißt dies im Rahmen des R+V-Projekts, dass sich spätestens 48 Stunden nach Eingang der Meldung über einen Banküberfall fachtherapeutisch ausgebildete Diplompsychologen/Psychologinnen mit den Betroffenen in Verbindung setzten. Dass dieses Notfallteam des DIPT auch schnellstmöglich informiert wird, sichert eine bundesweit ständig erreichbare Hotline, über welche durch das DIPT geschulte Telefonisten der Rhein-Main-Assistance die eingehenden Meldungen direkt an MitarbeiterInnen des DIPT weiter leiten können. Nach telefonischer Absprache mit den Betroffenen wird dann für die folgenden Tage ein persönliches Gespräch vereinbart. Bereits in der ersten Sitzung können die Opfer mit Hilfe psychoedukativer Maßnahmen und spezieller Stabilisierungstechniken zumeist erheblich entlastet werden. Ziel ist es, dem Opfer zunächst durch eine umfassende Aufklärung über traumatische Situationen und ihre möglichen Folgen beim Umgang mit eventuellen Schuldgefühlen, Ängsten, Selbstbeschuldigungen etc. zu helfen. Weiter erlangen die Betroffenen durch die Vermittlung verschiedener Stabilisierungstechniken (z. B. imaginativ, Entspannung, Selbstmanagement, Stressimpfung usf.) Kontrolle über Intrusionen, Übererregung und andere Folgesymptome des traumatischen Ereignisses. Parallel dazu wird für die einzelnen Betroffenen im Rahmen des klinischen Gesprächs und mit Hilfe standardisierter Testverfahren (IES, PDEQ, PTSS-10) sowie des Kölner Risikoindex (KRI) eine Risikoeinschätzung und Einschätzung der konkreten Symptombelastung vorgenommen. Der KRI wurde im Rahmen des Kölner-Opferhilfe-Modellprojekts (KOM, 2) entwickelt und prognostiziert das Risiko einer Psychotraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aufgrund objektiver Situationsfaktoren und einiger subjektiver Variablen, wie z. B. erlebte Todesangst. Im Rahmen des R+V-Projekts wurde er speziell für die Opfer von Banküberfällen adaptiert. Mit Hilfe dieses Verfahrens lassen sich auch die Opfer von Banküberfällen drei Gruppen mit unterschiedlichem PTBS-Risiko zuordnen (Selbstheilergruppe, Wechslergruppe, Hochrisikogruppe). Entsprechend wird dann, je nach Symptombelastung und PTBS-Risiko, zielgruppenorientiert das weitere Vorgehen geplant.

1 - 3 Folgetermine werden von uns übernommen. Besonders schwer traumatisierte Opfer (Hochrisikogruppe) werden an qualifizierte ortsnahe Psychotherapeuten vermittelt oder im Bedarfsfall an eine stationäre Einrichtung. In wissenschaftlicher Hinsicht handelt es sich um ein Modellprojekt, worin parallel zu den Interventionen die Effektivität und Effizienz der Maßnahmen sowie die Nutzen-Kosten-Relation überprüft wird. Wir gehen aufgrund unserer bisherigen Erfahrungswerte davon aus, dass sich die Kosten der Akutintervention durch die Verringerung der Folgekosten (Arbeitsausfälle/ Frühberentungen etc.) mindestens ausgleichen lassen.

Es ist wichtig festzuhalten, dass gerade auch in diesem Bereich mangelnde Empathie von Vorgesetzten und Kollegen sowie fehlendes Verständnis und Unterstützung von Seiten der sozialen Umwelt die Situation für die Opfer ganz erheblich verschlimmern können. Ungünstiges Verhalten von Vorgesetzten und öffentlichen Funktionsträgern kann sekundäre Traumatisierungen bedingen und so den natürlichen Heilungsprozess behindern. Andererseits sind aber gerade Führungskräfte in Krisenzeiten besonders gefordert und müssen erheblichen Ansprüchen gerecht werden. Vor diesem Hintergrund bietet das DIPT in Zusammenarbeit mit dem IKPP und dem Polizei-Sport-Verein e. V.-Karate Kurse zu Risikomanagement und Mitarbeiterführung in Krisensituationen an.

Literatur:

  • 1 Fischer G, Becker-Fischer M, Düchting C. Neue Wege in der Opferhilfe. Ergebnisse und Verfahrensvoschläge aus dem Kölner Opferhilfemodell (KOM). Herausgegeben vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen. Schriftenreihe des Ministeriums 1998
  • 2 Fischer G, Riedesser P. Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst Reinhardt (UTB für Wissenschaft) München; 1998
  • 3 Fischer G, Becker-Fischer M, Hofmann A, Klein B, Licher H, Ukschewski S, Schneider I, Sülzer, A. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt: Prävention chronischer psychischer Störungen und Behinderungen bei Opfern von Gewaltverbrechen. Vorgelegt der Stiftung des Landes NRW für Wohlfahrtspflege durch das Deutsch Institut für Psychotraumatologie Köln/Much in Zusammenarbeit mit dem Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln. Anzufordern über das Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln 1999
  • 4 Fischer G. Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung. Verlag Deutsches Institut für Psychotraumatologie Köln; 2000
  • 5 Fischer G. Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie-MPTT. Manual zur Behandlung psychotraumatischer Störungen. Asanger Heidelberg; 2000

Postanschrift:

Dr. Christian Lüdke

Deutsches Institut für Psychotraumatologie

Springen 26

53804 Much

    >